Das Klima-lastige Aufmerksamkeits-Ungleichgewicht findet sich auch außerhalb des Finance-Bereichs: Themen rund um die Klimakrise dominieren die Debatten und Maßnahmen zu Nachhaltigkeit im Allgemeinen und noch stärker in Bezug auf Wirtschaft und Nachhaltigkeit. Der Kontext von Sustainable Finance spiegelt diesen Umstand.
Dieses Phänomen steht im Gegensatz zu den deutlich breiter angelegten Initiativen und Ansätzen wie den Sustainable Development Goals (SDGs) und dem Konzept der Planetaren Grenzen. Diese zeigen gerade auf, warum eine Vielfalt und Vielzahl an Themen existenziell für das Überleben der Menschheit sind. Um zu verstehen, wie diese Themen besser berücksichtigt werden können, hilft es, sich mit den Hintergründen für die Dominanz des Klimathemas zu beschäftigen.
Gründe für die Dominanz des Klimathemas
Zunächst ist der Klimawandel, inklusive seiner Ursachen und seiner existenzbedrohenden Konsequenzen, bereits seit langer Zeit vergleichsweise gut erforscht. Es gibt es eine gute Datengrundlage, die den Zusammenhang von Treibhausgasen, die durch menschliche Aktivitäten verursacht werden, und der Klimaerwärmung belegen. Außerdem sind diese Treibhausgase vergleichsweise einfach zu messen.
Damit ist das Thema vergleichsweise einfach zu verstehen und zu behandeln, da es vor allem eine Ursache über alle Branchen und Aktivitäten hinweg gibt: Den Ausstoß von Treibhausgas-Emissionen durch wirtschaftliche Aktivitäten, den es zu begrenzen gilt.
Entsprechend findet sich das Thema Klimawandel schon sehr lange auf den Agenden zahlreicher internationaler Konferenzen und der Politik. Insbesondere das Klimaabkommen von Paris, in dem sich die internationale Gemeinschaft zu einer Eindämmung des Temperaturanstiegs auf nicht mehr als 2 Grad Celsius im Vergleich zum vorindustriellen Niveau geeinigt hat, setzt den Rahmen für effektive Umweltpolitiken weltweit. Die Finanzströme müssen demzufolge so umgelenkt werden, dass sie die Transformation in Richtung einer emissionsarmen Wirtschaft unterstützen.
Aus den oben genannten Gründen hat sich der Finanzmarkt insgesamt bislang auf Nachhaltigkeits-Risiken im Zusammenhang mit dem Klimawandel fokussiert. Bei der Integration in die Risikobetrachtung fällt dabei auf, dass es im Bereich Klima ausformulierte Transformationspfade und Szenarioanalysen für einzelne Branchen gibt, anhand derer inzwischen verhältnismäßig präzise bestimmt werden kann, welche Treibhausgasemissionen bis wann in welcher Branche getätigt werden dürfen, um bestimmte Klimaszenarien, wie etwa das Zwei-Grad-Szenario, einzuhalten. Die Finanzmarktakteure können somit auf Grundlage von wissenschaftlich basierten Modellen gezielt nach den Informationen eines jeweiligen Unternehmens suchen / fragen und daraufhin eine Risikoabwägung vornehmen.
Demgegenüber sind die Kompetenzen des Finanzsektors im Umgang mit anderen bedrohlichen – aber schwerer zu erfassenden – Risiken, wie etwa dem Biodiversitätsverlust, noch deutlich weniger weit entwickelt. Mit Blick auf dieses Thema sind auf Seiten der Finanzinstitute neben einem fehlendem Risiko-Bewusstsein und Verständnis für Biodiversitäts-Risiken auch der Mangel an Methoden und Standards zur Messung und Bepreisung von Biodiversität zu nennen. Die hohe Komplexität des Themas bei gleichzeitig schlechter Datengrundlage sorgen ebenso wie das bisher fehlende politische Handeln und der entsprechend geringe regulatorische Druck, außerdem dafür, dass das Thema im Vergleich zu Klima unterbeleuchtet ist.
Interdependenz der Umweltziele
Auch wenn heute das Verständnis über die Zusammenhänge der verschiedenen Umweltbereiche, wie etwa Klima und Biodiversität, noch nicht umfassend entwickelt ist, beginnt sich dies zu ändern und die Zusammenhänge werden immer besser erkannt: Gerade der Klimawandel und der Zustand der Natur (von Ökosystemen und der biologischen Vielfalt) hängen eng zusammen und bedingen sich in vielen Bereichen gegenseitig. So benennt der Globale Bericht des Weltbiodiversitätsrats Klimawandel als eine der größten Ursachen für den Verlust der Biodiversität.
Die Wiedervernässung von Mooren beispielsweise, bringt Vorteile für die biologische Vielfalt des Moores und mindert die Klimaerwärmung durch die Bindung von Treibhausgasen im Boden. Gemeinsame Klima- und Biodiversitätsschutzpotenziale werden erkannt, aber müssen noch stärker gefördert werden.
Entwicklung von Standards auch für andere Umweltziele
Auch im Bereich der Regulierung und Standards wurden in den Jahren 2021 und 2022 nach und nach mehr Methoden und Kennzahlen veröffentlicht, die explizit Umweltziele abseits von Klima adressieren. Entsprechend des Task Force on Climate-related Financial Disclosures (TCFD)-Standards existiert auch eine Initiative, Taskforce on Nature-Related Financial Disclosures (TNFD), die einen Standard für den Bereich Naturkapital entwickelt. Auch in der EU-Taxonomie werden die Umweltziele Wasser, Verschmutzung, Kreislaufwirtschaft und Biodiversität benannt und Indikatoren und Kriterien veröffentlicht.
Soziale Aspekte und Sustainable Finance
Ebenso sind bei der Berücksichtigung sozialer beziehungsweise gesellschaftlicher Aspekte durch Finanzmarktakteure die Unterschiede zu den relativ weit fortgeschrittenen Modellen beim Thema Klima auffallend. Zwar ist die Berücksichtigung sozialer Aspekte fester Bestandteil von ESG-Produkten, etwa von Menschen- und Arbeitsrechten, allerdings sind diese selten mit quantitativen oder vergleichbaren Kennzahlen unterlegt. Die Berücksichtigung von sozialen Aspekten bei der Integration von Nachhaltigkeitsaspekten in das Risikomanagement von Finanzmarktakteuren fällt hinter die der ökologischen Aspekte zurück.
Dennoch gibt es auch Lichtblicke: Bei der Förderung der Transformation im gesellschaftlichen Bereich sind beispielsweise „Social Impact“-Produkte entstanden, die verstärkt auch auf quantitative Indikatoren achten. Dieser Impact-Investing-Bereich des Sustainable-Finance-Marktes ist noch sehr klein und die gehandelten Produkte nicht standardisiert qualitätsgesichert. Allein die Entstehung eines solchen Marktes zeigt aber, dass eine tiefergehende Betrachtung von sozialen Aspekten durchaus möglich ist.
Ebenso gibt es im Bereich der Regulierung Bestrebungen, die sozialen Aspekte von Sustainable Finance hervorzuheben und messbar sowie vergleichbarer zu machen. Dies mündete beispielsweise in die Entwicklung einer sozialen Taxonomie, die von der Expertengruppe im Auftrag der EU-Kommission, der EU-Plattform für Sustainable Finance, veröffentlicht wurde.
Richtige Richtung, aber noch viel zu tun
Dennoch: Es fehlt in der Breite noch an klaren messbaren und damit kommunizierbaren und anwendbaren Zielen und Kennzahlen, die einfach zu erfassen sind. Eine der großen Herausforderung für alle Beteiligten, inklusive der Finanzinstitute, besteht darin, das vorhandene Wissen über etwa den Verlust der biologischen Vielfalt und wirtschaftliche Aktivitäten mit Blick auf die praktische Gestaltung von Investments und Kredite zu „übersetzen“. Die Rahmenbedingungen, dies zu ändern, sind, in Form von Initiativen und ambitionierten einzelnen Instituten, günstig. Die Anreize entwickeln sich über die umfangreichere Regulierung und ausgesprochene Stakeholderanforderungen langsam in diese Richtung. Über die Umweltziele hinaus gilt es auch, die sozialen und Governance-Aspekte in einen ganzheitlich integrativen Ansatz einzubringen. Finanzakteure sollten allerdings nicht warten, bis ein Standard geschaffen ist, sondern sich bereits eigene Strategien überlegen, um den Rückstand auf den Markt nicht zu verlieren.