GE-I-7: Gesundheitsgefährdung durch Vibrionen (Fallstudie)

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Monitoringbericht 2023 zur Deutschen Anpassungsstrategie an den Klimawandel

GE-I-7: Gesundheitsgefährdung durch Vibrionen – Fallstudie

Höhere Wassertemperaturen infolge des Klimawandels treiben biologische Prozesse in Gewässern an und begünstigen unter anderem das Wachstum und die Vermehrung von infektiösen Arten der Bakteriengattung Vibrio. Die Ergebnisse von Wasserproben an der Ostsee verdeutlichen den starken Einfluss der maximalen Wassertemperatur auf die Bakterienkonzentration von Vibrio vulnificus.

Die Grafik „Gesundheitsgefährdung durch Vibrionen – Fallstudie“ zeigt von 2008 bis 2021 prozentuale Anteile positiver Befunde von Vibrionen an der Ostseeküste (Juli–September) und die maximale Wassertemperatur. Über 70 Prozent positive Nachweise traten 2010, 2014 bis 2016 und 2018 auf. 2018 wurden über 100 Millionen Koloniebildende Einheiten pro Liter gemessen, bei maximal 23 Grad Celsius. Signifikant gestiegen ist der Anteil an Nachweisen zwischen 1 und 10 Millionen Koloniebildenden Einheiten.
GE-I-7: Gesundheitsgefährdung durch Vibrionen – Fallstudie
Quelle: Landesamt für Gesundheit und Soziales (LAGuS) (Gewässerqualitätsmessungen)

Nicht nur Einheimische schätzen die deutsche Küste für ihren hohen Freizeit- und Erholungswert: Die Küstengebiete zählen zu den beliebtesten Regionen für Urlaub und Rehabilitation in Deutschland. Vor allem in den Sommermonaten, wenn die Luft- und Wassertemperaturen ihr Maximum erreichen, kommen viele Gäste und Behandelte zahlreicher Rehabilitationseinrichtungen. Die steigenden Lufttemperaturen infolge des Klimawandels lassen Nord- und Ostsee wärmer werden (sihe ⁠IndikatorKM-I-1) und machen die Küste so noch attraktiver für Badende (siehe Indikator TOU-I-1).

Eine höhere Wassertemperatur begünstigt aber auch das Wachstum und die Vermehrung bestimmter aquatischer Mikroorganismen. Zu den Profiteuren zählen unter anderem Arten der Bakteriengattung Vibrio. Die wärmeren, mäßig salzhaltigen Brack- und Meerwasserbereiche an der Nord- und insbesondere der Ostseeküste sind ideale Lebensräume für die landläufig als Vibrionen bezeichneten Bakterien. In hohen Konzentrationen können sie zu einem Gesundheitsrisiko werden: Einige der über hundert Vibrionen-Arten rufen unter bestimmten Voraussetzungen Infektionen bei Menschen hervor. In der Ostsee gehören dazu unter anderem Vibrio fluvialis, Vibrio parahaemolyticus, Vibrio alginolyticus oder Vibrio vulnificus29.

Meist gelangen Vibrionen über offene Wunden in den menschlichen Körper. Seltener ist die Aufnahme durch Verschlucken oder den Verzehr kontaminierter Schalentiere oder Fische. Je nach Erreger äußert sich der Ausbruch einer Infektion unterschiedlich: Neben Durchfallerkrankungen und Leibesschmerzen kann es zu Gesundheitsschäden wie dem Absterben von Körpergewebe (Nekrosen) und in schweren Fällen zu einer Blutstrominfektion (Sepsis) oder sogar zum Tod kommen. Das Infektionsrisiko steigt mit höherer Vibrionen-Konzentration im Wasser. Nicht immer allerdings führt die Aufnahme der Vibrionen zum Ausbruch einer Infektion. Auch die gesundheitliche Verfassung der infizierten Person hat Einfluss auf Risiko und Schwere einer Erkrankung. Besonders gefährdet sind chronisch kranke, immungeschwächte sowie ältere Menschen. In diesen Personengruppen kam es 2018 und 2019 zu insgesamt acht Todesfällen, die mit Vibrionen assoziiert waren30.

Um das Infektionsrisiko im Blick zu behalten, erfasst das Landesamt für Gesundheit und Soziales in Mecklenburg-Vorpommern seit 2008 die sommerlichen Konzentrationen verschiedener Vibrionen-Arten in der Ostsee. Die Probennahme erfolgt stichprobenweise an mehreren Badestellen entlang der Küste. Die ermittelte Vibrionen-Konzentration ist dabei jedoch nur ein Näherungswert an die tatsächlichen Verhältnisse in der Ostsee. Die Stichproben enthalten eine kleine Wassermenge, von der wiederum nur ein geringer Teil pipettiert und auf Erreger untersucht wird. Da die Bakterien nicht gleichmäßig im Gewässer verteilt sind, sondern häufig in Klumpen vorliegen, ist eine exakte Bestimmung der Bakterienkonzentration nicht möglich. Dennoch erlauben die Ergebnisse eine Einordnung des Infektionsrisikos für Badende. Im Falle einer erhöhten Gefahrenlage werden Warnungen ausgesprochen.

Der Zusammenhang zwischen steigenden Wassertemperaturen und der Entwicklungs- und Fortpflanzungsaktivität beziehungsweise der Bakterienkonzentration zeigt sich bei Vibrio vulnificus besonders deutlich. Die Bakterien dieser Art tolerieren grundsätzlich ein breites Spektrum von Wassertemperaturen. Ein Nachweis gelingt meist ab einer Wassertemperatur von 10 °C. Das Wachstum der Organismen ist bei diesen Temperaturen noch eingeschränkt. Erst in wärmerem Wasser, in der Regel ab etwa 18 °C, beginnen sich die Bakterien stärker zu vermehren. Optimal für das Wachstum sind Wassertemperaturen zwischen 20 °C und etwa 30 °C. Fällt die Wassertemperatur wieder unter diesen Bereich, bleiben die Vibrionen oft noch über längere Zeit aktiv. Wird das Wasser kälter als 10 °C, sterben die Bakterien ab oder – so vermuten Forschende – überdauern zum Teil in einem inaktiven Zustand im Gewässersediment.31 Wie auch bei anderen Vibrionen-Arten kann eine durch Vibrio vulnificus verursachte Infektion lebensbedrohlich sein.

Steigen die Temperaturen bereits früh im Jahr schnell an oder sind sie im Jahresverlauf besonders hoch, können die Bakterien früher und in höheren Konzentrationen nachgewiesen werden. So erbrachten im Jahr 2010 infolge einer sommerlichen ⁠Hitzewelle⁠ bei außergewöhnlich vielen Sonnenstunden an der Küste Mecklenburg-Vorpommerns rund 77 % aller Proben einen Nachweis von Vibrio vulnificus in der Ostsee. Die Bakterien erreichten zudem Konzentrationen von 1 Mio. bis unter 10 Mio. koloniebildende Einheiten pro Liter (KbE/l). Als koloniebildende Einheit gelten einzelne oder zusammenhängende Mikroorganismen, die nach Vermehrung in einem Nährmedium eine Kolonie bilden. Diese Größe gibt Aufschluss über die Zahl beziehungsweise Konzentration von Bakterien. Der Anteil positiver Proben lag nur 2014 höher, einem ebenfalls außergewöhnlich warmen Jahr. Die höchste bisher ermittelte Konzentration von über 100 Mio. KbE/l wurde im Rekordhitzejahr 2018 festgestellt, als eine stabile Hochdruckbrücke von den Azoren bis in die Barentssee von Mai bis in den August hinein für hohe Wassertemperaturen sorgte.

Die Entwicklung und Vermehrung von Vibrio vulnificus ist nicht an die Wassertemperatur allein gebunden. Weitere Einflussfaktoren führen unter anderem dazu, dass es wie in den Jahren 2008 und 2009 auch in weniger warmem Wasser vereinzelt zu zahlreicheren Nachweisen und erhöhten Bakterienkonzentrationen kommt. Steuernd wirkt dabei vor allem der Salzgehalt des Wassers. Sein Einfluss ist noch nicht gänzlich verstanden, nach bisherigen Erkenntnissen entspricht aber die Salinität der Ostsee mit 0,5 % bis 2,5 % dem Toleranzspektrum von Vibrio vulnificus. In den Jahren 2008, 2009 sowie 2014 lag der Salzgehalt zum Zeitpunkt der Probennahmen etwas höher als in den anderen Jahren der Zeitreihe und damit womöglich näher am Idealwert für Vibrio vulnificus. Deutlich höhere Gehalte von bis zu 3 % und darüber sind nur vereinzelt im Skagerrak zu verzeichnen. Der Salzgehalt der Nordsee liegt in der Regel noch höher, sodass die Bakterien hier seltener und in geringeren Konzentrationen als in der Ostsee nachgewiesen werden.

 

29 - Baker-Austin C., Oliver J.D., Alam M., Afsar A., Matthew K. W., Firdausi Q., Martinez-Urtaza J. 2018: Vibrio spp. infections. Nature Reviews Disease Primers, 4, 1-19. doi: 10.1038/s41572-018-0005-8.

30 - Brehm T.T., Berneking L., Sena Martins M., Dupke S., Jacob D., Drechsel O., Bohnert J., Becker K., Kramer A., Christner M., Aepfelbacher M., Schmiedel S., Rohde H. (German Vibrio Study Group) 2021: Heatwave-associated Vibrio infections in Germany, 2018 and 2019. Euro Surveill, 26(41): 2002041. doi: 10.2807/1560-7917.ES.2021.26.41.200204.

31 - Strom M., Paranjpye R. 2000: Epidemiology and pathogenesis of Vibrio vulnificus. Microbes and Infection, Band 2, Heft 2, 177-188. doi: 10.1016/S1286-4579(00)00270-7.

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