Der Einsatz von Pflanzenschutzmitteln ist eine der Hauptursachen für den Rückgang der Biodiversität in der Agrarlandschaft. Die negativen Auswirkungen betreffen nicht nur Tier- und Pflanzenarten, die direkt auf den Agrarflächen leben, sondern reichen weit darüber hinaus. Ganze Nahrungsnetze und Lebensgemeinschaften werden gestört.
Ackerbau ist die Grundlage für das sesshafte Leben der Menschen in Mitteleuropa. Über Jahrtausende hat der Mensch damit eine Kulturlandschaft geschaffen, an die sich viele Tier- und Pflanzenarten angepasst haben. Feldlerche, Feldhase, Feldhamster, Ackerkamille, Kornblume, Ackerstiefmütterchen – schon die Namen sagen es: Diese Arten leben auf Ackerflächen. In Deutschland wird ungefähr die Hälfte der Landesfläche landwirtschaftlich genutzt. Davon sind 71 Prozent Ackerland, 28 Prozent Grünland und 1 Prozent Dauerkulturen (Obst, Wein, Hopfen). Felder sind nicht mehr eingebettet in die Landschaft, sondern Felder sind in vielen Regionen die Landschaft. Insbesondere auf Ackerflächen und in Dauerkulturen ist der Einsatz von Pflanzenschutzmitteln sehr hoch. Hier werden durchschnittlich 7,3 Kilogramm Pflanzenschutzmittel, beziehungsweise 2,4 Kilogramm Wirkstoff je Hektar und Jahr eingesetzt (Berechnung für 2021; ohne die im Vorratsschutz eingesetzten inerten Gase). Der hohe Anteil an Flächen, die vom Menschen intensiv bewirtschaftet werden, ist für den Naturhaushalt problematisch.
In den letzten hundert Jahren hat sich die landwirtschaftliche Praxis stark verändert. Intensive Bodenbearbeitung mit schweren Geräten, massiver Einsatz von chemisch-synthetischen Düngern und Pflanzenschutzmitteln und der Anbau von Monokulturen in dichten Beständen auf riesigen Feldern haben vielfältige negative Umweltschäden zur Folge. Insbesondere die Intensivierung in den letzten 30 Jahren führte zu einem dramatischen Artensterben in der Agrarlandschaft. Innerhalb von zwölf Jahren ging der Bestand an Feldlerchen um 34 Prozent, an Kiebitzen um 75 Prozent und an Rebhühnern um 94 Prozent zurück. Der sogenannte Indikatorenbericht der Bundesregierung zeigt, dass auch die meisten anderen Vogelarten, die auf Äckern, Wiesen und Weiden brüten, im Bestand zurückgehen. Der Feldhase wird in der Roten Liste bundesweit als „gefährdet“ eingestuft und der Feldhamsterbestand ist seit den 50er Jahren um 99 Prozent gesunken. Selbst viele Unkräuter stehen heute auf der Roten Liste, 15 Arten sind bereits ausgestorben, zum Beispiel der Acker-Meier, die Lein-Seide und der Gezähnte Leindotter. Alarmierend ist auch die Situation der Insekten. Die 2017 veröffentlichte sogenannte Krefeld-Studie zeigt einen Rückgang um 76 Prozent der Gesamtbiomasse fliegender Insekten in einem Zeitraum von nur 27 Jahren. In der Forschungsstation Randecker Maar wurde in einer 50-jährigen Untersuchung ein Rückgang der besonders nützlichen Schwebfliegen um 90 Prozent festgestellt. Auch viele andere Untersuchungen belegen das Insektensterben. Insgesamt werden 42 Prozent der untersuchten Insekten in der Roten Liste als bestandsgefährdet, extrem selten oder bereits ausgestorben eingestuft.
Pflanzenschutzmittel wirken am Insektensterben mit
Die Ursachen für den Rückgang der Insekten sind vielfältig: Verlust und Zerstückelung ihrer Lebensräume, fehlende Rückzugsflächen, intensive Bewirtschaftung mit hohem Dünger- und Pestizideinsatz, Klimawandel und invasive Arten. Pflanzenschutzmittel, insbesondere Insektizide und Herbizide, spielen jedoch eine herausragende Rolle für das Insektensterben. Sie wirken auf Schadorganismen, indem sie deren grundlegende biologische Prozesse, zum Beispiel Photosynthese, Zellatmung und Reizweiterleitung, stören. Problematisch dabei ist, dass diese Auswirkungen nicht nur die Zielorganismen treffen, sondern auch viele andere Arten. Die meisten Insektizide und Herbizide wirken nicht selektiv, sondern breit auf fast alle Insekten oder Pflanzen. Im Zulassungsverfahren wird zwar sichergestellt, dass die Insekten in den Saumbiotopen neben den Feldern nicht zu stark durch den Sprühnebel beeinträchtigt werden. Aber die Insekten im Feld werden dabei kaum betrachtet. Dabei sind bei Weitem nicht alle Insekten auf einem Feld als Schädlinge einzustufen. Und selbst Schadinsekten haben ihren Platz im Ökosystem, zum Beispiel als Futter für die Vogelbrut.
Äcker mit Wildkräutern sind Lebensraum für Insekten und andere Tiere. Werden auf einem Feld alle Wildkräuter vernichtet, verschwinden auch all die Insekten, die auf diese Pflanzen angewiesen sind. Besonders deutlich ist das Problem bei den Bestäubern. Diese brauchen Nektar und Pollen als Nahrung. Wenn großflächig Blühpflanzen aus der Landschaft verschwinden, dann verschwinden auch die Bestäuber. Studien haben gezeigt, dass sogar die geringen Restmengen von Herbiziden, welche über Abdrift die Saumbereiche neben den Feldern erreichen, die Ausbildung von Blüten beeinflussen können. Das wiederrum beeinflusst die Zusammensetzung der Insektengemeinschaften. Somit werden auch Ackerränder in ihrer Funktion als Rückzugsraum und Reservoir für eine Wiederbesiedlung behandelter Flächen beeinträchtigt.
Verschwinden die Insekten eines Feldes, wirkt sich das auf alle dort lebenden Tierarten aus, die sich von den Insekten ernähren. Feldlerchen und Rebhühner finden beispielsweise keine Nahrung mehr, um ihre Küken groß zu ziehen. Auch andere Insektenfresser, wie Fledermäuse, Amphibien und Kleinsäuger, können dann nicht überleben. Insektizide und Herbizide haben also nicht nur die beabsichtigten „direkten“ Auswirkungen auf „Schädlinge“ und „Unkräuter“, sondern auch vielfältige „indirekte“ negative Effekte auf das ganze Nahrungsnetz.
Erholung der Bestände nicht möglich
Im Zulassungsverfahren für Pflanzenschutzmittel werden die direkten Auswirkungen auf Tiere und Pflanzen in den Lebensräumen untersucht, welche die Felder umgeben. Diese dürfen nicht geschädigt werden. Auf den Feldern selbst werden die Auswirkungen hingegen nur zum Teil untersucht. Für Insekten gilt, dass starke Effekte auftreten dürfen, wenn eine Bestandserholung innerhalb eines Jahres theoretisch möglich ist.
Eine Erholung der Bestände nach einer Insektizid-Anwendung ist vor allem durch Wiederbesiedlung von außen möglich. Dafür muss eine ausreichend hohe Zahl an Individuen aus den Saumbiotopen in das Feld einwandern und sich dort vermehren. Da intensiv bewirtschaftete Flächen jedoch mehrmals in einer Saison mit Pflanzenschutzmitteln behandelt werden, ist die Wahrscheinlichkeit hoch, dass die eben erst eingewanderten Insekten bald darauf wieder getötet werden. Man spricht von einem Senkeneffekt – die Agrarflächen ziehen mobile Insekten an, welche daraufhin durch Pflanzenschutzmittel sterben. Dieser Effekt wird bislang unterschätzt und wenig betrachtet. Es ist jedoch davon auszugehen, dass der drastische Insektenschwund auch auf solche Senkeneffekte zurückzuführen ist.
Auch Schutzgebiete sind nicht vor Pflanzenschutzmitteln geschützt
Geschützte Gebiete sollen als Rückzugsraum für bedrohte Arten dienen. Dazu zählen zum Beispiel Naturschutzgebiete und Nationalparks, aber auch Flora-Fauna-Habitate (FFH-Gebiete), in denen Landwirtschaft betrieben wird. In einer Studie (2021) wurde jedoch gezeigt, dass Insekten deutschlandweit auch in Schutzgebieten stark mit Rückständen aus Pflanzenschutzmitteln belastet sind. Eine Studie des UBA (2021) offenbart, dass die Anwendung von Pflanzenschutzmitteln in vielen deutschen Naturschutzgebieten sogar erlaubt ist. Mit dem 2021 beschlossenen Insektenschutzgesetz sind zwar neue Regelungen in Kraft getreten, welche die Auswirkungen von Pflanzenschutzmitteln auf geschützte Arten minimieren sollen. Herbizide und bestimmte Insektizide dürfen demnach nicht mehr in Naturschutzgebieten und Nationalparks angewendet werden. Die Ergebnisse der genannten Studie zeigten jedoch, dass die Art der Landnutzung in einem Umkreis von 2.000 Metern ausschlaggebend dafür war, wie stark die untersuchten Insekten mit Pflanzenschutzmitteln belastet waren. Das macht deutlich, dass Pflanzenschutzmittel auch Tiere und Pflanzen fernab der Agrarflächen beeinflussen.
Keine Bewertungsmethode, keine Risiken?
Die europäische Pflanzenschutzmittelverordnung (EG) Nr. 1107/2009 legt fest, dass Pflanzenschutzmittel keine „unannehmbaren Auswirkungen“ auf Nichtzielarten und auf die biologische Vielfalt haben dürfen. Warum treten diese Effekte trotzdem auf? In den Zulassungsverfahren werden jeweils nur die Auswirkungen eines einzelnen Mittels betrachtet. Es sind jedoch die Vielfalt und die Häufigkeit der Anwendungen pro Fläche und Jahr, die in ihrer Summe erst zu den großflächigen, überregionalen Verlusten an Insekten, Pflanzen und Feldvögeln führen. Laut der Verordnung muss für jeden Bereich der Risikobewertung eine mit den EU-Mitgliedsstaaten abgestimmte Bewertungsmethode vorliegen. Eine Bewertungsmethode für Nahrungsnetzeffekte gibt es bisher jedoch nicht. Und solange eine solche Bewertungsmethode nicht vorliegt, kann sie auch nicht in die Entscheidungen zur Zulassung einbezogen werden. Die derzeit gültigen Leitlinien für die Risikobewertung von Pflanzenschutzmitteln müssen also dringend überarbeitet und erweitert werden. Fachliche Gutachten der Europäischen Behörde für Lebensmittelsicherheit (European Food Safety Authority, EFSA) liegen bereits vor. Doch trotz des alarmierenden Artensterbens in der Agrarlandschaft stockt die Umsetzung des vorhandenen Wissens auf europäischer Ebene. Das UBA hat einen Ansatz entwickelt, mit denen die Auswirkungen von Pflanzenschutzmittelanwendungen auf die Biodiversität kompensiert werden könnten. Nach der aktuellen Rechtsprechung darf dieser jedoch nicht verwendet werden.
Lösungen für das Artensterben im Agrarland
Entsprechende Handlungsfelder und Lösungen hat das UBA in seinem 5-Punkte-Programm für einen nachhaltigen Pflanzenschutz aufgezeigt. Neben der Überarbeitung des Zulassungsverfahrens für Pflanzenschutzmittel sind mutige politische Schritte auf nationaler und europäischer Ebene notwendig. Die Ziele des 2019 von der EU-Kommission vorgestellten „Green Deal“ gehen in die richtige Richtung. Ein Kernelement des Green Deal ist unter anderem die Farm-to-Fork-Strategie. Diese fordert beispielsweise, den Anteil des Ökolandbaus bis 2030 auf 25 Prozent zu erhöhen und den Einsatz von Pflanzenschutzmitteln in Bezug auf Menge und Risiko bis 2030 um 50 Prozent zu verringern. Die dafür notwendigen Maßnahmen sollten in einer EU-Verordnung zur nachhaltigen Anwendung von Pflanzenschutzmitteln (SUR) festgelegt werden. Diese scheiterte jedoch im November 2023 im Europäischen Parlament und somit auch die Einführung verbindlicher EU-weiter Maßnahmen zur Umsetzung der Farm-to-Fork-Strategie.
Ein weiteres Kernelement des Green Deal ist die Biodiversitätsstrategie. Diese fordert, mindestens 10 Prozent der landwirtschaftlichen Fläche mit vielfältigen Landschaftselementen zu gestalten. Fördergelder aus der „Gemeinsamen Agrarpolitik“ (GAP) sollen die Umsetzung dieser Ziele finanzieren. Hierüber wird zum Beispiel der Ökolandbau gefördert, aber auch Einzelmaßnahmen wie das Anlegen von Hecken und Blühflächen. Grundvoraussetzung für den Erhalt der Fördergelder sollte unter anderem die Stilllegung von 4 Prozent der Ackerfläche sein. Diese Maßnahme wurde jedoch für die Jahre 2023 und 2024 ausgesetzt. Ob das Förderkonzept ausreichend ist, die Ziele des Green Deal zu erreichen, ist demnach fraglich.
Neben einer finanziellen Förderung ist auch eine Naturschutzberatung für die Landwirtschaftsbetriebe essentiell für das Gelingen der Artenschutzmaßnahmen. Anbieter solcher Beratungen gibt es bereits in vielen Bundesländern. Um die Wirksamkeit solcher Maßnahmen zu ermitteln, braucht es zudem Monitoringprogramme. Das Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft (BMEL) hat 2019 dafür das bundesweite Projekt „Nationales Monitoring der biologischen Vielfalt in Agrarlandschaften" (MonViA) ins Leben gerufen.
Konkrete Maßnahmen zur Förderung der Biodiversität
Der Erfolg biodiversitätsfördernder Maßnahmen hängt grundsätzlich von mehreren Faktoren ab:
Qualität der Maßnahmen
Quantität der Maßnahmen
Vielfalt der Maßnahmen
Vernetzung der Maßnahmen
Es gibt nicht „die eine“ Maßnahme zum Schutz der Biodiversität, sondern ein vielfältiger, an die jeweiligen spezifischen Naturräume angepasster Mix ist notwendig.
Wissenschaftliche Untersuchungen haben ergeben, dass der Anteil an Biodiversitätsflächen bei 15 bis 20 Prozent liegen müsste, um einen positiven Effekt auf das Artenvorkommen auszuüben. Davon sollte ungefähr die Hälfte der Flächen für sogenannte „off-crop-Maßnahmen“ genutzt, also aus der landwirtschaftlichen Produktion herausgenommen werden. Die andere Hälfte sollte für „on-crop-Maßnahmen“ genutzt werden. Auf diesen Flächen kann weiter produziert werden, aber mit biodiversitätsschonenden Bewirtschaftungsmethoden. Beispiele für „off-crop-Maßnahmen“ sind: mehrjährige Brachen oder Blühflächen, Gehölzstrukturen, Kleingewässer, Nisthilfen, Totholzhaufen oder Natursteinmauern. Beispiele für on-crop-Maßnahmen sind: Minimalbodenbearbeitung, der Anbau von Zwischenfrüchten und Mischkulturen, Getreideanbau in sogenannter „Weiter Reihe“, Lerchenfenster oder Kiebitzfenster.
Auch bestimmte landwirtschaftliche Bewirtschaftungssysteme haben einen positiven Effekt auf die Biodiversität. Dazu gehören der Ökolandbauund der Integrierte Anbau (Artikel in Erstellung). Auch Agroforstsysteme fördern, neben vielen anderen positiven Effekten, die Artenvielfalt.
„Für Mensch und Umwelt“ ist der Leitspruch des UBA und bringt auf den Punkt, wofür wir da sind. In diesem Video geben wir Einblick in unsere Arbeit.
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