Luftqualitätswerte verstehen

Inhaltsverzeichnis

 

1. Richtwerte der Weltgesundheitsorganisation (WHO)

Zum Schutz der menschlichen Gesundheit veröffentlicht die Weltgesundheitsorganisation (⁠WHO⁠) sogenannte Air Quality Guideline Values (deutsch: WHO-Richtwerte). Diese sind rein wissenschaftlich abgeleitet.

Hierfür sichtet und analysiert die WHO die weltweit verfügbare wissenschaftliche Literatur, um den aktuellen Stand der Forschung zur Wirkung von Luftschadstoffen auf die Gesundheit zusammenzufassen. Auf dieser Basis entwickelt sie evidenzbasierte Richtwerte, die als sogenannte Luftgüteleitlinien (Air Quality Guidelines) veröffentlicht werden. Die Ableitung dieser Richtwerte erfolgt in einem mehrstufigen Verfahren, in das eine Vielzahl epidemiologischer Studien einfließt. Die aktuellste Version der Luftgüteleitlinien wurde im Jahr 2021 veröffentlicht und enthält zum Teil deutlich strengere Richtwerte als frühere Ausgaben. Ziel der WHO-Richtwerte ist es, ein möglichst hohes Schutzniveau für die Gesundheit der Bevölkerung weltweit sicherzustellen.

Die Überschreitung dieser Werte ist mit gewissen Gesundheitsrisiken verbunden. Es konnte nach wie vor keine Schwelle identifiziert werden, unterhalb derer keine gesundheitlichen Effekte mehr auftreten. Vielmehr zeigen die vorliegenden Studien einen klaren Zusammenhang: Je höher die Konzentration der Schadstoffe, desto größer das Risiko zu erkranken oder zu versterben.

Die WHO-Richtwerte gelten sowohl für kurzfristige Zeiträume (z. B. 1-Stunden-, 8-Stunden- oder Tagesmittelwerte) als auch für langfristige Zeiträume (z. B. Jahres- oder 6-Monatsmittelwerte).

Diese wissenschaftlich abgeleiteten WHO-Richtwerte sind Empfehlungen, die nicht rechtlich verbindlich sind. Sie dienen vielen Ländern als Grundlage für die Entwicklung eigener Luftqualitätsstandards, wie zum Beispiel Grenzwerten.

 

2. Grenz-, Ziel- sowie Schwellenwerte der EU-Richtlinien

Grenz-, Ziel- sowie Schwellenwerte in Europa gehen auf EU-Richtlinien zur Luftqualität (2008/50/EG, 2004/107/EG und früher) zurück. In den vergangenen Jahren wurde diese Richtlinie von der Europäischen Kommission umfassend überarbeitet und vom Europäischen Parlament und dem Rat der Europäischen Union im Herbst 2024 in neuer Fassung als Richtlinie über Luftqualität und saubere Luft für Europa (2024/2881) verabschiedet.

Bei der Festlegung der Werte und den zugrundeliegenden Begründungen wurden die Empfehlungen der Weltgesundheitsorganisation berücksichtigt. In den politischen Verhandlungsprozess flossen neben dem Gesundheitsschutz auch Aspekte wie technische Machbarkeit, wirtschaftliche Auswirkungen und soziale Verträglichkeit ein. Die so festgelegten Beurteilungswerte haben unterschiedliche rechtliche Bedeutungen:

Grenzwert-Definition aus der EU-Richtline: „Grenzwert ist ein Wert, der aufgrund wissenschaftlicher Erkenntnisse mit dem Ziel festgelegt wird, schädliche Auswirkungen auf die menschliche Gesundheit oder die Umwelt zu vermeiden, zu verhüten oder zu verringern, und der innerhalb eines bestimmten Zeitraums erreicht werden muss und danach nicht mehr überschritten werden darf.“

Grenzwerte sind gesetzlich verbindlich. Sie basieren auf wissenschaftlichen Erkenntnissen, werden aber auch unter Berücksichtigung politischer und wirtschaftlicher Machbarkeit festgelegt. Sie dienen ebenfalls dem Gesundheitsschutz. Bei Überschreitungen sind die Mitgliedstaaten verpflichtet, Luftreinhaltepläne zu erstellen. Mit diesen Plänen sind Maßnahmen zu ergreifen, um die Grenzwertüberschreitung so kurz und so gering wie möglich zu halten.

Auch hier gelten sowohl kurzfristige Bezugszeiträume (z. B. Stunden- oder Tagesmittelwerte) als auch langfristige (z. B. Jahresmittelwerte). Für die kurzfristigen Zeiträume sind für bestimme Schadstoffe eine gewisse Anzahl an Überschreitungen pro Kalenderjahr erlaubt.

Zielwert-Definition aus der EU-Richtline: „Zielwert ist ein Wert, der aufgrund wissenschaftlicher Erkenntnisse mit dem Ziel festgelegt wird, schädliche Auswirkungen auf die menschliche Gesundheit oder die Umwelt zu vermeiden, zu verhüten oder zu verringern, und der soweit wie möglich in einem bestimmten Zeitraum erreicht werden muss.“

Zielwerte gelten nur für den Schadstoff Ozon, welcher nicht direkt reguliert werden kann, da er aus Vorläufersubstanzen gebildet wird, die nur zum Teil menschlichen Ursprungs sind. Zielwerte sind politisch von Bedeutung aber nicht rechtlich verbindlich, wenngleich sie gesundheitlich sehr relevant sind. Die Mitgliedstaaten sollten sie soweit wie möglich erreichen und nicht überschreiten. Der Bezugszeitraum ist der maximale 8‑Stundenwert pro Tag.

Alarmschwellen-Definition aus der EU-Richtline: „Alarmschwelle ist ein Wert, bei dessen Überschreitung bei kurzfristiger ⁠Exposition⁠ ein Risiko für die Gesundheit der Bevölkerung insgesamt besteht und bei dem die Mitgliedstaaten unverzüglich Maßnahmen ergreifen müssen.“

Wird die Alarmschwelle überschritten, müssen sofortige Maßnahmen ergriffen werden, um die Luftbelastung kurzfristig zu senken. Die Schwelle ist als akuter Handlungswert gedacht, allerdings nur, wenn es verhältnismäßige Maßnahmen zur Minderung der Schadstoffbelastung gibt. Beim Ozon ist dies z.B. nicht der Fall. Die Bezugszeiträume sind Stunden- oder Tagesmittel.

Informationsschwellen-Definition aus der EU-Richtline: „Informationsschwelle ist ein Wert, bei dessen Überschreitung bei kurzfristiger Exposition ein Risiko für die menschliche Gesundheit für besonders empfindliche und gefährdete Bevölkerungsgruppen besteht und bei den unverzüglich geeigneten Informationen erforderlich sind.“

Bei Überschreitung der Informationsschwelle müssen die Behörden die Bevölkerung schnell und gezielt informieren, insbesondere gefährdete Gruppen wie Kinder, ältere Menschen oder Personen mit Vorerkrankungen. Auch hier gelten kurzzeitige Mittelwerte (z. B. Stunden- oder Tagesmittel).

 

3. Luftqualitätsindex (LQI) des Umweltbundesamts

Der Luftqualitätsindex (LQI) ist ein Informationsinstrument für die Öffentlichkeit. Er zeigt in Echtzeit, wie gut oder schlecht die aktuelle Luftqualität ist – basierend auf 1-Stunden-Mittelwerten mehrerer Schadstoffe, wobei der Schadstoff mit der schlechtesten Einzelbewertung den Gesamtindex definiert. Ziel des LQI ist es, der Bevölkerung eine leicht verständliche Einschätzung zu geben und ihr die Möglichkeit zu geben, das Verhalten an die Luftqualität anzupassen (z. B. beim Sport oder längeren Aufenthalten im Freien).

Die Luftqualität wird dabei in folgende Klassen eingeteilt: „sehr gut“, „gut“, „moderat“, „schlecht“ und „sehr schlecht“.

Die Klassengrenzen des LQI sind nicht rechtsverbindlich. Sie dienen ausschließlich der Information und gesundheitlicher Eigenverantwortung – im Gegensatz zu Grenzwerten, bei denen staatliches Handeln gesetzlich vorgeschrieben ist. Hier steht die Nutzbarkeit für die Bürgerinnen und Bürger und insbesondere empfindliche Menschen (zum Beispiel bei bestehenden Erkrankungen wie Asthma oder Herz-Kreislaufbeschwerden) im Vordergrund.

Warum lassen sich diese Werte nicht direkt miteinander vergleichen?

Obwohl sich alle genannten Werte auf die Luftqualität beziehen, sind sie nicht direkt vergleichbar. Der Grund dafür liegt in unterschiedlichen Zielsetzungen, Zeitbezügen, Verbindlichkeiten und Bewertungsansätzen:

Zielsetzungen: Die verschiedenen Beurteilungswerte verfolgen unterschiedliche Zwecke – sie sind also jeweils für ganz bestimmte Kontexte abgeleitet:

  • WHO⁠-Richtwerte basieren ausschließlich auf gesundheitlichen Erkenntnissen.
    Sie zeigen auf, ab welchen Konzentrationen negative Gesundheitseffekte auftreten können – unabhängig davon, wie leicht oder schwer diese Werte einzuhalten sind.
    Sie dienen als wissenschaftliche Empfehlung, nicht als verpflichtende Vorgabe.
  • EU-Grenz- und Zielwerte kombinieren wissenschaftliche Grundlagen mit politischen und wirtschaftlichen Erwägungen.
    Sie sollen den Gesundheitsschutz rechtlich absichern, berücksichtigen aber auch die technische Machbarkeit, wirtschaftliche Folgen und den Umsetzungsaufwand.
    Grenzwerte müssen gesetzlich eingehalten werden, Zielwerte sollen „soweit wie möglich“ erreicht und nicht überschritten werden.
  • Alarm- und Informationsschwellen dienen der kurzfristigen Risikobewertung
    Sie verpflichten Behörden, schnell zu handeln und die Bevölkerung zu informieren, wenn bestimmte Schwellen überschritten werden.
  • Der Luftqualitätsindex informiert die Bevölkerung in Echtzeit über die aktuelle Luftqualität.
    Er dient der Information, der Selbstschutzmöglichkeit und Verhaltensanpassung (z. B. auf Symptome zu achten, kein Sport bei hoher Luftschadstoffbelastung) – nicht der rechtlichen Regulierung.

Zeiträume: Viele Beurteilungswerte beziehen sich auf unterschiedliche Mittelungszeiträume:

  • WHO-Richtwerte und EU-Grenzwerte berücksichtigen sowohl kurzfristige Belastungen (z. B. Stunden- oder Tagesmittel) als auch langfristige Belastungen (z. B. Jahresmittelwerte).
  • Der LQI basiert hingegen ausschließlich auf 1-Stunden-Mittelwerten, um die Luftqualität aktuell abzubilden.

Verbindlichkeit: die Verbindlichkeit der Beurteilungswerte unterscheidet sich erheblich.

  • WHO-Richtwerte sind nicht rechtlich bindend, aber international anerkannt. Sie können gut zur Beurteilung der Luftqualität herangezogen werden.
  • EU-Grenzwerte sind gesetzlich verpflichtend – bei Überschreitung müssen Maßnahmen erfolgen.
  • Der LQI ist ein reines Informationsinstrument, mit gesundheitlicher Bedeutung im Sinne der Prävention aber ohne rechtliche Konsequenzen.

Ableitungsmethoden: Die Ableitungsmethoden der Werte sind unterschiedlich.

  • WHO-Richtwerte entstehen rein wissenschaftlich – basierend auf der Auswertung weltweiter Studien zu Gesundheitseffekten.
  • Politische Grenzwerte berücksichtigen zusätzlich:
    technische Umsetzbarkeit,
    Kosten-Nutzen-Abwägungen,
    soziale und wirtschaftliche Auswirkungen.
  • Der LQI des Umweltbundesamtes wird risikobasiert abgeleitet, indem epidemiologische Studien zu gesundheitlichen Auswirkungen ausgewertet und die Schadstoffwirkungen auf ⁠PM2,5⁠ als Referenz standardisiert werden, um eine direkte und vergleichbare gesundheitliche Relevanz in den Bewertungsklassen abzubilden.

Fazit

Die verschiedenen Luftqualitätswerte sind nicht direkt vergleichbar, da sie auf unterschiedlichen Grundlagen basieren, unterschiedliche Ziele verfolgen, verschiedene Zeiträume und Zielgruppen berücksichtigen und unterschiedlich verbindlich sind. Gemeinsam bilden sie jedoch ein umfassendes System zur Bewertung, Überwachung und Kommunikation der Luftqualität – von langfristigem Gesundheitsschutz bis zur tagesaktuellen Information der Bevölkerung.

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 Luftqualität