Obwohl das Zulassungssystem von Pflanzenschutzmitteln sehr komplex ist, ignoriert es Risiken für die Umwelt. Zum Beispiel werden Auswirkungen auf die Biodiversität nicht berücksichtigt. Daten, welche für die Bewertung von Pflanzenschutzmitteln verwendet werden, sind teils stark veraltet. Auch Auswirkungen der Summe der ausgebrachten Mittel werden nicht bewertet.
Akzeptable und nichtakzeptable Risiken von Pflanzenschutzmitteln
Pflanzenschutzmittel sind hochwirksame Chemikalien. Wenn sie in großen Mengen in die Landschaft ausgebracht werden, sind negative Effekte auf Tiere und Pflanzen absehbar. Aus diesem Grund ist vor der Zulassung von Pflanzenschutzmitteln eine Umweltrisikobewertung gesetzlich vorgeschrieben. Dabei wird mit Hilfe von Studien und Modellen abgeschätzt, wie sich das jeweilige Mittel in der Umwelt verhält und welchen Effekt es auf Tiere, Pflanzen und Grundwasser haben wird. Auf diese Weise ermittelte Risiken werden anhand festgelegter Kriterien in akzeptable und nichtakzeptable Risiken eingestuft. Ist das Risiko akzeptabel, kann das Pflanzenschutzmittel zugelassen werden. Ist das Risiko auch mit Schutzmaßnahmen nicht akzeptabel, wird die Zulassung verweigert. Das Zulassungssystem weist jedoch Lücken und blinde Flecken auf. Dadurch werden Risiken unterschätzt oder gar nicht erst betrachtet.
Viele Organismengruppen werden nicht betrachtet
Das Risiko eines Pflanzenschutzmittels wird für folgende Organismengruppen bewertet: Vögel, Säugetiere, Gewässerorganismen (Fische, Wirbellose, Algen, Wasserpflanzen), Honigbienen, Arthropoden (Insekten und Spinnentiere), Regenwürmer und Bodenarthropoden sowie Pflanzen. Amphibien und Reptilien hingegen fehlen in der Risikobewertung. Dabei sind gerade Amphibien mit ihrer durchlässigen, feuchten Haut besonders gefährdet, wenn sie mit Pflanzenschutzmitteln in Berührung kommen. Untersuchungen im Auftrag des UBA haben gezeigt, dass Frösche durch Übersprühen mit den üblichen Mengen von Pflanzenschutzmitteln direkt sterben können. Daher ist es wahrscheinlich, dass die derzeitige Praxis des chemischen Pflanzenschutzes stark zum Rückgang der Amphibien in der Agrarlandschaft beiträgt.
Aber auch Organismengruppen, die prinzipiell in der Zulassung betrachtet werden, sind nicht immer vollständig berücksichtigt. Bei Arthropoden wird zwar untersucht, wie sich getrocknete Pflanzenschutzmittelrückstände auf Nützlinge auswirken. Pflanzenfressende Insekten, die übersprühtes Pflanzenmaterial fressen, sind jedoch nicht Teil der Bewertung. Es ist davon auszugehen, dass diese Tiere stärker von den Auswirkungen betroffen sind, als es die derzeitige Risikobewertung anzeigt.
Pflanzen sind als „Unkräuter“ auch selbst das Ziel von Pflanzenschutzmitteln. Gleichzeitig sind Ackerwildkräuter ein wichtiger Bestandteil der Agrarökosysteme, denn sie dienen z. B. Insekten als Nahrung und Lebensraum. Trotzdem werden die Auswirkungen auf Pflanzen in den Feldern nicht betrachtet. Lediglich Effekte auf Pflanzen im Saumbereich neben den Feldern werden im Zulassungsverfahren bewertet. Damit sind die Ackerwildkräuter in den Feldern derzeit in keiner Weise vor den Auswirkungen von Pflanzenschutzmitteln geschützt.
Auswirkungen auf die Biodiversität werden nicht berücksichtigt
Ackerwildkräuter sind die Grundlage für Lebensgemeinschaften auf dem Acker. Fehlen alle Pflanzen mit Ausnahme der Kulturpflanze, dann fehlt das Futter und der Lebensraum für zahlreiche Wirbeltiere und Insektenarten. Fehlen die Insekten, dann finden insektenfressende Vögel und Säugetiere keine Nahrung. Der Rückgang vieler Feldvogelarten zeigt diese Zusammenhänge eindrücklich. Innerhalb von zwölf Jahren ging beispielsweise der Bestand an Feldlerchen um 34 Prozent und an Rebhühnern um 94 Prozent zurück. Obwohl die Auswirkungen von Pflanzenschutzmitteln auf die Biodiversität gut untersucht sind, wird dieser Aspekt im Zulassungsverfahren bislang außen vor gelassen. Das liegt daran, dass es noch keine EU-weit gültige Bewertungsmethode für Auswirkungen von Pflanzenschutzmitteln auf das Nahrungsnetz gibt. Die Pflanzenschutzmittel-Verordnung schreibt aber vor, dass es für jeden Bewertungsbereich ein verbindliches Regelwerk geben muss. Solange dies für Biodiversität nicht der Fall ist, werden weiterhin auch Mittel zugelassen, welche der Artenvielfalt schaden.
Weiterentwicklung der Bewertungsleitlinien dauert sehr lange
Für jeden Bereich, in dem eine Risikobewertung durchgeführt wird, gibt es verbindlich vorgeschriebene Leitlinien. Diese „Guidance Documents“ sind wissenschaftliche Ausarbeitungen, die detailliert die Risikobewertung erläutern. Sie werden von Teams erstellt, die sich aus Expert*innen zahlreicher EU-Mitgliedstaaten zusammensetzen. Die Erstellung und Weiterentwicklung dieser Leitlinien ist umfangreich und sehr zeitaufwendig. Für einige Bewertungsbereiche liegen aktuelle Leitlinien vor. Für andere Bereiche jedoch müssen Leitlinien verwendet werden, die stark veraltet sind. Dies betrifft beispielsweise die Leitlinien für Bodenlebewesen, Pflanzen und Gliedertiere (Arthropoden). Für diese Organismengruppen ist das aktuell gültige Guidance Document über 20 Jahre alt. Schon in den Jahren 2014 bis 2016 wurden wissenschaftliche Vorarbeiten für eine neue Risikobewertung für Bodenlebewesen, Pflanzen und Gliedertiere veröffentlicht. Trotzdem wurden noch keine verbindlichen neuen Leitlinien erarbeitet und verabschiedet. Die Auswirkungen auf diese Tiere und Pflanzen werden daher nach einem veralteten Wissensstand bewertet. Dadurch kann es zur Unterschätzung der Risiken von Pflanzenschutzmitteln kommen. Es wird ein akzeptables Risiko errechnet, in der Realität bestehen aber weit höhere Risiken.
Fehlerhafte Annahmen zur Erholung von Arthropoden und Bodentieren
Wenn ein Pflanzenschutzmittel ausgebracht wird, verbleibt der Großteil davon auf dem Feld. Tiere, die in den Feldern leben, sind den Mitteln völlig ausgesetzt. Die wenigsten Wirkstoffe wirken spezifisch gegen einzelne Schädlinge. So haben z. B. die allermeisten Insektizide ein breites Wirkspektrum. Sie wirken sowohl gegen den jeweiligen Schädling, als auch gegen viele andere in den Feldern lebende Insekten. Viele Pflanzenschutzmittel sind auch giftig für Regenwürmer und andere Bodentiere. Diese schädlichen Effekte auf Insekten, Spinnentiere, Regenwürmer und andere Bodenlebewesen werden zwar in der Risikobewertung festgestellt und würden zu einer Nichtzulassung des jeweiligen Mittels führen. Wenn der Pflanzenschutzmittelhersteller aber Studien einreicht, die zeigen, dass die Giftwirkung des Mittels innerhalb eines Jahres nach der Anwendung so stark nachlässt, dass sich die betroffenen Populationen durch Wiedereinwanderung erholen könnten, dann kann und muss dieses Mittel nach geltenden Bestimmungen zugelassen werden. Die Bedingungen in diesen Studien sind jedoch weitaus günstiger als in der Realität, so dass die tatsächlichen Risiken unterschätzt werden.
Wenn nach der Anwendung eines Mittels Tiere im Feld gestorben sind, dann sollen danach neue Tiere aus der umliegenden Landschaft in das Feld einwandern. Studien zur Erholung von Insekten oder Regenwürmern werden als sogenannte Freilandstudien durchgeführt. Hier werden auf definierten Flächen die Auswirkungen des Mittels ein Jahr lang untersucht. Die Testflächen haben jedoch im Durchschnitt nur ein Fünfzehntel der Größe realer Felder und können dadurch deutlich leichter wiederbesiedelt werden. Eine Einwanderung zahlreicher Insekten- und Regenwurmarten in ein Feld ist zudem nur möglich, wenn das Feld von artenreichen Lebensräumen umgeben ist, in denen diese Tierarten vorkommen. Die deutsche Agrarlandschaft ist in vielen Regionen, vor allem in Nord- und Ostdeutschland, jedoch ausgesprochen strukturarm. Oftmals liegen intensiv bewirtschaftete Felder direkt neben anderen intensiv bewirtschafteten Feldern. Es fehlen hier artenreiche Habitate als Quellen für eine erfolgreiche Wiederbesiedlung.
Eine Erholung der geschädigten Population kann weiterhin durch erfolgreiche Fortpflanzung der verbliebenen Tiere erfolgen. Auch wenn dies in den vorgelegten Studien gezeigt werden kann, ist die Übertragbarkeit auf reale Bedingungen zweifelhaft, denn die Flächen in Freilandstudien werden nur mit dem zu testenden Mittel behandelt. Die Studien werden also auf weitestgehend rückstandsfreien Flächen unter nahezu optimalen Bedingungen durchgeführt. In der Realität ist es aber so, dass ein konventionell bewirtschaftetes Feld in einer Saison mehrfach behandelt wird, oft auch mit mehreren Mitteln gleichzeitig. Diese Mehrfachanwendungen können dazu führen, dass eine Erholung durch Fortpflanzung nicht stattfindet, weil die verbliebenen Tiere zeitnah durch ein anderes Mittel ein weiteres Mal geschädigt werden. Außerdem verbleiben viele Pflanzenschutzmittelrückstände auch über mehrere Anbausaisons im Boden, so dass besonders Bodenbewohner schon vor der Anwendung des ersten Mittels unter einem höheren toxischen Stress stehen.
Gesamtrisiko von Spritzserien und Tankmischungen wird nicht betrachtet
Pflanzenschutzmittel werden selten einzeln angewendet. Meistens werden mehrere Mittel in einer Tankmischung gleichzeitig ausgebracht. Über eine Anbausaison hinweg werden die Kulturpflanzen mit mehreren solcher Tankmischungen behandelt. Die Anzahl der Mittel und Behandlungen unterscheiden sich zwischen den Kulturen stark. Mit durchschnittlich 20 Pflanzenschutzbehandlungen pro Saison werden z. B. Äpfel besonders intensiv behandelt. Man geht davon aus, dass sich die negativen Effekte der meisten Wirkstoffe einer Tankmischung aufsummieren. Bei manchen Mischungen kann es aber auch zu einer intensiven Wirkverstärkung kommen. Man spricht dann von synergistischen Wirkungen. Die Abfolge von mehreren Anwendungen innerhalb einer Saison kann die ökologischen Prozesse auf den Feldern zum Erliegen bringen. Untersuchungen im Auftrag des UBA haben gezeigt, dass das Gesamtrisiko der Pflanzenschutzmittelwendungen in einer Saison im Durchschnitt doppelt bis fünfmal höher ist als das höchste Einzelrisiko aller angewendeten Produkte. Trotzdem wird die Umweltrisikobewertung für jedes Produkt separat durchgeführt. Kombinationswirkungen und Spritzserien werden nicht betrachtet. Das in der Realität von der Gesamtheit des Pflanzenschutzmitteleinsatzes ausgehende Risiko wird dadurch unterschätzt.
Datenbasis kann interessengeleitet sein
Um das Umweltverhalten und die Umweltauswirkungen eines Pflanzenschutzmittels zu untersuchen, werden standardmäßig Laborstudien durchgeführt. Diese sollen z. B. den Abbau eines Wirkstoffs im Boden untersuchen, so dass eine Vorhersage zum Abbau des Wirkstoffs im Feld getroffen werden kann. Die realen Umweltbedingungen sind jedoch sehr variabel und werden von der geographischen Lage, dem Wetter oder kleinräumigen Gegebenheiten beeinflusst. Deshalb werden in der ersten Stufe der Risikobewertung sehr allgemeine Annahmen getroffen, welche die Variabilität im Feld abdecken sollen. Wird mit diesen Modellen jedoch ein zu hohes Risiko errechnet, dann reichen die Herstellerfirmen sogenannte „verfeinerte Bewertungen“ ein. Diese sollen die Auswirkungen auf Tiere und Pflanzen realitätsnäher beschreiben. Diese Entwicklung ist aus fachlicher Sicht äußerst kritisch zu beurteilen. Für die gesetzlich vorgeschriebenen Laborstudien gibt es genaue Anweisungen, wie die Studien durchgeführt und ausgewertet werden müssen. Bei den „verfeinerten Bewertungen“ jedoch haben die Herstellerfirmen viele Möglichkeiten, die Studien nach eigenen Plänen durchzuführen. Die anschließende Prüfung in den Bewertungsbehörden ist zeitaufwändig und benötigt viel fachliche Expertise. Je häufiger solche spezifischen Entscheidungen getroffen werden, desto weniger transparent und öffentlich nachvollziehbar werden die Zulassungsentscheidungen. Gleichzeitig ist fraglich, ob in Anbetracht der hier beschriebenen Bewertungslücken solche „verfeinerten Bewertungen“ wirklich eine realitätsnähere Beschreibung liefern als die Standard-Studien. Das Umweltbundesamt plädiert für eine stärkere Standardisierung der Bewertungsmethoden und für eine Fokussierung auf das Management der Umweltrisiken, anstatt die Risiken durch immer komplexere Modelle „wegzurechnen“.
Für jeden Bereich der Umweltbewertung werden Laborversuche an Tieren oder Pflanzen durchgeführt. Dabei werden nur einzelne Stellvertreter-Arten verwendet. Das sind oftmals Arten, die sich gut im Labor halten bzw. züchten lassen. Allzu oft zeigt sich jedoch, dass diese Arten weniger empfindlich auf Pflanzenschutzmittel reagieren, als die in der Agrarlandschaft lebenden Tiere und Pflanzen. Beispielsweise werden für die Betrachtung der Risiken für Pflanzen fast ausschließlich Tests an Kulturpflanzen durchgeführt. Diese sind jedoch aufgrund ihrer langen Kultivierungsgeschichte nicht mit Ackerwildkräutern vergleichbar.
Insgesamt werden die für eine Zulassung benötigten Studien stets von den Herstellerfirmen in Auftrag gegeben. Regelmäßig zertifizierte Vertragslabore führen die Studien durch. Bisher bleibt für die Bewertungsbehörden allerdings im Verborgenen, wie viele Studien zu einem Bewertungsbereich durchgeführt wurden und ob tatsächlich alle oder nur die jeweils vorteilhaftesten eingereicht wurden. In Zukunft soll sich das ändern, für die EU-weite Wirkstoffgenehmigung müssen die durchzuführenden Studien dann vorher angemeldet werden. Dies soll Manipulationsmöglichkeiten einschränken.
Komplexes, schwerfälliges Verfahren
Jedes Pflanzenschutzmittel besteht aus einem oder mehreren Wirkstoffen. Die Wirkstoffe werden EU-weit genehmigt. Die Pflanzenschutzmittelprodukte werden in jedem EU-Mitgliedstaat separat zugelassen. In beiden Verfahren wird eine Risikobewertung durchgeführt, deren Basis Studien und Berechnungen sind. Dabei beziehen sich die Behörden aller EU-Mitgliedstaaten auf die Studien aus der Wirkstoffgenehmigung. Nach der Verordnung (EG) Nr. 1107/2009 sollen die Wirkstoffe alle 7 bis 15 Jahre das Genehmigungsverfahren erneut durchlaufen und nach dem aktuellen Stand von Wissenschaft und Technik bewertet werden. Die Praxis zeigt jedoch, dass sich diese Verfahren in vielen Fällen über Jahre hinziehen. Solange ein Verfahren zur Wiedergenehmigung nicht abgeschlossen wurde, wird die Genehmigung des jeweiligen Wirkstoffs immer wieder verlängert. Währenddessen werden weiterhin national Produkte mit diesem Wirkstoff zugelassen, obwohl dessen Datenbasis immer älter wird. Denn solange ein Genehmigungsverfahren nicht abgeschlossen ist, dürfen neue Studien, auch wenn sie schon vorliegen und ausgewertet wurden, nicht verwendet werden.
Bestehende Zulassungen werden kaum angepasst
Nicht nur das Genehmigungsverfahren der Wirkstoffe ist schwerfällig. Jedes in Deutschland zugelassene Pflanzenschutzmittelprodukt wird für 7 bis 15 Jahre zugelassen. Während dieser Zeit wird im Normalfall keine Anpassung der Zulassung vorgenommen – auch wenn zwischenzeitlich neue Informationen dazu führen, dass neu beantragte ähnliche Produkte strenger bewertet werden. Dadurch können bestimmte Mittel in Mengen in die Umwelt gelangen, die zum damaligen Zeitpunkt akzeptabel erschienen, zum jetzigen Zeitpunkt aber als schädlich bewertet werden würden.
Dieser Missstand spiegelt sich deutlich in den Ergebnissen des Kleingewässermonitorings wieder. Wissenschaftler*innen untersuchten hier im Auftrag des UBA bundesweit über 100 Kleingewässer der Agrarlandschaft auf Pflanzenschutzmittel. Das Ergebnis zeigt, dass in 80 Prozent der Gewässer die gemessenen Pflanzenschutzmittelwirkstoffe die akzeptablen Werte überschreiten. Die Autor*innen der Studie gehen davon aus, dass diese Überschreitungen nicht durch falsche Anwendung der Mittel oder fehlerhafte Vorhersagen verursacht wurden. Wahrscheinlicher ist, dass derzeit viele Mittel noch in Mengen und mit Auflagen ausgebracht werden dürfen, zu denen sie heute nicht mehr zugelassen werden würden.
Mangelhafte Überwachung von Pflanzenschutzmittelrückständen
In der Risikobewertung von Pflanzenschutzmitteln werden stark verallgemeinerte Modelle verwendet, um die Ausbreitung der Wirkstoffe in der Umwelt zu berechnen. Die Lebensräume und Bedingungen in der Umwelt sind jedoch sehr variabel und die Vorgänge komplex. In manchen Fällen lag die Zulassung der Mittel so weit zurück, dass diese Berechnungen auf heute veralteten Modellen oder Daten beruhen. Wie hoch die Konzentrationen von Pflanzenschutzmittelwirkstoffen und ihren Abbauprodukten in der Umwelt tatsächlich sind, ist meist unbekannt. Es gibt derzeit kein systematisches und für Deutschland repräsentatives Monitoring, welches die Konzentrationen von Pflanzenschutzmitteln in sämtlichen betroffenen Umweltbereichen und deren Auswirkungen auf Ökosysteme und auf Organismen erfasst. Messungen in Forschungsprojekten wie dem Kleingewässermonitoring zeigen aber, dass die derzeitigen Konzentrationen vieler Pflanzenschutzmittelwirkstoffe in der Umwelt schädlich sind. Somit besteht hier ein dringender Handlungsbedarf.
Mit einem umfangreichen Überwachungssystem für Pflanzenschutzmittelrückstände und deren Umweltauswirkungen nach der Zulassung könnten die tatsächlichen Risiken für die Ökosysteme erhoben und ausgewertet werden. Es könnte auch ermittelt werden, ob und welche Schutzmaßnahmen für die Umwelt beim Ausbringen von Pflanzenschutzmitteln wirksam sind. Denn die meisten Pflanzenschutzmittel werden in Verbindung mit Schutzmaßnahmen für die Umwelt zugelassen. Diese Risikominderungsmaßnahmen können z. B. einzuhaltende Abstände zu Gewässern oder zu Saumbereichen sein.
Fehlende Informationen über tatsächlich ausgebrachte Pflanzenschutzmittel
Derzeit liegen den Behörden keine Informationen vor, welche Mittel Landwirt*innen tatsächlich in den Äckern, Obstgärten und Weinbergen ausbringen. Deshalb können die Auswirkungen der Mittel, die gleichzeitig in Tankmischungen und/oder nacheinander in Spritzfolgen ausgebracht werden, nicht abgeschätzt werden. Es wäre deshalb nötig, dass die Landwirtschaftsbetriebe ihre Daten zur Anwendung und zu den umgesetzten Schutzmaßnahmen anonymisiert den zuständigen Behörden und wissenschaftlichen Instituten zur Verfügung stellen. Im November 2022 wurde die Verordnung (EU) 2022/2379 verabschiedet. Das als SAIO (Statistics on Agricultural Input and Output) bekannte europäische Regelwerk legt fest, welche Daten von der Agrarwirtschaft zu erheben sind. Hier wurde bestimmt, dass ab 2028 alle landwirtschaftlichen Betriebe ihre Daten zur Anwendung von Pflanzenschutzmitteln in ein elektronisches Datenregister eintragen müssen. In Deutschland ist jedoch schon eher mit der Verfügbarkeit dieser Daten zu rechnen. Grund sind mehrere Gerichtsurteile, in denen es heißt, dass diese Daten allgemein verfügbar sein müssen.
Problem mit schlecht abbaubaren Wirkstoffen
Viele Pflanzenschutzmittelwirkstoffe sind äußerst langlebig. Sie werden als persistent eingestuft, wenn sie über viele Jahre in der Umwelt verbleiben und nicht oder nur sehr langsam abgebaut werden können. Wird so ein Wirkstoff über viele Jahre immer wieder auf einem Acker ausgebracht, kann er sich im Boden anreichern. Auch wenn die ausgebrachte Menge als akzeptabel für Bodenlebewesen bewertet wird, kann die Langzeitwirkung solch eines Stoffes nicht sicher vorhergesagt werden. Manche Wirkstoffe bilden zudem sogenannte nicht-extrahierbare Rückstände im Boden. Das sind Substanzen, die sehr fest an die Bodenmatrix gebunden sind. Sie haben keine akuten negativen Auswirkungen auf Bodenlebewesen und gehen auch nicht ins Grundwasser. Allerdings können sie bei einer Änderung von Umweltbedingungen (Temperatur, Niederschläge, pH-Werte) später freigesetzt und wirksam werden. Andere persistente Wirkstoffe oder deren Abbauprodukte wiederum verbleiben nicht im Boden, sondern werden aus den Feldern ausgewaschen und gelangen in die Gewässer und in das Grundwasser. Persistente Stoffe, die einmal in den Gewässerkreislauf gelangt sind, können auch mit technischen Verfahren nicht wieder entfernt werden. Zudem sind schädliche Wirkungen für Menschen zu bedenken, wenn diese Stoffe in das Trinkwasser gelangen. Im Vergleich zu Pflanzenschutzmittelwirkstoffen werden deren Abbauprodukte deutlich weniger intensiv auf ihre Auswirkungen für Mensch und Natur getestet. Auch ihre Versickerung ins Grundwasser wird in der Praxis unzureichend berücksichtigt, weil gesetzlich verbindliche Grenzwerte fehlen und nur wenige, ausgewählte Stoffe überhaupt erfasst werden.
Es gibt noch viel zu tun
Manche der hier beschriebenen Lücken und blinden Flecken entstehen durch Unzulänglichkeiten des Zulassungssystems. Andere entstehen durch die Gesamtheit des chemischen Pflanzenschutzes. Um die Lücken zu schließen, bedarf es einer ständigen Weiterentwicklung der Umweltrisikobewertung und des Zulassungssystems. Gleichzeitig ist ein übergreifendes Risikomanagement notwendig, um die Auswirkungen des chemischen Pflanzenschutzes auf die Artenvielfalt und Ökosysteme zu kompensieren. Die Vielzahl und Komplexität der blinden Flecken zeigen deutlich, dass chemischer Pflanzenschutz eine Risikotechnologie ist, deren Auswirkungen nicht vollständig erfasst und beherrscht werden können. Die langfristige Reduktion des Einsatzes von Pflanzenschutzmitteln ist daher die einzig nachhaltige Lösung. Hierzu beteiligt sich das UBA (Artikel in Erstellung) am öffentlichen Diskurs und setzt sich für wissenschaftsbasierte und praktikable Lösungen ein.
„Für Mensch und Umwelt“ ist der Leitspruch des UBA und bringt auf den Punkt, wofür wir da sind. In diesem Video geben wir Einblick in unsere Arbeit.
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