Jeder Lebensabschnitt hat seine Besonderheiten. Während man bis vor Kurzem davon ausgegangen ist, dass Kinder besonders sensibel auf Umwelteinflüsse reagieren und Erwachsene und besonders alte Menschen geringer unter gesundheitlich abträglichen Umweltbedingungen leiden, setzt sich seit einigen Jahren vermehrt eine neue Erkenntnis durch: Bei der Betrachtung von Umwelteinflüssen sollte auch anderen Lebensphasen Beachtung geschenkt werden.
Der Grund ist, dass bei der Entstehung von Krankheiten der oft jahrzehntelange Einfluss von Umweltfaktoren oder Umweltchemikalien eine relevante Rolle spielen kann. Derartige Umwelt-Risikofaktoren werden von der Umweltmedizin seit vielen Jahren betrachtet und bewertet. So ist zum Beispiel unbestritten, dass hohe Ozonwerte in der Luft asthmatische Beschwerden verschlimmern können oder bei hoher Luftverschmutzung die Zahl der Einweisungen aufgrund von Herz-Kreislaufkrankheiten in Krankenhäuser ansteigt.
Aber erst in jüngerer Zeit stehen auch Alterserkrankungen unter Verdacht, unter anderem durch Umweltfaktoren verursacht oder zumindest beeinflusst zu sein. Zu letzteren zählen die sogenannten Alterskrankheiten wie Morbus Parkinson oder die Alzheimer-Demenz.
Das Umweltbundesamt wird sich daher zukünftig mit der Rolle der Umweltschadstoffe bei der Entstehung dieser mit dem Lebensalter assoziierten Krankheiten beschäftigen und beabsichtigte Forschung zu diesem Thema zu unterstützen. Sollten aus dieser Forschung mögliche Präventionsmaßnahmen ableitbar sein, wäre dies ein großer gesellschaftlicher Gewinn: Derzeit leiden weit mehr als 1 Million Menschen in Deutschland an Demenz und rund 250.000 Menschen an Morbus Parkinson (Böhm et al. 2009, DIGU 2008). Die Krankheiten stellen für die Betroffenen, die pflegenden Personen und in der Summe für unsere Gesellschaft eine immense Herausforderung dar.
Die im Verlauf der Krankheiten ablaufenden Prozesse können zwar erklärt werden, zu den eigentlichen Ursachen gibt es aber bislang keine einheitlichen Hypothesen. Gemeinsam ist den Erkrankungen ein Absterben von Gehirnzellen und es ist besonders problematisch, dass dies zumindest nach Erreichen eines fortgeschrittenen Stadiums nicht heilbar und nur begrenzt aufzuhalten ist.
Es gibt plausible Vermutungen, warum Umweltschadstoffe für diese Vorgänge eine Rolle spielen könnten. So können Umweltschadstoffe direkt auf das Gehirn wirken oder andere Organe oder Hormone beeinflussen, die für neurologische Funktionen verantwortlich sind. Schadstoffe, die mit solchen Alterskrankheiten im Zusammenhang gebracht werden, sind unter anderem: Schwermetalle wie Blei und Quecksilber, Aluminium, Lösemittel wie Toluol, Pestizide, der Feinstaub in der Umgebungsluft und hormonell wirkende Substanzen wie Bisphenol A. In der internationalen wissenschaftlichen Literatur gibt es eine Vielzahl von Übersichtsarbeiten zu diesem Thema, die wichtigsten haben wir angefügt.
Es gibt viele Schwierigkeiten, die Rolle von Umwelteinflüssen und Schadstoffen im Krankheitsgeschehen aufzuklären. So ist anzunehmen, dass wenig über die Rolle von Expositionen gegenüber Schadstoffen bekannt ist, weil die diagnostizierenden Ärztinnen und Ärzte die Patientinnen und Patienten üblicherweise nicht danach fragen (Grossmann 2014). Bei wissenschaftlichen epidemiologischen Studien gibt es methodische Probleme; zum Beispiel
- sind vergangene, evtl. lange zurückliegende Schadstoffexpositionen schwierig zu beschreiben und zu quantifizieren,
- liegen häufig Mischexpositionen gegenüber vielen Einzelsubstanzen jeweils in geringer Dosis vor, und
- dürfen alle anderen nicht stofflichen Einflüsse, zum Beispiel des Lebensstils, die Studienergebnisse nicht verfälschen.
Aktuelle in der wissenschaftlichen Literatur beschriebene Ansätze zur Vorbeugung und eventuelle Umkehrung des Krankheitsverlaufs von Alzheimer basieren auf einer Veränderung der bisher bekannten Risikofaktoren hin zu einem gesünderen Lebensstil (unter anderem physische Bewegung und geistige Aktivität) und der Ernährung (Bredesen 2014, Ngandu et al. 2015). Ein wichtiger Baustein könnte aber auch die Reduzierung von Umweltbelastungen sein. Eine Studie der Universität Düsseldorf hat zum Beispiel gezeigt, dass bei Frauen im Alter von 68 bis 79 Jahren ein Zusammenhang zwischen ihren Ergebnissen bei kognitiven Tests und ihrer Nähe zum Straßenverkehr besteht (Ranft et al. 2009). Eine aktuelle Studie aus Dänemark zeigt auf, dass ein entsprechender Zusammenhang auch für Parkinson eine Rolle spielen könnte (Ritz et al. 2015).
Zitierte Literatur:
Böhm K, Tesch-Römer C, Ziese T: Gesundheit und Krankheit im Alter. Beiträge zur Gesundheitsberichterstattung des Bundes. Robert Koch-Institut, Berlin, 2009.
Bredesen DE: Reversal of cognitive decline: A novel therapeutic program. AGING 6, 9 (2014) 707-717.
DIGU (Deutscher Informationsdienst Gesundheit und Umwelt): Morbus-Parkinson: Komplexes Zusammenspiel von Umwelteinflüssen und Genen. Helmholtz Zentrum München, 2008.
Grossmann E: Time after time, environmental influences on the aging brain. Environmental Health Perspectives 122, 9 (2014) A238-A243.
Ngandu T: A 2 year multidomain intervention of diet, exercise, cognitive training, and vascular risk monitoring versus control to prevent cognitive decline in at-risk elderly people (FINGER): a randomised controlled trial. Lancet 385, 9984 (2015) 2255-2263.
Ranft U, Schikowski T, Sugiri D, Krutman J, Krämer U: Long-term exposure to traffic-related matter impairs cognitive function in the elderly. Environmental Research 109 (2009) 1004-1011.
Ritz B, Lee P-C, Hansen J, Funch Lassen C, Ketzel M, Sörensen M, Raaschou-Nielsen O: Traffic-related air pollution and Parkinson's Disease in Denmark: A Case-Control study. Environmental Health Perspectives DOI 10.1289/ehp.1409313.
Auswahl an wissenschaftlicher Übersichtsliteratur zur Rolle von Umweltschadstoffen:
Chin-Chan M, Navarro-Yepes, Quintanilla-Vega: Environmental pollutants as risk factors for neurodegenerative disorders: Alzheimer and Parkinson diseases. Frontiers in Cellular Neurosciences 9, 124 (2015) 1-22.
Goldman SM: Environmental toxins and Parkinson's disease. Annual Reviews Pharmacology and Toxicology 54 (2014) 141-164.
Kieburtz K, Wunderle KB: Parkinson's disease: Evidence for environmental risk factors. Movement Disorders 28, 1 (2013) 8-13.
Myers N (Hrsg.): Environmental threats to healthy aging. Chapter 7: Environmental factors in the development of dementia. Greater Boston Physicians for Social Responsibility and Science and Environmental Health Network, Boston, 2008.