Auswirkungen des Lärms auf die Gesundheit
Lärm ist ein Stressfaktor. Er aktiviert das autonome Nervensystem und das hormonelle System. Als Folge kommt es zu Veränderungen bei Blutdruck, Herzfrequenz und anderen Kreislauffaktoren. Der Körper schüttet vermehrt Stresshormone aus, die ihrerseits in Stoffwechselvorgänge des Körpers eingreifen. Die Kreislauf- und Stoffwechselregulierung wird weitgehend unbewusst über das autonome Nervensystem vermittelt. Die autonomen Reaktionen treten deshalb auch im Schlaf und bei Personen auf, die meinen, sich an Lärm gewöhnt zu haben.
Zu den möglichen Langzeitfolgen chronischer Lärmbelastung gehören neben den Gehörschäden auch Änderungen bei biologischen Risikofaktoren (z. B. Blutfette, Blutzucker, Gerinnungsfaktoren). Auch Herz-Kreislauf-Erkrankungen wie arteriosklerotische Veränderungen („Arterienverkalkung”), Bluthochdruck und bestimmte Herzkrankheiten, einschließlich Herzinfarkt, können durch Lärm verursacht werden.
Höheres Risiko für Bluthochdruck
Im Forschungsprojekt „Epidemiologische Untersuchungen zum Einfluss von Lärmstress auf das Immunsystem und die Entstehung von Arteriosklerose” (s. Publikationen) untersuchte das Umweltbundesamt über 1.700 vorwiegend ältere Menschen aus Berlin. Die Auswertung ergab, dass Menschen in lauten Wohngebieten häufiger wegen Bluthochdrucks in ärztlicher Behandlung waren als diejenigen in weniger lärmbelasteten Gebieten. So hatten Menschen, die nachts vor ihrem Schlafzimmerfenster einen mittleren Schallpegel von 55 dB(A) oder mehr hatten, ein fast doppelt so hohes Risiko, wegen Bluthochdrucks in ärztlicher Behandlung zu sein, als diejenigen, bei denen der Pegel unter 50 dB(A) lag.
Darüber hinaus zeigten sich statistische Zusammenhänge zwischen der nächtlichen Belastung durch Verkehrsgeräusche am Wohnort und Beeinträchtigungen des Immunsystems und des Stoffwechsels. Im Gegensatz zum nächtlichen Verkehrslärm wies die Lärmbelastung am Tag einen weniger deutlichen Zusammenhang mit ärztlichen Behandlungen der genannten Krankheiten auf. Die Häufigkeit ärztlicher Behandlungen psychischer Störungen hingegen zeigte einen starken Zusammenhang mit der subjektiv empfundenen Störung durch Lärm am Tag.
Die Forschungsergebnisse zeigen, dass der menschliche Organismus während der nächtlichen Ruhephase auf Lärm empfindlicher reagiert als in der aktiven Phase am Tag. Außerdem wird deutlich, wie wichtig Lärm mindernde Maßnahmen zum Schutz der Nachtruhe sind, um gesundheitliche Beeinträchtigungen zu vermeiden.
Höheres Herzinfarkt-Risiko
Der Zusammenhang zwischen Umweltlärm, Arbeitslärm und Herzinfarkt (Myokardinfarkt) untersuchte die Studie „Chronischer Lärm als Risikofaktor für den Myokardinfarkt – ‚NaRoMI’-Studie” – im Auftrag des UBA und der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin (s. Publikationen). Die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler befragten 4.115 Patientinnen und Patienten in Berliner Kliniken in einer „Fall-Kontroll-Studie”. Jedem Herzinfarktpatienten stand ein (bei Frauen zwei) gleichaltriger Kontrollpatient gegenüber, der wegen eines lärmunabhängigen Leidens in Behandlung war, zum Beispiel einem Unfall. Das Ergebnis: Die an Herzinfarkt erkrankten Männer wohnten häufiger an lauteren Straßen als die Kontrollpatienten. Dies zeigte sich besonders deutlich, wenn nur Personen betrachtet wurden, die schon länger – mindestens zehn Jahre – in ihrer Wohnung lebten. Darüber hinaus gab es eine klare „Dosis-Wirkungs-Beziehung”: Männer in lauten Wohnungen (mit einem Tages-Mittelungspegel von über 65 dB(A) außerhalb der Wohnung), hatten ein um 20 bis 30 Prozent höheres Risiko, einen Herzinfarkt zu erleiden, als Männer aus ruhigeren Gebieten (Tages-Mittelungspegel bis 60 dB(A)). Bei den Frauen war kein eindeutiger Zusammenhang des Herzinfarktrisikos mit der Straßenverkehrslärmbelastung feststellbar.
Unterschiedliche Aktivitäten von Frauen und Männern im Tagesverlauf könnten dafür eine Rolle spielen; darüber hinaus könnte es bei den Daten der Frauen statistische Verzerrungen durch den unbekannten Menopausenstatus und die nicht erhobene Einnahme von Hormonpräparaten gegeben haben.
Zwischen der Lärmbelastung am Arbeitsplatz und dem Risiko für Herzinfarkt konnten die Fachleute keinen eindeutigen Zusammenhang feststellen. Ein höheres Risiko wurde bei moderater Arbeitslärmbelastung beobachtet, jedoch nicht bei sehr hohen Schallpegeln. Dies kann an dem bekannten „healthy worker effect” liegen: Personen mit chronischen Krankheiten könnten lauten Arbeitsplätzen bewusst ausgewichen sein (Selbstselektion). Die Ergebnisse der Studie bekräftigen die Vermutung, dass Lärmbelastung das Risiko für den Herzinfarkt erhöht.
In einer kritischen Literaturübersicht hat das Umweltbundesamt die Ergebnisse verschiedener epidemiologischer Lärmwirkungsstudien bewertet und in einer Meta-Analyse zusammengefasst. Daraus haben wir eine Dosis-Wirkungs-Kurve abgeleitet, die sich für quantitative Risikobetrachtungen und -berechnungen heranziehen lässt. Solche Risikoberechnungen spielen eine große Rolle für umwelt- und gesundheitspolitische Entscheidungen. Die Ergebnisse der Meta-Analyse enthält der englischsprachige Forschungsbericht „Transportation Noise and Cardiovascular Risk” (s. Publikationen). Nach diesem Bericht ist zu befürchten, dass rund drei Prozent aller Herzinfarktfälle in Deutschland durch Straßenverkehrslärm hervorgerufen sind.
Die Ergebnisse der Studien des Umweltbundesamts sind im Einklang mit den Erkenntnissen der aktuellen Leitlinien für Umgebungslärm für die Europäische Region (2018) der Weltgesundheitsorganisation. Diese beinhalten quellenspezifische Empfehlungen für fünf Umgebungslärmquellen: Straßenverkehr, Schienenverkehr, Luftverkehr, Lärm von Windenergieanlagen, Lärmbelastung während des Ausübens von Freizeitaktivitäten. Die Leitlinien sind mit Hilfe eines standardisierten, wissenschaftlich anerkannten methodischen Verfahrens entwickelt worden, dem eine systematische Analyse der relevanten wissenschaftlichen Literatur samt Bewertung der Evidenz zu Grunde liegt. In diesem Rahmen stuft die Weltgesundheitsorganisation die Evidenz des Zusammenhangs zwischen ischämischen Herzerkrankungen und der Belastung durch Straßenverkehrslärm als hoch ein. Die Weltgesundheitsorganisation geht davon aus, dass bei einer durchschnittlichen Dauerschallbelastung von 59 dB(A) LDEN das Risiko straßenverkehrslärmbedingt an einer ischämischen Herzerkrankung zu erkranken bereits bei über 5 Prozent liegt.
Schlafstörungen durch Lärm
Lärm beeinträchtigt auch den Schlaf. Dies äußert sich in einer veränderten Schlafstruktur, vermehrten Aufwachreaktionen sowie einer stärkeren Ausscheidung von Stresshormonen und erhöhten Risikofaktoren für Herz-Kreislauf-Erkrankungen. So hat beispielsweise eine große europäische Studie statistisch gesicherte Zusammenhänge zwischen der Belastung durch Straßenverkehrslärm und nächtlichen Fluglärm einerseits und Bluthochdruck andererseits gezeigt. Personen, die verstärkt von Lärm betroffen sind, weisen häufiger höhere Blutdruckwerte auf als Menschen in ruhigeren Wohngebieten. Die besondere Bedeutung des Nachtfluglärms zeigte sich auch bei einer in der Umgebung des Flughafens Köln/Bonn durchgeführten Studie. Dort wurden höhere Medikamentenverschreibungen bei Personen nachgewiesen, die nächtlichem Fluglärm ausgesetzt sind.
Eine weitere Auswertung der Daten hinsichtlich des Risikos für Herz-Kreislauf-Krankheiten und psychische Erkrankungen zeigte einen Anstieg des Erkrankungsrisikos schon bei niedrigen nächtlichen Dauerschallpegeln von 40 dB(A). In einer umfangreichen Schweizer Untersuchung wurde ein Anstieg des Herzinfarktrisikos mit zunehmender Fluglärmbelastung gefunden. Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) empfiehlt daher bereits seit der Veröffentlichung der „Night Noise Guidelines for Europe“ im Jahr 2009, dass die nächtliche Lärmbelastung einen Mittelungspegel von 40 dB(A) nicht überschreiten sollte, um nachteilige Gesundheitseffekte zu vermeiden. Auch in den aktuellen Leitlinien für Umgebungslärm für die Europäische Region (2018) wird der Wert von 40 dB(A) LNight für den Fluglärm noch einmal bestärkt. Auf Grund der unterschiedlichen methodologischen Herangehensweisen und Schwerpunkte sind beide Veröffentlichungen als Bestand habend zu bewerten.
Der Zusammenhang zwischen Lärm und Herz-Kreislauf-Erkrankungen einschließlich Herzinfarkt ist durch diese und weitere Ergebnisse der Lärmwirkungsforschung belegt. Die Frage ist also nicht mehr, ob Lärm krank macht, sondern in welchem Ausmaß.