Der Gewässertyp des Jahres 2012 ist der sandig-lehmige Tieflandfluss. Dieser Typ kommt in zwei Ausprägungen in Deutschland vor, die sich hinsichtlich ihrer Größe unterscheiden und in der Fachsprache als sand- und lehmgeprägter Tieflandfluss (Typ 15) und als großer sand- und lehmgeprägten Tieflandfluss (Typ 15g) bezeichnet werden.
Im Kartendienst zum Gewässertyp des Jahres finden Sie alle Fließgewässer, Seen, Ästuare (Übergangsgewässer) und Küstengewässer. Alle sandig-lehmigen Gewässer in Deutschland und ihr festgestellter Zustand sind dort farbig hervorgehoben. Sie können sich für das Gewässer, das Sie interessiert, weitere Angaben zum Zustand der Gewässerflora und –fauna abrufen. Vielleicht gehört ja ein Gewässer, das Sie kennen, zum Gewässertyp des Jahres!
Sandig-lehmige Tieflandflüsse durchfließen die eiszeitlich geprägten Landschaften Norddeutschlands. Ihre Einzugsgebiete sind mittelgroß (Typ 15) bis groß (Typ 15g). Rund 5130 km der insgesamt 127.000 km Fließgewässerstrecke in Deutschland sind diesem Typ zugeordnet. Zu diesem Typ gehören beispielsweise Lippe, Ems, Aller, Alster, Trave, Elde oder Spree (siehe Karte der Verbreitung).
Sohlmaterial: Es dominieren Sande und Lehme, teils auch Tone und Mergel, zusätzlich kann Kies vorhanden sein sowie größere Mengen an Totholz
Natürlicherweise typische Habitate: Sehr gefällearme, gewundene bis mäandrierende Fließstrecken mit ausgeprägten Prall- und Gleithängen, teilweise Kiesbänke, ausgeprägte Sandbereiche. Ansammlungen von Totholz und Falllaub, untergetauchte Wurzeln der Erlen im Uferbereich und Wasserpflanzen sind wichtige Habitatstrukturen.
Lebensgemeinschaft: Große Artenvielfalt vor allem unter den Wasserinsekten, viele höhere Wasserpflanzen, einige Substratspezialisten
Ökologischer Zustand im Jahr 2010: Circa 2 Prozent im guten, 21 Prozent im mäßigen, 55 Prozent im unbefriedigenden und 22 Prozent im schlechten ökologischen Zustand beziehungsweise ökologischen Potenzial
Hauptbelastungsfaktoren: Quer– und Längsbauwerke zur Flussregulierung, Begradigung, Gewässerunterhaltung, keine Gehölze am Ufer, Stoffeinträge aus der Landwirtschaft, aus Kläranlagen und durch Regenentwässerung, künstliche Abflusserhöhung durch Tagebauentwässerung.
Der sandig-lehmige Tieflandfluss verläuft schwach bis stark gewunden in flachen Mulden- oder breiten Sohlentälern. Beim Vorherrschen von Sand ist er natürlicherweise meist flach und es bilden sich in den Mäanderkurven außen Prall- und innen Gleithänge aus. In den Auen sind Altarme unterschiedlichen Alters zu finden, oft auch Niedermoore. Bei höheren Anteilen von Auelehm gibt es dagegen tief eingeschnittene Kastenprofile. Altarme sind dann kaum vorhanden. Aufgrund des sehr niedrigen Gefälles von 0,2–2 ‰ fließt das Wasser ruhig und ohne große Turbulenzen. Im Jahresverlauf treten mäßige bis große Abflussschwankungen auf. Bei Hochwasser nutzt der Fluss die gesamte Aue. Der sandig-lehmige Tieflandfluss durchfließt die Grundmoränengebiete und die ausgedehnten Sanderflächen (sandige, eiszeitliche Schwemmfächer) der norddeutschen Tiefebene. Sein Wasser ist überwiegend kalkreich.
Typisch für die Gewässersohle ist feinkörniges, sandiges Material, welches leicht verlagert werden kann. Diese sandigen Stellen im Flussbett werden von einer Reihe von „Spezialisten“ der Eintags- und Steinfliegen, der Libellen und der Muscheln besiedelt. In Moränengebieten können auch größere Kiesanteile vorhanden sein, so dass sich Kiesbänke ausbilden können. Weitere wichtige Lebensräume für die vielfältige Fauna sind Ansammlungen von Totholz und abgestorbenem Pflanzenmaterial sowie die untergetauchten Wurzeln der Uferbäume und die Wasserpflanzenbestände.
Typische Bewohner
Kieselalgen (Diatomeen)
Dieser Typ besitzt eine eigenständige Planktonlebensgemeinschaft, die einen hohen Anteil von Kieselalgen aufweist. Kieselalgen bilden aus im Wasser gelöstem „Sand“ (Silikat) Schutzschalen mit oft bizarr schönen Formen, die schachtelartig ineinander greifen. Viele dieser Arten leben sowohl am Gewässergrund als auch im Freiwasser.
Große Eintagsfliege (Ephemera danica)
Die gelbbraunen Larven der Großen Eintagsfliege leben etwa 2 Jahre im Wasser. Sie bevorzugen Bereiche auf dem Gewässergrund mit Sand und Feinkies. Dort graben sie mit ihren kräftigen Vorderbeinen und Mundwerkzeugen Röhren, in denen sie leben und vor Räubern geschützt sind. Mit Kiemen auf ihrem Hinterleib erzeugen sie einen Wasserstrom durch ihre Röhre, den sie mit Borsten auf den Beinen und im Mundbereich ausfiltrieren und sich so von den mitgeführten Resten von abgestorbenem organischem Material, wie Blattresten, ernähren. Im Frühsommer verwandeln sie sich zur erwachsenen Eintagsfliege und man kann die geschlüpften Männchen und Weibchen in der Ufervegetation sitzen sehen. Die Männchen fliegen tagsüber in auffälligen Schwärmen über dem Gewässer und locken dadurch Weibchen an. Sie haben im Vergleich zu den Weibchen relativ lange Vorderbeine, die beim Sitzen nach vorne gestreckt werden und zum Festhalten der Weibchen bei der Paarung im Flug dienen. Mit einer Flügelspannweite von 3,5-4,5 cm und bis zu 4 cm langen Schwanzfäden gehört Ephemera danica zu unseren größten heimischen Eintagsfliegen.
Steinbeißer (Cobitis taenia)
Der zu den Schmerlen gehörende 8-14 cm große Bodenfisch besiedelt vor allem langsam fließende, teils auch stehende Gewässer mit sandiger Sohle. Bei der Suche nach Nahrung durchsiebt er den Sand nach fressbaren Bewohnern des Gewässergrundes. Die dabei auch eingesaugten Sandkörner stößt er mit anderem Ungenießbaren über die Kiemen wieder aus. Er ruht tagsüber bis zum Kopf eingegraben im Sand und wird erst in der Dämmerung aktiv. Er schwimmt kaum, sondern bewegt sich vor allem mit Hilfe der Brustflossen am Grund entlang. Zur Laichzeit im April bis Juni legen die Weibchen bis zu 300 Eier portionsweise an Steinen, untergetauchten Wurzeln und Wasserpflanzen ab. Der Fisch wird auch als Dorngrundel bezeichnet, da er einen beweglichen Dorn unter dem Auge besitzt, an dem man sich schmerzhaft stechen kann. Der Steinbeißer ist durch den Ausbau unserer Tieflandflüsse und Unterhaltungsmaßnahmen, insbesondere durch regelmäßige Grundräumungen, gefährdet. Er ist durch die FFH-Richtlinie besonders geschützt.
Flussmuschel (Unio crassus)
Die Gemeine Flussmuschel (oder Kleine Flussmuschel, Kleine Bachmuschel) hat eine Schalenlänge zwischen 4 und 11 cm und bewohnt nährstoffarme Bäche und Flüsse mit mäßiger bis starker Strömung und sandigem bis kiesigem Sohlmaterial. Zur Fortpflanzungszeit von April bis Juni entwickeln sich in den Weibchen aus den befruchteten Eiern bis zu 200.000 kleine Larven mit zwei Klappen, sogenannte Glochidien. Diese werden von den Weibchen paketweise ins Wasser ausgestoßen. Die kleinen Muschellarven haben einen Durchmesser von 0,2 mm und besitzen einen kurzen Haftfaden und an jeder Schalenklappe einen kleinen Haken. Die Glochidien können selbst nicht schwimmen, sondern werden von der Wasserströmung mitgeführt und müssen sich innerhalb von 3-6 Tagen in den Kiemen von Wirtsfischen festheften. Je nach Region kommen unterschiedliche Fischarten als Wirte vor, so z. B. Elritze, Dreistachliger und Neunstachliger Stichling, Döbel, Hasel oder Rotfeder. Das Parasitendasein ist nach 20-30 Tage beendet, dann fallen die Muschellarven von den Kiemen ab und leben anschließend als Jungmuscheln 2-5 Jahre im Lückensystem der Gewässersohle. Mit einer Größe von etwa 1 cm kommen sie zurück an die Oberfläche der Sohle, wobei das Vorderende des Schalengehäuses eingegraben bleibt und das Hinterende mit der Ein-und Ausströmöffnung für das Atemwasser in die fließende Welle ragt. Wie alle Großmuscheln ernährt sich Unio crassus als Filtrierer von Plankton und organischen Schwebstoffen. Die Art wird zwischen 15 und 35 Jahre alt, in Ausnahmefällen sogar bis zu 50 Jahre. Bis 1950 war die Gemeine Flussmuschel die häufigste Großmuschelart in unseren heimischen Bächen und Flüssen und wurde wegen ihres massenhaften Vorkommens an Schweine und Hühner verfüttert. Durch Gewässerausbau, Nährstoffbelastung, Verstopfung des Lückensystems der Gewässersohle und Veränderung der Fischfauna sind die Bestände der Gemeinen Flussmuschel dramatisch eingebrochen und sie ist in vielen Flusssystemen ausgestorben. Daher ist sie durch die FFH-Richtlinie besonders geschützt.
Gebänderte Prachtlibelle (Calopteryx splendens)
Das Männchen der Gebänderten Prachtlibelle hat auf ihren Flügeln ein auffälliges, schwarzblau schillerndes Band, die Flügelfarbe der Weibchen ist grünlich. Mit einer Flügelspanne von etwa 7 cm und einer Körperlange von 5 cm sind Prachtlibellen die größten heimischen Kleinlibellen. Im Unterschied zu den Großlibellen, deren Flügel in Ruhestellung seitlich vom Körper abgespreizt sind, ragen bei Kleinlibellen die Flügel in Ruhestellung nach hinten über den Hinterleib. Die Männchen zeigen ein ausgeprägtes Revier- und Balzverhalten. Ein besetztes Revier entlang eines Flussufers wird gegen andere Männchen verteidigt, ein Weibchen wird dagegen mit auffälligen Flugmanövern heftig umworben. Dabei wird dem Weibchen auch der vom Männchen ausgewählte Platz zur Ablage der Eier gezeigt. Mit Hilfe ihres Legebohrers versenken die Weibchen die Eier in flutende Wasserpflanzen und können dabei vollständig ins Wasser hinab tauchen. Während der Eiablage wacht das Männchen auf einer Sitzwarte, um das Weibchen zu verteidigen. Die Larve der gebänderten Prachtlibelle lebt ausschließlich in Fließgewässern, wo sie sich vor allem in unterspülten Uferbereichen versteckt im untergetauchten Wurzelwerk von Uferbäumen, wie Erle und Weide und zwischen Wasserpflanzen aufhält. Die vorwiegend nachtaktiven und räuberischen Larven besitzen sehr lange Beine und sind durch ihre braune Körperfarbe und ihre versteckte Lebensweise gut getarnt. Sie leben etwa 2 Jahre im Wasser bevor sie im Frühsommer schlüpfen.
Eisvogel (Alcedo atthis)
Die Lebensweise des Eisvogels stellt Ansprüche an seinen Lebensraum, die mit Nutzungen durch den Menschen nicht leicht vereinbar sind. Seine Nahrung stammt ausschließlich aus dem Wasser. Als Stoßtaucher braucht er eine Sitzwarte von der er sich kopfüber ins Gewässer stürzt, nachdem er eine mögliche Beute entdeckt hat. Hauptbeute sind kleinere Süßwasserfische, die er mit seinem großen, dolchartigen Schnabel gut packen kann, aber auch Wasserinsekten, Frösche, Kaulquappen, sowie Krebse und Mollusken. Brutpaare graben mittels Schnabel und Krallen eine 40-80 cm lange Nisthöhle in senkrechte Ufersteilwände aus festem Sand und Lehm. Der Bau einer Bruthöhle mit einem Kessel am Ende kann 2-3 Wochen dauern. Pro Brut werden 6-7 Eier gelegt. 2 Bruten im Jahr sind die Regel, unter besonders günstigen Bedingungen sogar 3.
Durch Ausbau und Begradigung unserer Tieflandflüsse wurden für den Eisvogel typische Lebensräume mit Uferabbrüchen, Steilwänden und Ufergehölzen vernichtet. Er ist eine nach Bundesnaturschutzgesetz streng geschützte Art und ein hervorragender Anzeiger für intakte Gewässerabschnitte.
Wasserstern (Callitriche sp.)
Der Wasserstern ist eine bis zu 60 cm lange Wasserpflanze mit kleinen, länglichen untergetauchten Wasserblättern und Schwimmblättern an der Wasseroberfläche, die eine Rosette bilden. Je nach Umweltbedingungen kann die Form der Blätter stark variieren. Callitriche-Arten besitzen sehr kleine, eingeschlechtliche Blüten. Sie wachsen bevorzugt in sandig-lehmigem Untergrund, in nährstoffarmen bis mäßig nährstoffreichen Gewässern. In Deutschland sind 8 verschiedene Wasserstern-Arten heimisch, die teilweise schwer voneinander zu unterscheiden.
Die weiten Täler der sandig-lehmigen Tieflandflüsse sind vom Menschen bevorzugte Landwirtschaftsflächen und Siedlungsgebiete. Die Flüsse wurden durch Maßnahmen zur Landentwässerung begradigt, vertieft und aufgestaut und dadurch sehr stark überformt. Größere Flüsse dieses Typs sind zu Schifffahrtsstraßen umgestaltet. Der ursprüngliche Uferwald ist vielfach nicht mehr vorhanden oder auf einen schmalen Gehölzsaum reduziert. Auch die ursprünglichen Auen wurden massiv verändert: Angrenzende, oft anmoorige Flächen wurden durch Gräben entwässert und Altarme vom Fluss abgetrennt oder zugeschüttet. Viele Strecken sind zudem eingedeicht. Somit gingen die Überflutungsflächen und die ursprüngliche Verbindung von Fluss und Aue verloren. Die ehemals vielfältige Gewässerstruktur wurde eintönig. Fachleute sprechen von „struktureller Degradation“, die durch regelmäßige Unterhaltungsmaßnahmen, wie Entkrautung der Flüsse, aufrecht erhalten wird. Zusätzlich spielen Belastungen aus der Landwirtschaft eine große Rolle. Düngerreste und Pflanzenschutzmittel werden von unbedeckten Äckern und gedränten Flächen leicht in die Gewässer ausgewaschen und beeinflussen dort massiv die Zusammensetzung der Lebensgemeinschaften.
Zustand
Keiner der sandig-lehmigen Tieflandflüsse befindet sich in einem ökologisch sehr guten Zustand. Nur knapp 2 Prozent der Gewässerstrecken dieser Flüsse werden als „gut“, 21 Prozent als „mäßig“, 55 Prozent als „unbefriedigend“ und 22 Prozent sogar als „schlecht“ bewertet. Nur sehr wenige Fließgewässerstrecken dieses Typs werden durch die eingeleiteten Maßnahmen bis 2015 einen guten Zustand erreichen.
Die wichtigsten Defizite bestehen in der unnatürlichen Gewässerstruktur, fehlender Durchgängigkeit und zu hohen Nährstoffgehalten. Aufgrund des starken Nutzungsdruckes und der dafür erfolgten morphologischen Degradierung sind 57 Prozent der Flüsse dieses Typs als erheblich verändert ausgewiesen worden. Die EU-Wasserrahmenrichtlinie legt für diese Gewässer als Ziel das „gute ökologische Potential“ fest. Ziel der Wasserrahmenrichtlinie ist, in allen Gewässern bis 2027 mindestens einen guten Zustand (oder ein gutes Potenzial) zu erreichen. Für die sandig-lehmigen Tieflandflüsse ist u.a: die ökologische Durchgängigkeit (z. B. durch Bau von Fischtreppen oder Rückbau von Querbauwerken) zu verbessern, der Eintrag von Nährstoffen und Pestiziden aus der Landwirtschaft zu verringern.
„Für Mensch und Umwelt“ ist der Leitspruch des UBA und bringt auf den Punkt, wofür wir da sind. In diesem Video geben wir Einblick in unsere Arbeit.
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