Ökologie der Daten: Die Corona-Krise sollten wir als Chance nutzen Digitalisierung für Nachhaltigkeit fruchtbar zu machen
Blogartikel von Henning Banthien
Umbrüche führen uns Entwicklungslinien wie in einem Brennglas vor Augen. Die Frage ist nicht allein, was die Corona-Krise „mit uns macht“, viel relevanter ist die Frage, „was wir mit“ der Krise machen. Das Krisenmomentum sollte genutzt werden, um aus einem Nebeneinander und zum Teil Gegeneinander zweier sehr wichtiger Entwicklungslinien, einen Prozess der kollaborativen Kreation von Neuem zu machen. Die Rede ist von Synergien aus dem Zusammenwirken von Digitalisierung und Nachhaltigkeit. Beide Entwicklungen Digitalisierung wie Nachhaltigkeit rekurrieren auf ähnliche Grundprinzipien. So kommt es nicht von ungefähr, dass beide Bereiche das Konzept des „Ökosystems“ nutzen. Die Nachhaltigkeitscommunity spricht von natürlichen Ökosystemen, die Digitalisierungscommunity von „digitalen Ökosystemen“. Drei Beispiele:
Dezentralität
Systeme der Nachhaltigkeit wie solche im digitalen Raum sind dezentral aufgestellt. Moderne, auf Nachhaltigkeitsprinzipien beruhende Energieversorgungsysteme bauen auf dezentrale Produktion der Energie. Dies vermindert beispielsweise den Bedarf an Stromleitungen sowie Übertragungsverluste. Dezentrale Industrie 4.0-Lösungen funktionieren ähnlich. Sie reduzieren das Datenvolumen in zentral gehosteten Servern, weil die Steuerung in der „Edge“, also vor Ort, stattfinden kann. Nicht zuletzt gilt, dass dezentrale Systeme resilientere Systeme sind. Intelligente, digitale Systeme sind hervorragend geeignet Dezentralität zu steuern – auch mit Blick auf Nachhaltigkeitseffekte. Dies gilt nicht zuletzt für die nachhaltige Mobilität der Zukunft.
Vernetzung
Ökosysteme, ganz gleich ob digital oder real, sind vernetzte Systeme. Sie leben vom engen, produktiven Austausch ihrer Elemente. Dies gilt für regionale, geschlossene Stoffkreisläufe, so etwa in der regionalen Versorgung von Kunden durch Landwirte und Betriebe. Dies gilt ebenso für die Vernetzung interoperabler Maschinen im Bereich der Industrie 4.0. Es ist ein Nutzen für die Nachhaltigkeit, dass es möglich ist, Maschinen aus der Ferne zu warten, so dass Schäden erst gar nicht entstehen. Dies schont Kosten und Ressourcen, weil rechtzeitig Schwachstellen entdeckt und somit aufwändige Reparaturen oder gar der Austausch ganzer Maschinen vermieden werden kann. Zwei Gedankenspiele welche Effekte für Nachhaltigkeit die digitale Vernetzung zukünftig haben könnte: Die weltweiten Logistikströme werden in hohem Maße von deutschen Softwarefirmen verwaltet. Wie wäre es, wenn man die Algorithmen der Software nicht nur auf Kosten hin optimiert, sondern auch auf den C02 Ausstoß? Oder: Maschinen aus Deutschland machen einen signifikanten Anteil des Weltmarkts aus. Wie ließe sich der CO2-Fußabdruck dieser Maschinen reduzieren, wenn eine intelligente Ausstattung der Maschinen Nachhaltigkeitskriterien beachten würde?
Kooperation
Intensiv vernetzte (digitale) Ökosysteme funktionieren nur durch Kooperation und Partizipation. Es ist ein Missverständnis, wenn der Digitalisierung vorgeworfen wird, sie sei menschlichen Gesellschaften wesensfremd. Das Gegenteil ist der Fall: Intakte Gesellschaften waren immer schon vernetzte, kooperative Systeme – so wie es digitale Systeme sind. Dies gilt in besonderer Weise in Krisenzeiten: Wir brauchen kein Mehr an zentralisierter, top-down Kommunikation, sondern ein Mehr an Demokratie und Partizipation in transdisziplinären Foren, um die anstehenden Herausforderungen zu meistern. Wir brauchen den gesellschaftlichen Dialog zur richtigen Weise der Krisenbewältigung. Dies gilt für die Corona-Krise wie für die Klimakrise und die digitale Transformation.
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Autor:
Henning Banthien gehört seit 1996 zum IFOK-Team, seit Januar 2009 ist er geschäftsführender Gesellschafter. Seit 2015 ist er zudem Generalsekretär der Plattform Industrie 4.0. Im Jahr 2017 schloss sich IFOK mit der Nachhaltigkeitsberatung Cadmus zusammen. In dieser neuen Konstellation fungiert Henning Banthien als Vorsitzender der Geschäftsführung bei IFOK und als Senior Vice President bei Cadmus. Er ist Vorsitzender des Ausschusses für Bildung und Wissenschaft des VBKI (Verband Berliner Kaufleute und Industrieller) und Mitglied des Präsidiums der Stiftung Humboldt-Universität zu Berlin. Im Laufe seiner beruflichen Laufbahn war Henning Banthien für die Entwicklung und Umsetzung von Nachhaltigkeitsstrategien in Wirtschaft und Politik verantwortlich.