In der Vorgehensweise zur Relevanzbewertung von Spurenstoffen wurde durch den Stakeholderdialog „Spurenstoffstrategie des Bundes“ ein vorsorge- und gefährlichkeitsbasierter Ansatz gewählt: Bei einem Vorkommen des Spurenstoffes in Gewässern und der Erfüllung eines oder mehrerer der Kriterien Persistenz, Mobilität, Toxizität wird eine vertiefende Bewertung durchgeführt. Für diese kann eine Risikoabschätzung sinnvoll sein, das heißt, das Spurenstoffzentrum vergleicht die Konzentration des Spurenstoffes in Gewässern mit abgeleiteten oder vorsorglichen Bezugswerten (Grenz-, Leit-, Schwellen- oder Richtwerte). Diese sind aus Ergebnissen toxikologischer oder ökotoxikologischer Tests abgeleitet. Falls keine Testergebnisse vorliegen, können vorsorgliche Schwellenwerte herangezogen werden. Hier ist eine Auswahl der wichtigsten Bezugswerte:
Trinkwasser
WHO-Trinkwasser-Leitwerte
Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) hat gesundheitsbasierte Leitwerte für einige Chemikalien im Trinkwasser abgeleitet, basierend auf beobachteten Gesundheitseffekten. Ein Leitwert stellt die Konzentration des Stoffes dar, die nicht zu einem signifikanten Gesundheitsrisiko während eines lebenslangen Konsums einer erwachsenen Person (60 kg Körpergewicht) von 2 Litern Trinkwasser pro Tag führt.
Trinkwassergrenzwerte nach der Verordnung über die Qualität von Wasser für den menschlichen Gebrauch (Trinkwasserverordnung)
In der deutschen Trinkwasserverordnung (TrinkwV) sind Grenzwerte für mikrobiologische Parameter, chemische Parameter und Indikatorparameter festgelegt. Ein Grenzwert ist die politisch festgelegte Höchstkonzentration von Mikroorganismen oder eines Stoffes oder der politisch festgelegte Höchst- oder Mindestwert eines physikalisch-chemischen Parameters im Trinkwasser. Die politische Festlegung bedeutet, dass nicht nur die gesundheitliche Bewertung, sondern auch technisch-wirtschaftliche Aspekte (u. a. verfügbare Techniken zur Entfernung und deren Kosten, verfügbare Analysenmethoden oder der Schutz von technischen Anlagen z.B. durch Korrosion) und politische Gründe (z.B. Minimierungsgebot) berücksichtigt werden. Die Auswahl der chemischen Parameter der TrinkwV, für die ein Grenzwert festgelegt ist, richtet sich nach der Relevanz des Auftretens des Parameters im Trinkwasser und dessen gesundheitlichen Bedeutung.
Ein Indikatorparameter ist ein Parameter mit Indikatorfunktion, für welchen eine Überschreitung des entsprechenden Grenzwertes oder die Nichteinhaltung der Anforderungen ein Indiz für eine unerwünschte und ggf. hygienisch relevante Veränderung im Versorgungssystem darstellt, für die Ursache zu ermitteln ist.
Acceptable / Tolerable Daily Intake (ADI- und TDI-Wert)
Der ADI-Wert berücksichtigt die orale Aufnahme einer Substanz und gibt die Gesamtmenge in Luft, Essen oder Trinkwasser an, die täglich über die gesamte Lebensdauer ohne gesundheitliches Risiko aufgenommen werden kann. Der ADI-Wert basiert auf dem in Studien mit Tieren bestimmten „No-Observed(-Adverse)-Effect Level“ (NOAEL). Dieser stellt die (höchste) Dosis einer Chemikalie dar, die keine toxische Wirkung mehr gezeigt hat. Zusätzlich berücksichtigt der ADI-Wert verschiedene Sicherheitsfaktoren (z.B. Extrapolation der Versuchsdauer, toxikodynamische und -kinetische Unterschiede zwischen und innerhalb verschiedener Spezies).
Für Pflanzenschutzmittelwirkstoffe und Zusatzstoffe im Essen heißt der Wert Acceptable Daily Intake- (ADI-)Wert. Der Tolerable Daily Intake- (TDI-)Wert gibt die tolerierbare tägliche Aufnahme eines nicht absichtlich zugesetzten Kontaminanten in Lebensmitteln und Trinkwasser an.
Trinkwasserleitwert
In der TrinkwV wird der Begriff Leitwert nicht verwendet. Das UBA nutzt den Begriff jedoch im Zusammenhang mit Trinkwasser für die rein toxikologisch basierte, berechnete Höchstkonzentration eines Stoffes im Trinkwasser, bei deren Einhaltung auch bei lebenslanger Exposition keine gesundheitliche Schädigung zu besorgen ist.
Das UBA legt entsprechende Leitwerte fest, wenn eine vollständige toxikologische Bewertung möglich ist. Die höchste nicht-schädliche Dosis (NOAEL) wird als Ausgangspunkt oder point of departure (POD) für die Berechnung verwendet. Um den Trinkwasserleitwert aus dem Ausgangspunkt (POD) zu berechnen, wird in einem ersten Schritt die für einen Menschen insgesamt tolerierbare tägliche Aufnahme (tolerable daily intake, TDI), in seltenen Fällen auch die tolerierbare wöchentliche Aufnahme (tolerable weekly intake, TWI) berechnet. Ausgehend von der tolerierbaren täglichen Aufnahme (TDI) muss bei der Berechnung eines Trinkwasserleitwertes berücksichtigt werden, dass die Aufnahme eines bestimmten Stoffes durch den Menschen möglicherweise nicht nur über das Trinkwasser erfolgt (Allokation). Die Formel für die Berechnung des Trinkwasserleitwertes aus dem TDI lautet daher:
Trinkwasserleitwert = (TDI x Körpergewicht x Allokation) / Trinkwasserkonsum
Als Standardannahmen werden für das Körpergewicht 70 kg, die Allokation 0,1 = 10 % und den Trinkwasserkonsum 2 Liter pro Tag verwendet.
Gesundheitlicher Orientierungswert (GOW)
Ein GOW dient der Bewertung von bisher nicht oder nur teilbewerteter Stoffe in Trinkwässern und schließt die Zeit-, Daten- und Rechtslücke zwischen dem analytischen Nachweis eines Stoffes im Trinkwasser oberhalb von 0,1 Mikrogramm pro Liter (µg/l) und dem Vorliegen eines Leit- oder Grenzwertes. Eine Unterschreitung des GOW bietet eine ausreichende humantoxikologische Sicherheit; eine Überschreitung des GOW führt aufgrund des starken Vorsorgecharakters nicht unweigerlich zu einer gesundheitlichen Auswirkung oder Gefährdung. Ein Gesundheitlicher Orientierungswert (GOW) wird abgeleitet, wenn nicht ausreichend toxikologische Daten zur Verfügung stehen, um einen Leitwert zu berechnen. Je nach Datenlage kann ein GOW zwischen 0,01 µg/l und 3,0 µg/l betragen.
Für Überschreitungen eines GOW kann in Anlehnung an das Konzept der Maßnahmenwerte ein Maßnahmen-GOW abgeleitet werden, der zeitlich begrenzt bis zum zehnfachen eines GOW, nicht aber mehr als 10 µg/l betragen kann. Mehr zum GOW
Oberflächengewässer
Umweltqualitätsnorm (UQN, engl. Environmental Quality Standard)
Die Umweltqualitätsnorm (UQN) wird für Chemikalien in Gewässern im Rahmen der EU-Wasserrahmenrichtlinie festgelegt und berücksichtigt das aquatische Ökosystem und die menschliche Gesundheit. Sie wird basierend auf Studien für den empfindsamsten Endpunkt abgeleitet. Die Jahresdurchschnitts-UQN (JD-UQN) gibt dabei die durchschnittliche Konzentration über einen gesamten Jahreszyklus an, die nicht überschritten werden sollte, um eine chronische toxische Wirkung auf die Menschen und das Ökosystem zu verhindern. Zusätzlich wird eine zulässige Höchstkonzentration (ZHK-UQN) für Schadstoffe mit hoher akuter Toxizität festgelegt. Die ZHK-UQN darf von dem gemessenen Maximalwert im Gewässer nicht überschritten werden.
Predicted no-effect concentration (PNEC)
Der PNEC-Wert ist die maximale Konzentration einer Chemikalie oder dessen Abbauprodukts in der Umwelt, bei der noch keine Effekte auf das Ökosystem auftreten. Die PNEC-Werte werden von ökotoxikologischen Tests abgeleitet und berücksichtigen zusätzlich einen Sicherheitsfaktor.
Regulatorisch akzeptable Konzentration (RAK)
Die RAK ist eine Größe aus dem Zulassungsverfahren für Pflanzenschutzmittel. Sie gibt analog zum PNEC die maximale Konzentration eines Pflanzenschutzmittel-Wirkstoffes oder dessen Abbauprodukts in der Umwelt an, bei der keine inakzeptablen Effekte auf das Ökosystem erwartbar sind. Die RAK-Werte werden basierend auf ökotoxikologischen Tests und einem Sicherheitsfaktor ermittelt.
Zielwerte europäischer Trinkwasserversorger für Fließgewässer
Einige europäische Trinkwasserversorger (IAWR, AWBR, ARW, RIWA-RIJN, IAWD, AWE, AWWR, RIWA-MAAS, RIWA-SCHELDE) haben zudem Zielwerte für anthropogene Chemikalien in Fließgewässern definiert, um den Vorsorgegedanken nach EU-Wasserrahmenrichtlinie umzusetzen und die nachhaltige Nutzung als Trinkwasser zu sichern. Die Zielwerte sind höchstzulässige Maximalwerte. Der Zielwert liegt bei
- 1,0 Mikrogramm pro Liter (µg/L) für bewertete Stoffe ohne bekannte Wirkungen auf biologische Systeme und mikrobiell schwer abbaubare Stoffe;
- 0,1 µg/L für bewertete Stoffe mit bekannten Wirkungen auf biologische Systeme, nicht bewertete Stoffe, durch naturnahe Verfahren unzureichend entfernbar und nicht bewertete Stoffe, nicht-bewertete Abbau-/ Transformationsprodukte bildend.
Grundwasser
Die Schwellenwerte gemäß deutscher Grundwasserverordnung (GrwV 2010) betragen 0,1 Mikrogramm pro Liter Grundwasser (µg/L) für
- Wirkstoffe in Pflanzenschutzmitteln einschließlich der relevanten Metaboliten,
- Biozid-Wirkstoffe einschließlich relevanter Stoffwechsel- oder Abbau- bzw. Reaktionsprodukte sowie
- bedenkliche Stoffe in Biozidprodukten.