Lehren aus der Corona-Krise:Neue Leitmotive für die Umweltpolitik

Die Corona-Krise wird von vielen als eine historische Zäsur wahrgenommen. Infolge einer Zoonose kam es zu der Pandemie mit dem Virus Sars-CoV-2, die die weltweiten Abhängigkeiten zwischen Gesellschaft, Natur und wirtschaftlichem Handeln sichtbar machte.

Lehren aus der Corona-Krise: Neue Leitmotive für die Umwelt- und Nachhaltigkeitspolitik erforderlich?

Blogartikel von Dr. Harald Ginzky, Christian Löwe und Dr. Carsten Neßhöver

Die Corona-Krise wird von vielen als eine historische Zäsur wahrgenommen. Infolge einer Zoonose kam es zu der Pandemie mit dem Virus Sars-CoV-2, die die weltweiten Abhängigkeiten zwischen Gesellschaft, Natur und wirtschaftlichem Handeln sichtbar machte. Ihre Eindämmung erfordert drastische Maßnahmen und in der Folge stellen sich neue Grundsatzfragen über Werte des wirtschaftlichen Handelns, der wechselseitigen Verantwortung zwischen Einzelnen aber auch zwischen Gesellschaften, sowie über das Verhältnis von Mensch und Natur.

Die Corona-Pandemie unterstreicht die Anfälligkeit der wirtschaftlichen und gesellschaftlichen (Teil)-Systeme infolge des globalisierten Wirtschaftens. Es wird deutlich, dass die Beherrschbarkeit der Auswirkungen von den konkreten gesellschaftlichen Verfasstheiten abhängt. Insbesondere die Länder im globalen Süden sind in der Regel sehr viel mehr von den gesundheitlichen und ökonomischen Auswirkungen betroffen. Die Krise zeigt die Bedeutung der systemrelevanten Sektoren wie Gesundheitswesen, Sozialversicherungssystemen sowie der Nahrungsmittelversorgung. Die Frage steht erneut im Raum, ob im Grundsatz Wohlfahrt in einem umfassenden Sinne nicht wichtiger ist als materieller Wohlstand. In jedem Fall hat sich eine lernende Steuerung durch den Staat als notwendig erwiesen, da sich die Erkenntnislage zu Sars-CoV-2 kontinuierlich fortentwickelt hat. Die Wissenschaft hat erkennbar einen wesentlichen und unverzichtbaren Beitrag geleistet, um ein wissensbasiertes Entscheiden zu ermöglichen. Zugleich ist nicht zu verkennen, dass erfolgreiches Krisenmanagement die Einbindung und das Vertrauen der Bevölkerung und aller gesellschaftlichen Akteure voraussetzte.  IT-gestützte Systeme haben sich zur Krisenbewältigung als hilfreich erwiesen.

Ansätze für neue, ergänzende Leitmotive und Gestaltungsansätze

Viele der geltenden Prinzipien und Grundsätze in der Umwelt- und Nachhaltigkeitspolitik wie etwa das Vorsorgeprinzip oder der Grundsatz des „Leave no one behind“ sind für eine ambitionierte Politik weiterhin unverzichtbar. Jedoch zeigen sich Lehren aus der Corona-Krise, die es nötig erscheinen lassen, auch die Grundlagen der Umweltpolitik zu hinterfragen bzw. zu ergänzen. Folgende Leitmotive sind hier für eine effektive Umwelt- und Nachhaltigkeitspolitik besonders relevant. Sie sollen die geltenden Prinzipien und übergeordneten Vorgaben konkretisieren und/oder ergänzen:

  • Stärkung des Nexus von Umwelt und Gesundheit

Der Nexus von Umwelt- und Gesundheitsschutz muss deutlich stärker als bisher bei allen sektoralen Politiken berücksichtigt werden. Zur Operationalisierung dieses Leitmotivs sollte der „One Health“-Ansatz genutzt werden.

  • Resilienz⁠ der wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Systeme

Durch eine Stärkung der „Resilienz der wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Systeme“ sollen die Fragilität und Anfälligkeiten des globalisierten Wirtschaftens gegenüber Krisen verringert werden. Die Corona-Krise hat nachdrücklich verdeutlicht, dass Systeme nicht allein auf Effektivität optimiert werden sollten, sondern dass Puffer im Sinne einer besseren „Widerstandsfähigkeit“ dringlich erforderlich sind. Resilienz kann nur erreicht werden, wenn die Anforderung aus den Nachhaltigkeitszielen „niemanden zurückzulassen“ und die ökologischen Grenzen beachtet werden.

  • Strukturelle Gerechtigkeit

„Strukturelle Gerechtigkeit“ meint die Sicherstellung eines guten Lebens auf Basis einer sicheren Grundversorgung für alle Menschen weltweit. Durch strukturelle Gerechtigkeit könnte instabile Systeme vermieden werden.

  • Solidarität des Handelns als Ausdruck der gesellschaftlichen Resilienz

Dieses Leitmotiv verlangt, dass alle staatlichen, gesellschaftlichen und privaten Akteure, soweit sie umwelt- und nachhaltigkeitspolitische Maßnahmen initiieren oder umsetzen, dabei auch berücksichtigen, welche Wirkungen diese Maßnahmen für andere Akteure haben werden.

  • Lernende Steuerung wegen einer sich stetig verändernden Erkenntnislage

Der „lernenden Steuerung“ kommt auf Grund der Notwendigkeit, bei sich stetig ändernder Erkenntnislage Entscheidungen treffen und diese kontinuierlich anpassen zu müssen, eine neue Wertigkeit zu. Auch der Wissenschaft kommt hier eine besondere Verantwortung zu.

  • Erhaltung und Stärkung handlungsfähiger öffentlicher Institutionen auf allen Ebenen

Es bedarf handlungsfähiger Staaten und internationaler Organisationen für das Krisenmanagement und um geeignete Maßnahmen für eine Transformation zur ⁠Nachhaltigkeit⁠ koordinieren sowie umsetzen zu können. Auch die Handlungsfähigkeit der zivilgesellschaftlichen Akteure muss gestärkt werden.

  • Entwicklung einer digitalen Kultur

Das Potenzial der Digitalisierung muss, soweit möglich, mit Blick auf Umweltschutz aber auch mit Blick auf die erforderlichen sozial-ökologischen Transformationen systematisch erschlossen werden. Insofern bedarf es einer neuen digitalen Kultur für Nachhaltigkeit, welche die technologischen Lösungspotenziale der Digitalisierung in einem erweiterten,  gesellschaftspolitischen und kulturellen Modernisierungsprozess von Wirtschaft und Gesellschaft im Sinne der 2030 Agenda verortet, gleichzeitig aber auch die Rahmenbedingungen für eine nachhaltige Digitalisierung weiter konkretisiert, z. B. zu ethischen Aspekten und sich durch Digitalisierung verschärfenden Gerechtigkeitsaspekten.

Umweltpolitik als Motor für mehr gesellschaftliche Resilienzfähigkeit

Die Krisen – die Corona-Pandemie wie auch die andauernden Umweltkrisen – verlangen, dass Umweltschutz und Nachhaltigkeit ins Zentrum des politischen Denkens und Gestaltens rücken. Dafür können die skizzierten Leitmotive helfen: Sinnvoll scheint eine Weiterentwicklung bis hin zu einer Verrechtlichung der Motive, um sie zu verbindlichen Maximen aller Politikfelder zu machen – sowohl national wie international. Sie ergänzen damit bestehende Motive und Leitprinzipien, wie etwa auch die ⁠UN⁠-Nachhaltigkeitsziele. Dringlich ist, dass die Resilienzfähigkeit stärker in den Blick genommen wird Der Staat muss aufgrund der verschiedenen Krisen seiner elementaren Rolle als Gestalter und Rahmensetzer in einem lernenden Modus gerecht werden und dabei eine organisierte Selbststeuerung der Gesellschaft ermöglichen und sicherstellen. Allerdings bedarf es noch der Konkretisierung der Inhalte dieses neuen Leitmotivs sowie der Operationalisierung für einzelne Sektoren. Dies erfordert mehr transdisziplinäre Forschung, die ihre Ergebnisse und Maßnahmenvorschläge im Diskurs mit den betroffenen gesellschaftlichen Akteuren entwickelt.

Dieser Blog ist eine Zusammenfassung eines Positionspapiers aus der Corona Task-Force des Umweltbundesamtes (Ginzky, Löwe & Neßhöver: Lehren aus der Corona-Krise: Neue Leitmotive für die Umwelt- und Nachhaltigkeitspolitik erforderlich? - ein Diskussionsbeitrag).

_______
Autoren:

  • Dr. Harald Ginsky, Umweltbundesamt, bearbeitet die Themen Climate Geo-Engineering, Meeresumweltschutz, Tiefseebergbau sowie Gewässer- und Bodenschutz aus rechtlicher Perspektive
  • Christian Löwe (Jahrgang 1965, Diplom-Forstwirt Univ.) ist seit 1993 wissenschaftlicher Mitarbeiter am Umweltbundesamt, aktuell im Fachgebiet Z 2.3 „Digitalisierung und Umweltschutz, E-Government“. Seine Arbeitsschwerpunkte sind Digitalisierung im Kontext der angewandten sozial- / kulturwissenschaftlichen Umweltforschung, sozial-ökologische Transformationen, soziale Innovationen und digitale Kultur für Nachhaltigkeit. Darüber hinaus koordiniert er die fachlichen Beiträge des Umweltbundesamtes bei der Erstellung und Umsetzung der Umweltpolitischen Digitalagenda des Bundesumweltministeriums.
  • Dr. Carsten Neßhöver arbeitet am Umweltbundesamt im Wissenschaftsmanagement und der Politikberatung. Der ausgebildete Geoökologe ist ein Experte für die Schnittstelle zwischen Wissenschaft und Politik in Theorie und Praxis in nationalen, europäischen und globalen Prozessen.
Teilen:
Artikel:
Drucken
Schlagworte:
 Corona  Resilienz