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Bei der Verordnung von Tierarzneimitteln auch die Umwelt berücksichtigen
Vor jeder Verordnung eines Tierarzneimittels wird eine Diagnose durch den Tierarzt oder die Tierärztin gestellt. Dabei sollten Landwirtin/-wirt und Tierärztin/-arzt die Notwendigkeit eines jeden Tierarzneimitteleinsatzes kritisch hinterfragen. Hierbei können Tierschutzkriterien, Behandlungsdauer, Genesungschancen und mögliche Alternativen (z. B. Homöopathikaeinsatz oder Nottötung) abgewogen werden.
Ist die Entscheidung zur Anwendung eines Tierarzneimittels gefallen, stehen für die Wahl des richtigen Tierarzneimittels der Behandlungserfolg und das Tierwohl an erster Stelle. Da Tierarzneimittel schlussendlich auch in die Umwelt gelangen (siehe: Eintrag und Vorkommen von Tierarzneimitteln in der Umwelt), gilt es, Umweltaspekte im Auswahlprozess zu beachten. Der Abwägungsprozess der Tierärztinnen/-ärzte bei der Verordnung eines Tierarzneimittels ist komplex. Dabei werden eine Reihe von Entscheidungskriterien (z. B. Wirksamkeit, Verträglichkeit) und Rechtsnormen beachtet (siehe z. B.:BMEL: Tierarzneimittel – Übersicht über die Rechtsgrundlagen) sowie zahlreiche Aspekte (Tierschutz, Verbraucherschutz, Wirtschaftlichkeit usw.) abgewogen, unter denen Umweltschutz nur einer ist.
Bei der Verordnung gibt es oft keine eindeutigen, einfachen Lösungen und verschiedene Ziele stehen im Konflikt miteinander. Zum Beispiel wird bei der Ferkelkastration der Wirkstoff Isofluran nach Umwidmung durch den Hoftierarzt eingesetzt. Zum einen wird dem Ferkel durch Isofluran eine schmerzfreie Kastration durch Betäubung ermöglicht. Zum anderen ist Isofluran ein starkes Treibhausgas und für den Anwender und die Anwenderin gesundheitsgefährdend. Bei wiederholter und vermehrter Exposition können Leberschäden auftreten. Ein weiteres Beispiel sind Antibiotika aus der Gruppe der Sulfonamide, die aufgrund ihrer Mobilität ins Grundwasser gelangen können. Der Ersatz der Sulfonamide durch andere Antibiotikawirkstoffe ist jedoch durch diverse Faktoren limitiert. Dazu gehören u.a. Zulassung eines geeigneten Präparates für die entsprechende Tierart und Indikation, Wirksamkeitsergebnisse aus Antibiogrammen und vorangegangene Therapieversuche im Bestand. Darüber hinaus sind auch für diverse andere Antibiotikawirkstoffe unerwünschte Nebenwirkungen in der Umwelt bekannt. Auf den Einsatz von Antibiotikawirkstoffen, die von der Weltgesundheitsorganisation (WHO) und der Weltorganisation für Tiergesundheit (OIE) als Wirkstoffe mit besonderer Bedeutung für die Therapie des Menschen eingestuft wurden, sollten in der Tiermedizin nur sehr restriktiv eingesetzt werden, um das Risiko der Resistenzbildung bei diesen Antibiotika nicht zu forcieren.
Einige Managementverfahren, wie das Rein-Raus-Prinzip in der Ferkelzucht, basieren auf dem Einsatz von Hormonen. So wird Sauen der Wirkstoff Altrenogest verabreicht, um die Brunst zu synchronisieren und damit die Jungsauen in den Zuchtbestand einzugliedern. Dadurch können die Arbeitsabläufe im Betrieb vereinfacht werden, da Reinigung, Desinfektion und Geburtsüberwachung zur selben Zeit anfallen und so optimiert werden können. Allerdings zeigte das Steroidhormon Altrenogest in Laborversuchen starke Effekte auf Fische. Hier kann gegebenenfalls auf eine natürliche Eingliederung der Jungsauen zurückgegriffen werden, um die Umwelt zu schonen. In einem dreiwöchigen Absetz-Rhythmus fällt eine umrauschende Sau automatisch in eine andere Gruppe zurück, wohingegen bei einem vierwöchigen Absetz-Rhythmus die Sau häufig erst durch Medikation wieder in eine Gruppe eingegliedert werden kann. Zumindest aus Sicht der Arzneimittelminimierung ist daher ein dreiwöchiger Absetz-Rhythmus sinnvoller.
Für die Umwelt gilt: je weniger Tierarzneimittel eingesetzt werden, desto geringer sind der zu erwartende Umwelteintrag und die resultierenden Effekte. Trotzdem muss die Verringerung des Einsatzes von Tierarzneimitteln nach Vorschrift erfolgen. So ist die Einsparung von Antibiotika durch unvollständige (z. B. abgebrochene oder unterdosierte) Behandlung auch aus Umweltperspektive abzulehnen. Sie steigert das Risiko der Resistenzbildungen bei Mensch, Tier und in der Umwelt und erfordert häufig eine Nachbehandlung. Dennoch kann bei kritischer Verordnung viel für den Umweltschutz getan werden.
Infografik: Umwelt-Checkliste für den Einsatz von Tierarzneimitteln
Effekte von Tierarzneimitteln auf Nichtzielorganismen
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Einsatz alternativer Behandlungsmethoden
Es existieren eine Reihe Phytotherapeutika, Futtermittelzusatzstoffe oder homöopathischer Mittel zur Förderung der Wundheilung, Unterstützung der Atemwegsfunktion oder mit Wirkung auf den Gastrointestinaltrakt. Antibiotika werden insbesondere bei Atemwegsinfektionen oder Durchfallerkrankungen eingesetzt. Für einige etablierte Behandlungen können durchaus Alternativen zu einer Einsparung von Tierarzneimittel führen.
Präventive Alternativen sind, im Vergleich zu den in der Schulmedizin etablierten, eingesetzten Tierarzneimitteln, stärker von optimalen Hygiene- und Haltungsbedingungen abhängig. Der erfolgreiche Einsatz von Alternativen erfordert einen vorausschauenden Handlungsansatz, verbunden mit einer sehr guten Tierbeobachtung und der Erfahrung, frühzeitig Verhaltensänderungen im Hinblick auf die Tiergesundheit zu deuten. So können längere Liegezeiten oder geringere Futteraufnahme der Einzeltiere Indizien für eine Beeinträchtigung der Gesundheit sein. Daher sollten alternative, sowie alle anderen Behandlungsmethoden in Verbindung mit einem optimierten einzelbetrieblichen Gesundheitsmanagement erfolgen (siehe: Erweitertes Gesundheitsmonitoring in der Tierproduktion).
Derzeit sind viele Pflanzeninhaltsstoffe mit potentieller gesundheitsfördernder Wirkung als Futtermittelzusatzstoffe zugelassen. Tauschen sich Tierärztinnen/-ärzte, Landwirtinnen/-wirte und Tierheilpraktikerinnen/-praktiker zum Nutzen alternativer Heilmethoden aus, könnte dies eine Verringerung des Tierarzneimitteleinsatzes bewirken.
Diagnostik
Vor der Behandlung steht die Diagnose, für die gegebenenfalls Erregernachweise und Resistenztests durchgeführt werden sollten. Bei Durchfallerkrankungen können Schnelltests den Ursprung der Erkrankung eingrenzen und Antibiotikagaben bei nicht-bakteriellen Erkrankungen vermeiden. Ebenso sind Blutproben geeignet, das regelmäßige Gesundheitsmonitoring zu unterstützen1. Stoffwechselstörungen und Organbelastungen können frühzeitig erkannt werden, wenn die Schlachtbefunde mehrmals im Jahr erhoben werden. Dadurch können Maßnahmen, z. B. Impfungen, ergriffen werden, bevor die Erkrankung ausbricht.
Umweltkriterien bei der Wahl des Wirkstoffes berücksichtigen
Umweltkriterien fließen häufig noch nicht in tierärztliche Entscheidungsprozesse ein. Ein Blick in die Packungsbeilagen der Tierarzneimittel lohnt sich. Hinweise zu Umweltrisiken wie zum Beispiel „bienentoxisch“ oder „gewässertoxisch“ stehen häufig unter den Warnhinweisen. Allerdings können Umwelthinweise auch in anderen Punkten enthalten sein. Ratsam ist es, die ganze Packungsbeilage zu lesen auch um Hinweise zur Anwendersicherheit zu erhalten. Der Packungsbeilage sind darüber hinaus Hinweise zur umweltschonenden Entsorgung von Tierarzneimittelverpackungen, Arzneimittelresten sowie abgelaufenen Arzneimitteln zu entnehmen (siehe: Lagerung und Entsorgung von Tierarzneimitteln). Tierarzneimittel werden von Tierärztinnen/-ärzten nicht nur verschrieben, sondern auch direkt an Landwirtinnen/-wirte abgegeben. Tierarzt und Tierärztin stehen zu jedem Tierarzneimittel ausführliche Fachinformationen (Gebrauchsinformation/Produktinformation) zur Verfügung, die neben vielen anderen Informationen auch weiterführende Hinweise zu den Umwelteigenschaften eines Präparates enthalten können. Deshalb muss der Tierarzt oder die Tierärztin den Landwirt oder die Landwirtin nicht nur über Anwendung und Wirkung des Tierarzneimittels, sondern auch über mögliche Umweltwirkungen sowie über Lagerung und Entsorgung aufklären (siehe: Lagerung und Entsorgung von Tierarzneimitteln). Eine Übersicht über die mögliche Dokumentation von Umwelthinweisen in den Produktinformationen zu Tierarzneimitteln enthält Abbildung: Wo finden sich Umwelthinweise in den Produktinformationen zu Tierarzneimitteln?
Das Thema Umweltrisiken von Arzneimitteln ist bisher noch nicht Bestandteil in der der Ausbildung von Tiermedizinern/-medizinerinnen. Dennoch gibt es verschiedene Möglichkeiten zur Weiterbildung (siehe: Bildungsangebote zu Tierarzneimitteln und Umwelt).
Darreichungsform des Tierarzneimittels als Auswahlkriterium
Ein anderes Auswahlkriterium kann auch die Darreichungsform des Tierarzneimittels sein. Oral anzuwendende Fertigarzneimittel werden häufig als Pulver über das Tierfutter verabreicht. Pulver führt zu Staubentwicklung. Dieser Staub kann von den Menschen im Stall und umstehenden, gesunden Tieren eingeatmet werden und in die Umwelt gelangen. Granulate verringern diese Wirkstoffverschleppung (siehe: Umweltaspekte bei Verabreichung von Tierarzneimitteln Abschnitt Verschleppung von Tierarzneimitteln vermeiden). Hinweise zum guten Umgang mit oral zu verabreichenden Fertigarzneimitteln gibt der BMEL-Leitfaden für die „Orale Anwendung von Tierarzneimitteln im Nutztierbereich über das Futter oder das Wasser“.
Obwohl das entscheidende Kriterium für die Wahl der Applikationsart die Diagnose und optimale Wirkungsform bleiben, ist es in manchen Fällen möglich, eine Applikationsform mit niedrigerer Wirkstoffmenge zu wählen. Für Rinder gibt es beispielsweise spezielle intraruminale Kapseln oder Tabletten für die orale Verabreichung, die auf die Besonderheiten bei Wiederkäuern ausgerichtet sind. Zur Behandlung von Mastitis bei Milchkühen gibt es Präparate, die lokal direkt in den Milchkanal eingebracht werden können. Im Vergleich zu systemischen Arzneimitteln kann dadurch die notwendige Wirkstoffmenge deutlich reduziert werden. Die Wirkstoffverluste, beispielsweise durch geringere Resorptionsraten bei oralen Arzneimitteln oder die Verteilung im gesamten Körper über das Blut, sind geringer.
Intramuskulär, intravenös oder subkutan injizierte Tierarzneimittel sollten bevorzugt werden, wenn bei diesen Verabreichungsformen geringere Dosen zum gleichen Behandlungserfolg führen und dabei weniger Arzneimittel in die Umwelt gelangen. In manchen Fällen entfallen geringere Dosen jedoch auch auf die orale Applikationsform. Bei hohen Tierzahlen und gleichzeitig schlechter Zugänglichkeit zu den Tieren, wie zum Beispiel bei Geflügel, werden Tierarzneimittel überwiegend über das Tränkwasser oder das Futter gegeben.
Bei allen Tierarten fehlen für einen systematischen Vergleich der Applikationsformen wissenschaftliche Daten.
Umweltgefährliche Tierarzneimittel nicht zur Prophylaxe oder Metaphylaxe
Der metaphylaktische Einsatz von Tierarzneimitteln ist nur dann gerechtfertigt, wenn sicher ist, dass der Krankheitserreger auf das Tierarzneimittel reagiert. Zeigen nur einzelne Tiere Krankheitssymptome, sollten diese vom Rest des Bestandes separiert werden. Eine metaphylaktische Behandlung des Tierbestandes ist nur dann gerechtfertigt, wenn davon auszugehen ist, dass sich die noch symptomlosen Tiere infizieren und zu erwarten ist, dass diese Tiere in Kürze erkranken werden. Eine Prophylaxe, speziell mit Antibiotika, ist nur ausnahmsweise vertretbar, wie zum Beispiel in Verbindung mit einer Operation oder bei immunsupprimierten Tieren.
Beim Trockenstellen von Milchkühen ist der Einsatz von Antibiotika gängige Praxis. Das Trockenstellen ohne Antibiotika ist in vielen Fällen allerdings möglich. Dadurch werden Rückstände im Kolostrum und Antibiotikaresistenzen vermieden sowie Tierarzneimitteleinträge in die Umwelt verringert (siehe: Reduktion tierarzneimittelhaltiger Sperrmilch).
Begleitende Beratungen zur Verordnung von Tierarzneimitteln
Bei jeder Behandlung lebensmittelliefernder Tiere sind die Wirksamkeit der Arzneimittelanwendung, die Vermeidung unerwünschter Nebenwirkungen, Anwendersicherheit, Lebensmittelsicherheit, Verbraucherschutz, Tierschutz, Umweltschutz sowie die Vermeidung der Ausbreitung von Antibiotikaresistenzen bei der Entscheidungsfindung zu bedenken. Der behandelnde Tierarzt/-ärztin entscheidet im Einzelfall, ob eine parenterale, orale oder lokale Behandlung oder eine Kombination notwendig ist und wägt zwischen den Merkmalen der jeweiligen Arzneimittel, den Zulassungsbedingungen, den Verhältnissen im Betrieb sowie anderen Behandlungsalternativen ab.
Immer wenn Krankheitsfälle, die eine Verordnung von Tierarzneimitteln erfordern, auftreten, sollten Tierärzte/-ärztinnen und Landwirte/-wirtinnen gemeinsam die Präventionsmaßnahmen und das Gesundheitsmanagement prüfen und bei Bedarf verbessern. (siehe: Erweitertes Gesundheitsmonitoring in der Tierproduktion). Durch die Verbesserung der Prävention und des Gesundheitsmanagements können Landwirtinnen/-wirte Ausgaben für die Behandlung kranker Tiere einschließlich der Kosten für Tierarzneimittel, den zusätzlichen Arbeitsaufwand sowie Kosten für den Produktionsausfall einsparen.
Tierärztinnen/-ärzte können den Landwirtinnen/-wirten die durch die Beratung vermeidbaren Kosten vorstellen. Bei der Wahl des Bestandstierarztes bzw. der Tierärztin empfiehlt es sich darauf zu achten, ob diese/r zu Fragen des Gesundheitsmanagements beraten kann. Die Qualität des tierärztlichen Handelns eines Tierarztes/-ärztin hängt stark von seinem Blick für Schwachstellen im präventiven Gesundheitsmanagement und den daraus abgeleiteten langfristigen Empfehlungen ab. Dabei spiel eine entscheidende Rolle, wie viel Zeit der/die Tierarzt/-ärztin sich für die Schwachstellenanalyse und Beratung nimmt. Das Verbot der Rabattierung von Tierarzneimitteln und die Diskussion um die Abschaffung der tierärztlichen Hausapotheke in der Vergangenheit zeigen, dass Verordnungen von Tierarzneimitteln auch finanziellen Anreizen unterliegen können. Im Sinne einer guten und umweltfreundlichen Praxis, sollte dieser Aspekt nicht im Vordergrund der Entscheidung stehen.