Wie Dachbegrünung bei Hitze und Starkregen helfen kann, welche Pflanzenarten geeignet sind, um das Mikroklima zu mildern und was Gebäudeverantwortliche bei der Planung und Umsetzung von Dachbegrünung berücksichtigen sollten, verraten Prof. Dr. Elke Hietel und Prof. Oleg Panferov von der TH Bingen im Interview.
Prof. Dr. Oleg Panferov ist Professor für Klimaschutz & Klimaanpassung an der TH Bingen. Er ist Projektleiter des „Open-Air-Labors Dachbegrünung“ und untersucht im Projekt die Effekte von Dachbegrünung auf das Klima.
Prof. Dr. Elke Hietel ist Professorin für Landschaftspflege, Landschafts- und Stadtplanung an der TH Bingen und leitet zusammen mit Professor Panferov das Projekt. Sie beschäftigt sich vor allem mit der Frage, welche Pflanzen für die Dachbegrünung geeignet sind und wie sich Dachbegrünung auf die Biodiversität auswirkt.
Nach einem extrem heißen Sommer steht nun die kalte Jahreszeit vor der Tür und kann Starkregen und Stürme mit sich bringen. Wie kann Dachbegrünung die Risiken reduzieren, die von Hitze und Niederschlag ausgehen und durch den Klimawandel zukünftig noch stärker werden?
Panferov: Dachbegrünung hat mehrere positive Effekte: Bei zunehmenden Starkregen, wie wir sie zurzeit beobachten, stellen begrünte Dächer eine effiziente Maßnahme dar, um vor Überflutungsrisiken zu schützen. Sie halten das Wasser zurück, sodass es nicht in die Kanalisation gelangt und vermeiden so Überflutungen. Begrünte Dächer können im Durchschnitt 60 Prozent des Regenwassers zurückhalten. Unsere Untersuchungen haben gezeigt, dass nach einem trockenen Sommer, wie zum Beispiel dieses Jahr, sogar mehr als 90 Prozent Regenwasserrückhalt möglich sind. Zwar wird das meiste Wasser gar nicht von den Pflanzen selbst, sondern vom Substrat gehalten, die Pflanzen transpirieren jedoch das Wasser. So trocknet das Substrat schneller und ist wieder für die Aufnahme von neuem Wasser bereit. Begrünungsfirmen bieten Retentionsdächer an, die bis zu 80 Liter pro Quadratmeter aufnehmen können.
Darüber hinaus können begrünte Dächer – wenn die richtigen Pflanzen eingesetzt werden – das Klima mildern. Indem die Pflanzen im Sommer transpirieren, kühlen sie das Mikroklima ab. Auf diese Weise können sie Hitzeextreme und damit die Belastung auf Menschen und Gebäude mildern. Zusätzlich bieten sie eine größere Fläche für die Ablagerung von Schadstoffen wie zum Beispiel Feinstaub. Das hat zwar keinen direkten Einfluss auf die Klimaanpassung, stellt aber einen Nebeneffekt dar, der sich positiv auf das Klima in Städten auswirkt.
Sie setzen gemeinsam mit Ihren Studierenden ein Forschungsprojekt zum Thema Dachbegrünung um. Wie sind Sie dabei vorgegangen?
Panferov: Unserem eigentlichen Projekt ist ein Pilotprojekt vorausgegangen. Die Untersuchungen haben gezeigt, dass sukkulente Pflanzen, die am häufigsten für die extensive Dachbegrünung eingesetzt werden – also zum Beispiel unterschiedliche Sedumarten – zwar Regenwasser zurückhalten, aber kaum zur Klimaabkühlung beitragen. Mit unserem Projekt wollen wir zeigen, dass es möglich ist, eine autarke, pflegeleichte und doch klimaeffiziente und umweltfreundliche semiintensive Begrünung zu entwickeln und für Klimaschutz und Anpassung anzuwenden. Dafür haben wir in Zusammenarbeit mit der Stadt Bingen ein 10 mal 10 Meter großes Dachmodell circa einen Meter über dem Boden aufgebaut, auf dem wir unsere Untersuchungen durchführen. Das Dach wird in Parzellen aufgeteilt und auf jeder Parzelle werden unterschiedliche Pflanzen getestet – typische sukkulente Pflanzen, aber auch semi-intensive Pflanzen wie zum Beispiel Wiesenstorchschnabel, Wiesenknopf oder Blaugrüne Segge, die, wenn sie genügend Wasser zur Verfügung haben, das Klima abkühlen.
Hietel: Wir messen konkret vor Ort auf verschiedenen Flächen, welche Effekte Dachbegrünung erzielt – zum einen für die Kühlung und zum anderen für den Wasserrückhalt bei Starkregen. Wir schauen aber auch, wie sich Dachbegrünung auf die Biodiversität auswirkt – zum Beispiel auf den Biotopverbund in den Städten – und wie sich begrünte Dächer auf die Feinstaub-Deposition auswirken? Darüber hinaus untersuchen wir die energetischen Auswirkungen von Dachbegrünung. Um positive Effekte auf das Klima zu erzeugen, müssen die Pflanzen transpirieren und brauchen ausreichend Wasser. Deshalb untersuchen wir, wie Dachbegrünung mit einer automatischen Bewässerung kombiniert werden kann. Damit wir den Klimaschutz dabei nicht vernachlässigen, möchten wir ein autark funktionierendes System entwickeln, das mit Regenwasser und erneuerbaren Energien funktioniert. Ein weiteres Ziel ist es, essbare Pflanzen in unserem Open-Air-Labor zu testen. Wenn die Pflanzen selbst nutzbar sind, könnte das die Akzeptanz von Dachbegrünung bei Gebäudeverantwortlichen deutlich steigern.
Was ist das Besondere an Ihrem Projekt?
Hietel: Eine Besonderheit des Forschungsprojekts ist, dass es sehr interdisziplinär angelegt ist. Im Projekt beteiligt sind zum Beispiel auch die Professoren für Wasserwirtschaft und für Erneuerbare Energien. Wir haben das Know how im Hause und arbeiten sehr eng mit Kommunen zusammen. Die Stadt Bingen und die Stadt Mainz sind bereits involviert. Eine weitere Besonderheit besteht darin, dass die Studierenden selbst sehr stark beteiligt sind. Sie haben von Anfang an die Planung übernommen, die Pflanzen im Vorfeld theoretisch analysiert und ihre Standortansprüche untersucht und auch bei der praktischen Umsetzung der Demoanlage mitgearbeitet. Die studentische Mitarbeit wird auch bei den anstehenden konkreten Messungen und Beobachtungen fortgesetzt.
Gibt es schon konkrete Forschungsergebnisse aus Ihrem Open-Air-Labor?
Panferov: Von unserem laufenden Projekt gibt es noch keine direkten Forschungsergebnisse, da wir das Modell gerade erst aufgebaut haben. Beim Pilotprojekt, also den Voruntersuchungen auf realen Dächern haben wir festgestellt, dass die existierenden extensiven Dächer das Mikroklima nicht abkühlen. Deshalb haben wir uns nach dem Pilotprojekt die Frage gestellt, wie wir das ändern können. Wie können wir die richtigen Pflanzen finden in Kombination mit der richtigen Bewässerung, sodass sie auch autark ist?
Hietel: Für die Biodiversität hat das Pilotprojekt gezeigt, dass Dachbegrünung sehr wichtige Funktionen in den Städten erfüllen kann, vor allem in sehr stark versiegelten Bereichen. In städtischen Gebieten finden wir auf Gründächern im Vergleich zu nicht begrünten Dächern erstaunlich viele Tierarten. Beim Pilotprojekt kam extensive Dachbegrünung zum Einsatz. Ob sich die semi-intensive Dachbegrünung ebenfalls positiv auf die Biodiversität auswirkt, ist eine der Forschungsfragen, die wir in unserem Projekt untersuchen. Es ist aber davon auszugehen. Denn je strukturreicher und höher der Dachbewuchs ist, desto mehr Lebensraumvielfalt wird geboten.
Wie können die Ergebnisse aus dem Open-Air-Labor (der Forschung) dann in die breite Praxis übertragen werden?
Hietel: Das ist ein ganz wichtiger Aspekt, denn in unserem Projekt geht es uns ja um den Forschungstransfer. Dafür kooperieren wir zum Beispiel mit verschiedenen Kommunen, da sie eine wichtige Schnittstelle darstellen. Kommunen haben zum Beispiel die Möglichkeit, Gründach-Satzungen aufzustellen. Nach Abschluss unseres Projekts können wir den Kommunen wichtigen Input geben, wie man diese Gründach-Satzung möglichst optimal gestaltet, zum Beispiel in Form einer Muster-Gründach-Satzung.
Darüber hinaus kooperieren wir mit Dachbegrünungsfirmen und den entsprechenden Verbänden, um möglichst viel Know how zusammenzubringen. Im Augenblick wird ja über eine Muster-Bauordnung diskutiert und hier ist es uns ein Anliegen, zu zeigen, wie man Dachbegrünung implementieren kann. Gerade im privaten Bereich kommt Dachbegrünung noch viel zu selten zum Einsatz. Wie man das ändern und gleichzeitig sicherstellen kann, dass auch die richtige Begrünung zum Einsatz kommt, beschäftigt uns ebenfalls in unserem Projekt.
Warum wird Dachbegrünung im privaten Bereich so wenig eingesetzt?
Hietel: Das ist eine interessante Frage, die ich mir selbst auch stelle. Denn gerade wenn man neu baut, entstehen durch Dachbegrünung gar keine zusätzlichen Kosten. Ich könnte mir vorstellen, dass hier noch gute Beispiele fehlen, an denen sich Bauherren orientieren können. Gleichzeitig bestehen bei Gebäudeverantwortlichen sicherlich auch Ängste, dass es bei begrünten Dächern schneller zu Schäden kommt und Wasser in die Gebäude eintritt. Untersuchungen zeigen aber, dass dies bei korrekter Bauausführung nicht der Fall ist.
Panferov: Viele Eigentümer haben auch die Befürchtung, dass Dachbegrünung zu pflegeintensiv sein könnte – vor allem in trockenen Regionen. Bei der „Nacht der Wissenschaften“ der TH Bingen haben wir unsere Idee der semi-intensiven Dachbegrünung mit autarker Bewässerung vor einem Jahr vorgestellt. Viele Besucher waren begeistert von der Idee, die Dächer automatisch und mit Verwendung von Solarenergie zu bewässern, da der Pflegeaufwand gering ist, die Pflanzen jedoch nicht austrocknen und ästhetisch ansprechend aussehen.
Was können Sie Gebäudeverantwortlichen bereits jetzt konkret empfehlen, wenn sie ihr Dach begrünen wollen?
Hietel: In unserem Projekt geht es uns darum, alle Vorteile von Dachbegrünung aufzuzeigen. Deshalb stellen wir auch dar, wie sich Dachbegrünung beispielsweise auf die Energieflüsse im Gebäude auswirkt. Die wärmedämmende Wirkung von begrünten Dächern kann zum Beispiel die Energiekosten im Gebäude positiv beeinflussen. Auch das sind wichtige Aspekte, mit denen man die Akzeptanz bei Gebäudeverantwortlichen steigern kann.
Außerdem empfehlen wir, nicht allein auf extensive Dachbegrünung zu setzen, da gemischte Pflanzen deutlich effektiver sind. Die zentralen Ergebnisse unseres Projekts möchten wir in einem Leitfaden zusammenfassen, der private Bauherren, aber auch Kommunen und sonstige Verantwortliche, bei der Planung und Umsetzung von Dachbegrünung unterstützt.
Die TH Bingen ist deutschlandweit die einzige Universität, die den Studiengang „Klimaanpassung“ anbietet. An wen richtet sich der Studiengang?
Panferov: Es gibt zwar europaweit ein paar ähnliche Studiengänge, in dieser Form ist unser Studiengang jedoch einzigartig. Die Besonderheit liegt darin, dass der Studiengang nicht theoretisch klimatologisch ausgerichtet ist, sondern sehr praxisorientiert ist. Wir untersuchen zum Beispiel, welche praktischen Maßnahmen man für Klimaschutz und Klimaanpassung einsetzen kann. Wichtig ist uns dabei, den Studierenden eine möglichst umfassende Sicht zu geben. Uns geht es nicht darum, CO2-Emissionen zu reduzieren, egal wie. Wir suchen nach intelligenten umfassenden Lösungen. Mein Lieblingsbeispiel: Wir können ein Windrad aufstellen, um erneuerbare Energien zu gewinnen. Wenn wir dabei jedoch eine einzigartige Population von Goldhamstern zerstören, haben wir zwar etwas Gutes gewollt, im Ergebnis jedoch etwas Schlechtes erreicht. Die meisten Studiengänge vermitteln eine sehr fokussierte Sicht. Wir versuchen unseren Studierenden eine breitere Sicht zu geben und alle Konflikte und Synergien der Maßnahmen darzustellen – zum Beispiel auch die Konflikte zwischen Klimaanpassung und Klimaschutz.
Mit dem erlangten Wissen können unsere Studierenden dann beispielsweise als Klimaschutzmanager in Kommunen oder in internationalen Organisationen wie dem IPCC oder bei Germanwatch arbeiten. Der Enthusiasmus der Studierenden ist auf jeden Fall groß und der Studiengang wächst. Die ersten erfolgreichen Absolventen verlassen uns dieses Jahr.
Weitere Informationen zum Projekt:
Zum Leuchtturmprojekt „Klimaneutrale Stadt – Open Air Labor“
Zum Studiengang Klimaschutz und Klimaanpassung
Im April 2018 wurde das Projekt für den „Blauen Kompass“ des Umweltbundesamts nominiert. Das Projekt ist auch als gutes Anpassungsbeispiel in der UBA-Tatenbank eingetragen.
Das Interview führte Sabine Käsbohrer von co2online.
Dieser Artikel erschien als Schwerpunktartikel im KomPass Newsletter Klimafolgen und Anpassung Nr. 57. Hier können Sie den Newsletter abonnieren.