Die Weltchemikalienkonferenz - warum wir sie brauchen

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The Welt im Reagenzglas (The world in a test tube)
Quelle: Tryfonov / Adobe Stock

Chemikalien sind eine der Hauptursachen für die globale Erwärmung, den Verlust der biologischen Vielfalt und die Umweltverschmutzung. Dringender polit. Handlungsbedarf. Die Fünfte Weltchemikalienkonferenz (ICCM5), die vom 25.- 29. Sep. 2023 in Bonn (Deutschland) stattfindet, soll einen stärkeren politischen Rahmen für einen verantwortungsvollen Umgang mit Chemikalien auf globaler Ebene schaffen.

Die Debatte über die Rettung des Planeten konzentriert sich oft vor allem auf die Dringlichkeit, die Treibhausgasemissionen zu reduzieren. Die beiden anderen Aspekte der dreifachen planetaren Krise - der Verlust der biologischen Vielfalt und die Umweltverschmutzung - finden in der Öffentlichkeit und den Medien weit weniger Beachtung. Dabei sind sie ebenso dringlich und müssen gemeinsam gelöst werden. Alle drei Krisen sind auch eine Folge unseres weit verbreiteten und zum Teil unsachgemäßen Einsatzes von Chemikalien.
Um die Frage eines verantwortungsvollen Chemikalienmanagements anzugehen, hat das Umweltprogramm der Vereinten Nationen (UNEP) im Jahr 2006 einen politischen Rahmen, den sogenannten Strategischen Ansatz für ein internationales Chemikalienmanagement (SAICM), geschaffen. Da sich dieser Rahmen als nicht stark genug erwies, um die Verschmutzung zu bekämpfen, wurde 2015 ein Prozess zur Überarbeitung und Ergänzung von SAICM eingeleitet. Nach acht Jahren Vorbereitungsarbeit werden auf der Fünften Weltchemikalienkonferenz (ICCM5) vom 25. bis 29. September 2023 in Bonn Entscheidungen fallen. Es wird erwartet, dass die Vertreter von Regierungen, Industrie, Nichtregierungsorganisationen und Wissenschaftlern aus mehr als 100 Ländern ein neues wirkungsvolleres Rahmenwerk verabschieden.

Wo liegt das Problem?

Chemikalien sind für unser Leben unverzichtbar geworden. Sie kommen in fast allen Bereichen zum Einsatz: in Arzneimitteln, in der Landwirtschaft, in der Schädlingsbekämpfung, in Reinigungs- und Desinfektionsmitteln, in Toilettenartikeln, Baumaterialien, Fahrzeugen, elektrischen und elektronischen Geräten, Textilien und Verpackungen aller Art und Form.


Unsere allumfassende Abhängigkeit von Chemikalien hat ein globales Problem geschaffen:

  • Die weltweite Produktion ist seit 1950 um das 50-fache gestiegen und wird sich bis 2050 im Vergleich zu 2010 voraussichtlich noch einmal verdreifachen. Damit ist die chemische Industrie weltweit die zweitgrößte verarbeitende Industrie und der drittgrößte industrielle Emittent von Kohlendioxid. Chemikalien verschmutzen also nicht nur unsere Umwelt, sondern tragen auch zur globalen Erwärmung und zur Erschöpfung der Ressourcen bei.
  • Innovationen – gezielt oder zufällig - haben eine Fülle von chemischen Stoffen hervorgebracht. Schätzungsweise 350.000 chemische Stoffe und Mischungen chemischer Stoffe sind auf dem Weltmarkt erhältlich; jedes Jahr kommen Tausende neuer Chemikalien hinzu. Neben der Anzahl nimmt ihre Komplexität sowie die Komplexität ihrer Anwendungen und Einsatzbereiche stetig zu. Oft ist zudem nicht bekannt, in welchen Produkten und technischen Prozessen welche Stoffe eingesetzt werden, und wie diese Stoffe (getrennt und zusammen) auf Mensch und Umwelt wirken.
  • Jüngste wissenschaftliche Erkenntnisse deuten darauf hin, dass die Masse der vom Menschen hergestellten Materialien (wie Beton, Asphalt, Metall, Plastik, Glas, Papier) bald die gesamte lebende ⁠Biomasse⁠ unseres Planeten überschreiten wird oder bereits überschritten hat. Das bedeutet, die Spezies Mensch greift tief in das planetare System ein, ohne die wachsende Menge und Anzahl von Chemikalien in der Umwelt bewerten, geschweige denn wirksam kontrollieren zu können. Dies deckt sich mit der Schlussfolgerung einiger Wissenschaftler*innen, dass die Menschheit die sichere planetare Grenze für chemische Kontamination überschritten hat.

Was sind die Folgen?

Die beschleunigte Produktion und Verwendung von Chemikalien führt weltweit zu schwerwiegenden Verschmutzungsfolgen entlang des Lebenszyklus von Chemikalien, einschließlich enormer Abfallprobleme. Boden, Luft und Wasser sind mit riesigen Mengen künstlich hergestellter Chemikalien kontaminiert, von denen einige sehr langlebig sind. So stellen beispielsweise Per- und polyfluorierte Alkylsubstanzen (⁠PFAS⁠) - bekannt als "forever chemicals" - eine große Herausforderung dar, da sie kaum abbaubar sind. Sie verbleiben in der Umwelt, verunreinigen unser Wasser, den Boden und die Luft und gelangen schließlich in den Körper von Menschen und Tieren. Aufgrund ihrer Antihaft- und wasserfesten Eigenschaften sind sie bei der Herstellung von Kleidung, Küchenutensilien, Verpackungen für frische Lebensmittel und Kosmetika beliebt. Die Europäische Kommission erwägt ein Verbot von PFAS, ein Prozess, der von Deutschland und anderen EU-Mitgliedstaaten gemeinsam initiiert wurde. In den Vereinigten Staaten hat die Umweltschutzbehörde im vergangenen Jahr eine nationale Verordnung über rechtlich durchsetzbare Grenzwerte für sechs PFAS im Trinkwasser vorgeschlagen.

Dies sind wichtige Schritte. Aber wir sind noch weit von den Regulierungsmaßnahmen entfernt, die zum Schutz der menschlichen Gesundheit und der Umwelt erforderlich sind. Gleichzeitig muss sich der Einsatz von Chemikalien im Sinne grüner und nachhaltiger Chemie viel systematischer auf innovative und zukunftssichere Lösungen für die nachhaltige Entwicklung konzentrieren.

Es braucht also dringend Maßnahmen auf globaler Ebene - "business as usual" ist keine Option.

Was ist in Bonn zu erwarten?

Ziel der Bonner ICCM5 ist ein gestärkter globaler Rahmen für den verantwortungsvollen Umgang mit Chemikalien und Abfällen, so dass negative Auswirkungen auf die menschliche Gesundheit und die Umwelt minimiert werden. Seit seiner Einführung ist SAICM wegen seines umfassenden Geltungsbereichs und seines einzigartigen Sektor- und ⁠Stakeholder⁠-übergreifenden Charakters weithin anerkannt. Eine unabhängige Bewertung und UNEP’s „Global Chemicals Outlook II“ haben jedoch gezeigt, dass die Ziele noch nicht erreicht wurden.

Obwohl der verantwortungsvolle Umgang mit Chemikalien und Abfällen (SMCW) für eine nachhaltige Entwicklung von zentraler Bedeutung ist, erhält der Prozess bei weitem nicht die öffentliche und politische Aufmerksamkeit, die er benötigt - im Gegensatz zu dem von der Klimarahmenkonvention der Vereinten Nationen (UNFCCC) eingeleiteten Prozess zur Bekämpfung des Klimawandels. Dieser führte 2015 zum Pariser Abkommen, einem internationalen rechtsverbindlichen Vertrag mit dem Ziel des Klimaschutzes.

Die Erwartungen an die ICCM5 lassen sich – sehr vereinfacht - aus Sicht des Umweltbundesamts so beschreiben:

  • Ziele klarer definieren,
  • Erfolge messbar machen,
  • mehr Verbindlichkeit unter den Teilnehmerstaaten schaffen, und
  • vor allem Entwicklungsländer institutionell, fachlich und finanziell unterstützen, mehr Sicherheit und ⁠Nachhaltigkeit⁠ im Umgang mit Chemikalien und Abfällen zu erreichen.

Fortschritte an diesen Fronten sind die Voraussetzung dafür, im Anschluss an die Konferenz konkrete Maßnahmen entwickeln und deren Umsetzung überprüfen zu können. Die Bewältigung der globalen Chemikalienkrise wird gleichzeitig dazu beitragen, alle Ziele für nachhaltige Entwicklung (Sustainable Development Goals - SDGs) zu erreichen.

Die ICCM5 ist eine Gelegenheit, die Chemikalienthematik breiter in die Öffentlichkeit zu bringen und höher auf die politische Agenda zu setzen. Die Zukunft eines nachhaltigen und sicheren Umgangs mit Chemikalien hängt von den Ergebnissen in Bonn ab!

6 SDGs als farbige Symbole
6 SDGs als farbige Symbole
Quelle: www.un.org bild2_grafik-6sdgs.docx
Logo der ICCM5
Logo der ICCM5
Quelle: www.un.org bild3_logo-konferenz.docx