Auf der Suche nach umweltfreundlicherem Rattengift

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Wanderratten gelten als Gesundheitsschädlinge und werden meist mit giftigen Fraßködern bekämpft.
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Ratten und Mäuse werden seit langem mit den gleichen blutgerinnungshemmenden Giften bekämpft. Trotz Umwelt- und Resistenzproblemen wurden die Produkte bisher zugelassen, da sie als alternativlos galten. Eine neue Studie zeigt vielversprechende Strategien um Alternativen zu finden, die bisherige Stoffe zu ersetzen und dadurch Umweltbelastungen zu verringern.

Die als Blutgerinnungshemmer (Antikoagulanzien) der ersten und zweiten Generation bezeichneten Wirkstoffe in herkömmlichen Ratten- und Mäusegiften werden bereits seit den 1950er bzw. 1970/80er Jahren zur Schädlingsbekämpfung eingesetzt. Angesichts der mit ihrem Einsatz verbundenen Umweltrisiken, der Entstehung und Verbreitung von Resistenzen und den zunehmenden behördlichen Beschränkungen ihres Einsatzes drängt sich immer stärker die Frage auf, ob mit modernen Methoden nicht umweltfreundlichere Alternativen gefunden werden könnten. Aufbauend auf vorbeugenden und nicht-chemischen Maßnahmen würden diese ein wichtiger Baustein im nachhaltigen Schadnager-Management sein, wenn die erstgenannten Maßnahmen nicht ausreichen.

Während der Fortschritt auf dem Gebiet der Chemie beispielsweise im Bereich der Pharmazie neue und innovative Wirkstoffe hervorbrachte, gab es bei der Entwicklung von neuartigen Wirkstoffen zur Nagetierbekämpfung in den letzten Jahrzehnten kaum Fortschritte. Dabei stellen Nagetiere für die Nahrungsmittelversorgung, den Gesundheitsschutz von Menschen und (Nutz-)Tieren, aber auch für den Material- und Artenschutz ein weltweites Problem dar, das trotz des massiven Einsatzes bisheriger Rodentizide nicht gelöst werden konnte.

Um das Potential zu untersuchen, das die moderne Forschung bei der Entwicklung neuer Rodentizide bietet, hat die Leuphana Universität Lüneburg im Auftrag des Umweltbundesamtes (⁠UBA⁠) ein Forschungsvorhaben durchgeführt. Neben einer umfassenden Recherche und eingehenden Bewertung potentieller Wirkstoff-Kandidaten stand die Erarbeitung einer „Konzeptstudie zu Entwicklungsmöglichkeiten eines umweltverträglicheren Rodentizids“ im Vordergrund des Projekts.

Studie macht Vorschläge für umweltverträglichere Rattengifte

Sowohl der deutschsprachige Abschlussbericht als auch der begleitende englischsprachige Artikel im Fachmagazin „Sustainable Chemistry and Pharmacy“ wurden kürzlich veröffentlicht. Darin kommen die Forschungsnehmer vom Institut für Nachhaltige Chemie und Umweltchemie zu dem Schluss, dass es noch viel Potential bei der Entwicklung umweltverträglicherer Rodentizide gibt. Die Studie hält zahlreiche vielversprechende Ansätze und ein gestuftes Forschungs- und Entwicklungskonzept für Unternehmen bereit, die innovative Lösungen zur chemischen Bekämpfung von Nagetieren auf den Markt bringen wollen.

Kurzfristige Strategien zur Entwicklung umweltfreundlicherer Rattengifte

So empfehlen die Forschenden als relativ kurzfristige Strategie, bestehende moderne blutgerinnungshemmende oder -fördernde Wirkstoffe aus dem Bereich der Humanarzneimittel, die positivere Umwelteigenschaften zeigen, auf ihr Potential zur Nagetierbekämpfung zu prüfen. Dies ist ein bewährtes Prinzip, von den derzeit verwendeten Antikoagulantien kommt Warfarin sowohl in der Humanmedizin als auch in der Nagetierbekämpfung zum Einsatz. Ebenfalls relativ kurzfristig wäre der Einsatz von akut wirkenden Giften als Fraßgift denkbar, deren Wirkeintritt durch eine Mikroverkapselung verzögert wird. Dadurch könnte der bei Ratten verbreiteten Köderscheu vorgebeugt werden, die normalerweise durch Akutgifte ausgelöst wird. Bereits aktuell von der Industrie verfolgt wird der Einsatz von reineren Gemischen antikoagulanter Wirkstoffe, die derzeit in Produkten verwendet werden. Schon dadurch können Umwelteigenschaften geringfügig verbessert werden.

Mittelfristige Strategien zur Entwicklung umweltfreundlicherer Rattengifte

Das Design von sogenannten Prodrugs, also zunächst inaktiven Wirkstoffen, auf Basis bekannter Wirkstoffe ist eine der Möglichkeiten mittelfristig umweltverträglichere Rodentizide zu entwickeln. Dabei würden die Wirkstoffe erst im Körper durch den Metabolismus der Tiere aktiviert. Berücksichtigt man dabei die Unterschiede im Metabolismus verschiedener Arten, könnte die zielgerichtete Wirkung erhöht und unerwünschte Vergiftungen anderer Tierarten reduziert werden.

Langfristige Strategien zur Entwicklung umweltfreundlicherer Rattengifte

Die Studie zeigt auch neue Ansatzpunkte für potentiell besonders spezifische Wirkmechanismen auf, die derzeit noch nicht genutzt werden, beispielweise an der hepatischen Glucokinase (Hyper-/Hypoglykämie) oder eine Störung der Ammoniakausscheidung. Um diese Mechanismen zu nutzen, müssten neue Wirkstoffe entwickelt werden, die dem Safe-and-sustainable-by-design-Konzept der aktuellen Europäischen „Chemikalienstrategie für Nachhaltigkeit“ folgen. Diese Strategie verspricht den größten Umweltnutzen, ist jedoch auch mit dem höchsten Forschungs- und Entwicklungsaufwand verbunden.

Hintergrundinformationen zu Wirkstoffen in Rodentiziden

Die derzeit meistens in Rodentiziden enthaltenen Wirkstoffe hemmen die Blutgerinnung und führen mehrere Tage nach Köderaufnahme zum Tod durch inneres Verbluten. Die verzögerte Wirkung ist ein Vorteil bei der Bekämpfung von Ratten, die ansonsten die Köder meiden würden. Allerdings verursachen Antikoagulanzien durch ihren Wirkmechanismus nicht nur Schmerzen und Leiden bei den Nagetieren, sie wirken auch auf Menschen und Nicht-Zieltiere.

Antikoagulanzien der 2. Generation bauen sich zudem in der Umwelt und auch im Körper nur sehr langsam ab und können sich dort anreichern. Vergiftete Nagetiere stellen dadurch eine Gefahr für Beutegreifer wie Eulen oder Füchse dar. Aber auch in Singvögeln und sogar Fischen wurden Rodentizid-Rückstände bereits nachgewiesen. Nicht zuletzt hat der massive Einsatz von antikoagulanten Rodentiziden bereits zu Resistenzen bei Wanderratten und Hausmäusen geführt. Zudem wurden alle antikoagulanten Wirkstoffe als reproduktionstoxisch und spezifisch zielorgantoxisch eingestuft.

Dennoch wurden sie bislang immer wieder in Biozid-Produkten zugelassen, da chemische Alternativen fehlten. Nicht-chemische Verfahren, wie zum Beispiel Fallen, erleben zwar im Zuge der Digitalisierung eine Renaissance, können den Einsatz von chemischen Mitteln derzeit aber nicht in allen Fällen ersetzen.

Insofern kommt umweltfreundlicheren chemischen Alternativen in Zukunft eine bedeutende Rolle beim weltweiten Management von Nagetieren zu. Für die Suche nach Innovationen im Bereich der chemischen Nagetierbekämpfung bietet die vorliegende Studie viele richtungsweisende Denkanstöße und eine schrittweise Forschungs- und Entwicklungsstrategie.