Förderung der Robustheit und Vitalität von Nutztieren

Bei der Zucht sollten gesundheitliche Merkmale verstärkt berücksichtigt werden.
Bei der Zucht sollten gesundheitliche Merkmale verstärkt berücksichtigt werden.
Gesundheitsrelevante Merkmalskomplexe, wie Krankheitsresistenz, Vitalität, Stressresistenz und Adaptationsvermögen treten bei unterschiedlichen Rassen und Zuchtlinien mit einer großen Variationsbreite auf, unabhängig von bekannten Umwelteinflüssen. Gezielte Züchtung beeinflussen diese Merkmalskomplexe positiv. In einer Reihe von Zuchtprogrammen wird daran gearbeitet, Robustheit als Merkmal zu definieren und in die praktische Zuchtarbeit mit aufzunehmen.
Um Merkmale züchterisch zu beeinflussen, muss es für das Zielmerkmal eine genetische Variabilität geben(65). Die Aufnahme genomischer Zuchtwerte erfolgt in der Regel über Zuchtorganisationen. Bei der Zuchtwertschätzung spielen z. B. beim Milchrind sogenannte funktionale und für die Gesundheit relevante Merkmale, wie Zellzahl in der Milch, Fruchtbarkeit, Exterieur, Nutzungsdauer und Kalbeverlauf im Vergleich zur Leistung zunehmend eine größere Rolle(66). Die absolute Leistung (kg erzeugte Milch, Fleisch oder Eier) wird heute als Produktionseffizienz in Relation zu dem Einsatz von Ressourcen ausgedrückt. Dies schließt viele Aspekte der Gesundheit und Robustheit mit ein. National und international gibt es Initiativen, die den Zuchtfortschritt durch Demonstrationsvorhaben vorantreiben (z. B. KuhVision, Optikuh2 oder eMissionCow). In der Schweinezucht wurden in den letzten Jahrzehnten Gesundheitsbeeinträchtigungen und Stressanfälligkeit z.B. MHS (Malignes Hyperthermie-Syndrom) gezielt durch Tests identifiziert. Durch diese überwiegend molekularbiologischen Verfahren ist eine exakte Erfassung der Träger dieser Erbanlagen und der Ausschluss aus der weiteren Zucht möglich(67).
Beispiele für die Berücksichtigung gesundheitlicher Merkmale bei der Zucht sind:
Die Überlegenheit robuster und vitaler Tiere ist, dass sie endogene (Geburt, einsetzende Laktation, Brunst, Rausche u. ä.) und exogene Stressoren wie Transport, Anpassung an wechselnde Umweltbedingungen (Futter, Stallklima) und das produktionsbedingte Umgruppieren (Crowding-Effekt) ohne erhöhtes Erkrankungsrisiko überstehen. Ihnen gelingt die Adaption ohne merklichen Leistungsabfall.
Die Entscheidung, gesundheitsrelevante Merkmalskomplexe bei der Zuchtwertschätzung verstärkt zu berücksichtigen, ist sehr komplex. Robustheit ist häufiger bei Rassen und Zuchtlinien zu finden, die eine geringere Milchleistung bei Milchkühen, einen geringeren Magerfleischanteil bei Mastschweinen oder eine geringere Gewichtzunahme bei Mastgeflügel aufweisen. Tierhalterinnen/-halter sind bei der Wahl von Rassen und Zuchtlinien sehr stark von den Forderungen ihrer Marktpartner abhängig, wie z.B. von Schlachthöfen, Molkereien und Vermarktern von Eiern sowie von deren produktbezogenen Bezahlungs- und Klassifizierungssystemen.
Bislang gibt es keine ökonomischen Bewertungssysteme, die Kriterien wie verbesserte Gesunderhaltung und damit einhergehend weniger krankheitsbedingte Verluste, geringeren Einsatz von Tierarzneimitteln, Langlebigkeit, Fruchtbarkeit usw. in eine Kosten-Nutzenanalyse mit einbeziehen.
Wird beispielsweise die Eutergesundheit verbessert, hat dies einen wesentlichen Einfluss auf die ökonomische Effizienz der Milchproduktion(68). Denn Mastitiden sind für schätzungsweise 33% der durch Krankheiten verursachten Kosten in der Milchkuhhaltung verantwortlich(69).
Aufgrund der komplexeren und neuen Zuchtziele haben sich auch die Methoden der Zuchtwertschätzung grundlegend geändert. Beispielsweise werden Feldprüfungen dort durchgeführt wo früher Stationsprüfungen im Vordergrund standen.
Zwischen 2000 und 2021 hat sich die Bedeutung gesundheitsassoziierter Merkmale für den Gesamtzuchtwert prozentual bereits deutlich erhöht. Beispielsweise ist in der Milchkuhhaltung die Bedeutung der Merkmale Leistung, Exterieur und Zellzahl gesunken, wohingegen insbesondere das Merkmal Nutzungsdauer stärker berücksichtigt wird(66).
Insgesamt kann der Einsatz robuster Rassen immer nur eine von vielen präventiven Maßnahmen sein. Die Gesunderhaltung ebenso wie die Erkrankung ergibt sich immer aus einem Zusammenspiel von Mikro- und Makroorganismus. Infektiöse Erkrankungen werden durch krankmachende Mikroorganismen wie Viren, Pilze oder Bakterien hervorgerufen. Das Vorhandensein eines Erregers führt allerdings nicht zwangsläufig zur Erkrankung. Aber bei ausreichend hohem Infektionsdruck (siehe: Reduktion des Keimdrucks), d. h. vielen Erregern, kann es zum Ausbruch der Infektionskrankheit beim Tier kommen. Ab welchem Level sich Symptome zeigen und vor allem, wie stark die Symptome ausfallen, hängt u. a. von dem individuellen Immunstatus (siehe: Stärkung des Immunsystems von Nutztieren) und der allgemeinen Konstitution des Tieres ab. Hierauf kann züchterisch Einfluss genommen werden.
65. Heringstad, B., Klemetsdal, G., & Steine, T. (2007). Selection responses for disease resistance in two selection experi-ments with Norwegian red cows. Journal of Dairy Science, 90(5), 2419–2426.
66. Rensing, S. (2015). Vortrag: Zucht auf Nutzungsdauer; Workshop "Milchviehhaltung zwischen Tierwohl und Ökonomie", Kompetenznetzwerk Nutztierforschung Nordrhein-Westfalen, Kleve, 28.10.2015.
67. Glodek, P. (2001). Berücksichtigung des Tierschutzes bei der Züchtung landwirtschaftlicher Nutztiere: Empfehlungen einer DGfZ-Projektgruppe unter Leitung von Prof. Dr. P. Glodek, Göttingen, an die Nutztier-Zuchtorganisationen. Züchtungskunde, 3, 163-181.
68. Kühn, C. (2007). Verbesserung der Eutergesundheit durch Zucht? Züchtungskunde, 80, 43-49.
69. Fourichon, C., Seegers, H., Beaudeau, F., Verfaille, L., & Bareille, N. (2001). Health-control costs in dairy farming systems in western France. Livestock Production Science, 68(2), 141–156.