Fließgewässer, die sich natürlich entwickeln sollen, brauchen vor allem eins: Platz. Die dauerhafte und rechtssichere Bereitstellung von Flächen für Renaturierungsmaßnahmen zählt zu den wichtigsten und schwierigsten Aufgaben des Maßnahmenträgers. Zahlreiche Instrumente können dafür genutzt und kombiniert werden.
Natürliche Fließgewässer gestalten Landschaften und sind dabei ständig in Bewegung. Sie verlagern große Mengen Geschiebe, Boden und Treibgut. Dabei verändert sich nicht nur das Gewässer selbst, sondern der gesamte Gewässerraum inklusive der Aue. Oftmals nehmen wir diese Veränderungen kaum wahr, da sie sehr langsam ablaufen. Bei Hochwasser kann sich ein Gewässer jedoch "über Nacht" völlig verwandeln. Der natürlichen Morphodynamik eines Fließgewässers Raum zu lassen hat viele Vorteile, darunter:
Sedimentrückhalt und Schutz vor Schadstoffeintrag,
Aufwertung des Naturraums und Verbesserung der Erholungsfunktion,
Reduktion des Pflegeaufwands.
Begradigte und eingeengte Gewässer müssen fortwährend unterhalten und nach starken Hochwasserereignissen immer wieder repariert werden. Diese kurzlebigen Investitionen könnten teilweise auch in die Renaturierung von Fließgewässern und die Bereitstellung von Gewässerentwicklungsflächen gelenkt werden. Langfristig zahlt sich die Investition in Flächen für naturnahe Gewässerentwicklung aus, denn dadurch reduziert sich das Überschwemmungsrisiko und das Schadenspotenzial sinkt.
Grundsätzlich sollte jede Fläche, die für eine naturnahe Gewässerentwicklung zur Verfügung steht, auch dafür genutzt werden. In den meisten Fällen reichen diese bereits vorhandenen Flächen aber nicht aus, um die ökologische Funktionsfähigkeit von Fließgewässern nachhaltig und flächendeckend zu verbessern. Folgende Fragen sollte ein Maßnahmenträger beantworten können:
Flächenverfügbarkeit ist eine zentrale Voraussetzung für eine natürliche Gewässerentwicklung. Der sogenannte "Gewässerentwicklungskorridor" gibt dem Gewässer diesen Platz. Ein Gewässerentwicklungskorridor ist der Bereich links und rechts eines Fließgewässers, der für die eigendynamische Entwicklung des Gewässers zur Verfügung steht. Er ist damit deutlich mehr als ein Gewässerrandstreifen, der laut Wasserhaushaltsgesetz (WHG § 38) im Außenbereich 5 m breit ist, wohingegen der Entwicklungskorridor in seiner Breite variabel ist. Im Idealfall umfasst er die gesamte Gewässeraue. In der Praxis schränken nutzungsbedingte Restriktionen die Ausdehnung des Entwicklungskorridors teilweise erheblich ein.
Eine klare Abgrenzung des Entwicklungskorridors schafft Planungssicherheit, sowohl für die Gewässerentwicklung als auch für die angrenzenden Nutzungen (z. B. Landwirtschaft, Verkehr, Bebauung). Innerhalb – und nur innerhalb – des Gewässerentwicklungskorridors wird dem Gewässer eine eigendynamische Entwicklung ermöglicht. Sicherungsmaßnahmen an den Korridorgrenzen sorgen dafür, dass angrenzende Nutzflächen nicht beeinträchtigt werden. Zum Schutz dieser Flächen können beispielsweise Setzstangen und Steinschüttungen als "schlafende" Ufersicherungen gegen später eintretende Ufererosion eingesetzt werden (WBW & LUBW 2013).
Um für eine Renaturierung einen Entwicklungskorridor festlegen zu können, muss zunächst der natürliche Flächenbedarf des Gewässers abgeschätzt werden. Die Frage, wie viel Fläche ein Gewässer für seine Breitenentwicklung benötigt, lässt sich pauschal nicht beantworten. Dies hängt im Wesentlichen vom Fließgewässertyp und der Gewässergröße ab. Mehr dazu: Gewässerleitbild gibt die Richtung der Renaturierungsmaßnahmen vor
Für die Ableitung des Flächenbedarfs von Fließgewässern liegt ein bundesweit abgestimmtes und anwendbares Verfahren vor (LAWA 2016). Mit dieser Methode lassen sich Gewässerentwicklungsflächen ausweisen, die dem natürlichen Flächenbedarf eines Fließgewässers genügen und gleichzeitig die Nutzungen im Gewässerumfeld (Bebauung, Verkehr, Landwirtschaft etc.) berücksichtigen. Dadurch lassen sich ökologisch funktionsfähige Fließgewässer in die Kulturlandschaft integrieren.
Derzeit untersucht das Umweltbundesamt in einem Forschungsvorhaben, wie viel Raum wir den Flüssen und Bächen in Deutschland zurückgeben müssen, um sie widerstandsfähiger gegenüber den Folgen des Klimawandels zu machen. Diese Untersuchungen stehen im engen Zusammenhang mit der Nationalen Wasserstrategie des Bundes und dem Aktionsprogramm natürlicher Klimaschutz.
Flächenverfügbarkeit – Wie viel Platz ist realistisch?
Es ist aufgrund von vorhandenen Bebauungen und Nutzungen meist nicht mehr möglich, den Flächenbedarf eines Gewässers gänzlich zu erfüllen. Bei der Identifikation von Flächen, auf denen eine natürliche Gewässerentwicklung zugelassen werden kann, sind alle Akteure gefragt, die Flächen am Gewässer besitzen und nutzen: z. B. Menschen mit Grundeigentum oder Nutzungsrechten, Kommunen, Landwirtschaft, Wasserwirtschaft, Naturschutz. Ziel eines gemeinsamen Flächenmanagements ist ein von allen Beteiligten akzeptierter Ausgleich ihrer Interessen und eine langfristig sichere Verteilung der Flächen. Eine erfolgreiche Flächenbereitstellung für Renaturierungsmaßnahmen setzt eine frühzeitige Einbeziehung und Abstimmung aller beteiligten Akteure voraus. Nur so lassen sich Konflikte rechtzeitig identifizieren und gemeinsame Lösungen finden. Mehr dazu: Kooperation und Partizipation für erfolgreiche Renaturierungen
Die wirtschaftliche Nutzung von Flächen und eine naturnahe Gewässerentwicklung müssen sich nicht immer widersprechen. Oft ist es möglich, Nutzungsinteressen aufeinander abzustimmen. Eine gemeinsame Nutzung von Flächen kann Synergieeffekte erzeugen, von denen alle beteiligten Akteure profitieren können.
Auch wenn keine zusätzlichen Flächen für die Gewässerentwicklung zur Verfügung stehen, sind noch Renaturierungsmaßnahmen möglich. Mehr dazu: Was tun, wenn kein/wenig Platz vorhanden ist?
Welche Flächen sind gewässerökologisch besonders wichtig?
Für die Beantwortung der Frage, welche Bereiche oder Abschnitte entlang eines Fließgewässers ökologische besonders bedeutsam sind, bieten sich pragmatische Ansätze wie das Strahlwirkungskonzept (DRL 2008) an. Dieses Konzept hilft dabei, die Flächensicherung zielorientiert und effizient zu gestalten.
Das Strahlwirkungskonzept geht von einer ganzheitlichen, einzugsgebietsbezogenen Betrachtung und Kombination von Maßnahmen aus. Die Zielsetzung dabei ist eine flächendeckende Verbesserung des ökologischen Zustandes bzw. des ökologischen Potenzials über den gesamten Verlauf eines Fließgewässers. Es sind also überregionale, strategische Planungen – ähnlich wie für ein Biotopverbundsystem – notwendig.
Bei der Anwendung des Strahlwirkungskonzeptes werden sogenannte Strahlursprünge entlang eines Gewässers identifiziert, die aufgrund ihrer hohen hydromorphologischen Qualität und stabilen Populationen (z. B. Fische) positiv auf benachbarte, defizitäre Gewässerabschnitte "ausstrahlen" können.
Durch die Fokussierung der Flächensicherung auf die Strahlursprünge lassen sich die zur Verfügung stehenden Mittel zielführend einsetzen und eine großräumige Verbesserung des ökologischen Zustandes erreichen. Methodische Hilfestellungen für die Anwendung des Strahlwirkungskonzeptes liefern u. a. folgende Arbeitshilfen:
Instrumente für Flächenbereitstellung und -management
Nach der Ermittlung des generellen Flächenbedarfs und der allgemeinen Flächenverfügbarkeit gilt es, diese Flächen tatsächlich zu sichern. Im Folgenden werden einige wichtige Instrumente zur Flächenbereitstellung und -sicherung für Renaturierungsmaßnahmen aufgeführt. Ausführliche Erläuterungen zu diesen und weiteren Instrumenten und Methoden zur Bereitstellung von Gewässerentwicklungsflächen enthält das DWA-Merkblatt 610 "Neue Wege der Gewässerunterhaltung: Pflege und Entwicklung von Fließgewässern" (DWA 2010).
Die Anzahl der zur Verfügung stehenden Instrumente für eine Flächenbereitstellung ist groß und die Wahl der geeigneten Instrumente nicht immer einfach. Durch eine sinnvolle Kombination von Instrumenten lassen sich jedoch gewässernahe Flächen langfristig und oftmals kostengünstig sichern. Das oben erwähnte DWA-Merkblatt 610 beschreibt solche Beispiele aus der Praxis. Ein weiteres Beispiel für ein erfolgreiches Flächenmanagement ist die strategische Zusammenarbeit des Wasserwirtschaftamtes mit der Bodenneuordnung für das Renaturierungsprojekt an der Nebel in Mecklenburg-Vorpommern. Mehr dazu: Effektive Umsetzung durch langfristig angelegtes Flächenmanagement an der Nebel
Eigentumsrechtliche Flächensicherung
Der Ankauf von Flächen für die Renaturierung durch die öffentliche Hand oder den Gewässerunterhaltungspflichtigen ermöglicht eine dauerhafte Sicherung der Gewässerentwicklung. Er ist der Königsweg der Flächensicherung, denn auf den eigenen Flächen gibt es kaum Restriktionen für die Bewirtschaftung und Flächenentwicklung. Der Flächenkauf ist deshalb eine sehr effektive Variante der Flächensicherung für eine langfristige Gewässerplanung. Zudem besteht eine hohe Rechtssicherheit im Verfahren der eigentumsrechtlichen Flächensicherung. Mehr dazu: Flächenankauf als Grundvoraussetzung für langfristige Entwicklung der Wümmeniederung
Ein Flächenankauf kann sehr kostenintensiv und mit hohem Verwaltungs- und Zeitaufwand verbunden sein. Zudem ziehen Personen im Eigentum von landwirtschaftlichen Flächen oft einen Flächentausch gegenüber einem Flächenverkauf vor. Ein Flächentausch kann über einen freiwilligen Landtausch oder ein vereinfachtes Flurbereinigungsverfahren durchgeführt werden. Die vereinfachte Verfahrensvariante der Flurbereinigung kann u. a. dann eingesetzt werden, wenn die Flurbereinigung der naturnahen Entwicklung von Gewässern dient (FlurbG § 86).
Eine eigentumsrechtliche Flächensicherung durch Kauf oder Tausch bietet sich vor allem dann an, wenn:
eine anderweitige Nutzung der Auenbereiche ausgeschlossen werden soll;
bauliche Maßnahmen zur Gewässerentwicklung geplant sind, die auch das Gewässerumfeld betreffen;
eine langfristige und eigendynamische Entwicklung des Gewässers angestrebt wird, deren "Erfolg" oftmals erst Jahre oder Jahrzehnte später sichtbar wird.
Flächenbereitstellung ohne eigentumsrechtliche Sicherung
Ist ein Flächenerwerb nicht möglich, bieten sich andere Instrumente der Flächenbereitstellung an. Hierzu zählen:
Persönliche Dienstbarkeit, Reallast, Baulast Eintragungen ins Grundbuch oder Baulastverzeichnis, die bestimmte Handlungen ausschließen, die Duldung der Nutzung durch Dritte festlegen oder die Einhaltung von öffentlich-rechtlichen Verpflichtungen seitens Personen im Eigentum von Grundstücken festschreiben.
Städtebaulicher Vertrag Geeignetes Umsetzungsinstrument, falls Renaturierungsmaßnahmen den Zielen der Bauleitplanung dienen, insbesondere im Fall einer Eingriffskompensation. Eine Kombination mit Eintragungen in Grundbuch oder Baulastverzeichnis unterstützt die Flächensicherung zusätzlich.
Flächenpacht Ein Flächenpachtvertrag legt Nutzungsintensität und tolerierte Gewässerentwicklungen fest. Er eignet sich eher für Nutzungsextensivierung in der Aue als für weitreichende Veränderungen durch eine Gewässerentwicklung (z. B. Uferabbrüche, Laufverlagerungen).
Entschädigungsvereinbarung Diese Vereinbarung kommt zumeist dann zum Tragen, wenn Flächenkauf oder -tausch ausgeschlossen sind und keine Änderung der Flächennutzung geplant ist, aber sich die Gewässerentwicklung negativ auf die Flächennutzung auswirkt (beispielsweise bei Flächenverlust durch Uferabbrüche).
Sicherung im Rahmen von Vertragsnaturschutz und Agrarumweltprogrammen Vertragliche Vereinbarungen, die an Programme der Wasserwirtschaft oder des Naturschutzes gebunden sind (z. B. Uferrandstreifenprogramme der Länder, Feuchtwiesenschutzprogramme).
Sicherung im Rahmen des hoheitlichen Naturschutzes Die Fläche kann auf Grundlage der Naturschutzgesetzgebung unter Schutz gestellt werden (z. B. als "Naturschutzgebiet", "Geschützter Landschaftsbestandteil" oder "Geschütztes Biotop"). Vorteile sind die langfristige Gültigkeit, die Allgemeinverbindlichkeit, die geringe Kostenintensität und der relativ geringe Verwaltungs- und Zeitaufwand. Dem stehen häufig eine geringe Akzeptanz seitens der Personen mit Flächeneigentum und die geringe Flexibilität der Nutzung gegenüber.
Die Instrumente Ökokonto und Flächenpool bauen auf der naturschutzrechtlichen Eingriffsregelung auf. Diese regelt, dass Bauvorhaben, die einen nachhaltigen Schaden an Natur und Landschaft hinterlassen und die sich nicht vermeiden lassen, vom Verursacher ausgeglichen werden müssen. Eine Ausgleichsmaßnahme kann dabei auch an anderer Stelle als am Ort des Eingriffs erfolgen. Ausgleichende Maßnahmen können auch zeitlich vor einem Eingriff durchgeführt werden. Durch diese Vorleistung erhält der Verursacher ein Guthaben auf seinem Ökokonto, das er für spätere Eingriffe nutzen kann.
Das Instrument des Ökokontos kann mit dem Flächenpoolkonzept gekoppelt werden. Ein Flächenpool ist eine Sammlung von potenziellen Ausgleichsflächen, auf denen zukünftige Eingriffe (z. B. negative Folgen für Natur und Landschaft durch Baumaßnahmen) kompensiert werden können. Im Vorgriff auf zu erwartende Eingriffe stellen Kommunen durch ein zielgerichtetes Flächenmanagement (Grunderwerb, Flächentausch, Flurneuordnung) geeignete Flächen zum Ausgleich von Eingriffsvorhaben bereit. Es können drei Flächenkategorien unterschieden werden:
Poolfläche: Fläche verfügbar, aber noch keine Ausgleichsmaßnahme umgesetzt.
Ökokontofläche: Fläche und Ausgleichsmaßnahme rechtlich gesichert, Ausgleichsmaßnahme bereits durchgeführt, aber noch keine Zuordnung zu einem Eingriff.
Ausgleichsfläche: Fläche und Ausgleichsmaßnahmen sind einem konkreten Eingriff zugeordnet.
Der Grundgedanke des Ökokontos und des daran gekoppelten Flächenpools ist es, die Bereitstellung von Ausgleichsflächen und -maßnahmen zu vereinfachen und Planungszeiträume zu verkürzen, da die Suche nach Ausgleichsmaßnahmen entfällt. Das Konzept ermöglicht eine großräumige Sicherung gewässernaher Flächen und den Aufbau zusammenhängender Entwicklungskorridore, um Renaturierungsmaßnahmen durchführen zu können. Beispiele für erfolgreiches Flächenmanagement:
Auch in eingeengten Gewässern können wertvolle Strukturen für Tiere und Pflanzen geschaffen werden. Diese Maßnahmen können mit relativ geringem Aufwand realisiert werden und betreffen nur das Gewässer selbst und ggf. das unmittelbare Umfeld. Sie erweitern nicht das Gewässerprofil. Daher sind solche Maßnahmen besonders gut für die Aufwertung von Fließgewässern in Städten und anderen Bereichen mit hohem Nutzungsdruck geeignet. Mehr dazu: Gewässerentwicklung in der Stadt – geht (fast) überall und Naturnahe Gewässerunterhaltung als Renaturierungsmaßnahme
Maßnahmen im bestehenden Gewässerprofil können insbesondere die Gewässerstrecken zwischen hochwertigen Lebensräumen deutlich aufwerten. Die daraus entstehenden sogenannten Trittsteinhabitate dienen z. B. Fischen als "Rastplätze" in ansonsten durchgehend ausgebauten Fließgewässern.
Beispiele für Maßnahmen, die zur Entwicklung von strukturreichen Fließgewässern beitragen, ohne jedoch die Nutzungen im Gewässerumfeld einzuschränken, sind:
Herstellung der Durchgängigkeit für Fische an Brücken und Durchlässen,
Öffnung und Aufweitung von Verrohrungen.
Solche Maßnahmen sind u. U. im Rahmen von Bachpatenschaften umsetzbar. Durch solch eine aktive Beteiligung der Öffentlichkeit bei der Unterhaltung und Gestaltung von naturnahen Fließgewässern können Bedenken seitens der Bevölkerung oftmals ausgeräumt werden. Dadurch steigt die Akzeptanz für eine naturnahe Gewässerentwicklung. Mehr dazu: Partizipation wagen
„Für Mensch und Umwelt“ ist der Leitspruch des UBA und bringt auf den Punkt, wofür wir da sind. In diesem Video geben wir Einblick in unsere Arbeit.
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