Eine Taxonomie als Schlüssel zum Erfolg von Sustainable Finance
Der 2018 veröffentlichte Aktionsplan „Finanzierung Nachhaltigen Wachstums“ der EU Kommission stellt nach Ansicht vieler den Wendepunkt hin zu einem nachhaltigen Finanzsektor dar. Als Herzstück dieses Aktionsplans wird zumeist – und zurecht – die Entwicklung einer Nachhaltigkeits-Taxonomie erachtet.
Die Taxonomie als Herzstück des Aktionsplans Sustainable Finance
Der von der EU Kommission 2018 veröffentlichte Aktionsplan Finanzierung Nachhaltigen Wachstums (auch: „Aktionsplan Sustainable Finance“) stellt die erste umfassende Sustainable Finance Strategie in Europa dar. Der Plan verfolgt drei Hauptziele, für deren Realisierung legislative Maßnahmen in zehn verschiedenen Bereichen vorgesehen sind, die nach einem ambitionierten Zeitplan erarbeitet und umgesetzt werden sollen.
Ein Herzstück des EU Aktionsplans ist die Definition dessen, was unter nachhaltigen Aktivitäten verstanden werden soll.
Die fehlende einheitliche Definition dessen, was als eine nachhaltige wirtschaftliche Aktivität anzusehen ist, war vorher als eine der Hauptbarrieren für eine stärkere Verbreitung von nachhaltigem Wirtschaftswachstum identifiziert worden.
Um diese Barriere zu überwinden beauftragte die EU Kommission eine multidisziplinäre ExpertInnengruppe (Technical Expert Group, TEG) damit, eine Taxonomie, also ein wissenschaftlich fundiertes Klassifikationssystem, auszuarbeiten.
Die TEG wählte Branchen und Wirtschaftsaktivitäten aus, die mit Blick auf die Transformation zu einer klimaneutralen Wirtschaft als besonders relevant einzustufen sind. Für diese sollten wissenschaftlich fundierte Evaluierungskriterien, Schwellenwerte und Parameter festgelegt werden, die jeweils definieren, welche Aktivitäten mit Blick auf den Klimaschutz als nachhaltig gelten können.
Dabei ist klar, dass sich mit dem Stand der Technik und der wissenschaftlichen Erkenntnis an vielen Stellen auch die Definition dessen weiterentwickeln muss, was als nachhaltig gilt. Entsprechend soll die Taxonomie kontinuierlich aktualisiert und „verschärft“ werden. Verantwortlich für die Erarbeitung von Empfehlungen zur Weiterentwicklung der Taxonomie ist die 2020 von der EU berufene Platform on Sustainable Finance.
Sechs Umweltziele und soziale Aspekte
Den Bezugsrahmen der Taxonomie bilden die sechs Umweltziele der EU, die es bei der Nachhaltigkeitsbeurteilung zu berücksichtigen gilt:
Die in der Taxonomie festgelegten Evaluierungskriterien, Schwellenwerte und Parameter dienen dazu, bestimmte Wirtschaftsaktivitäten zu definieren, die selbst einen substanziellen Beitrag zu mindestens einem dieser Umweltziele leisten können ("own performance"), oder andere Branchen oder Aktivitäten dazu befähigen („enabling“).
Darin enthalten sind auch Branchen und Aktivitäten, die aktuell noch nicht im Einklang mit den Klimazielen der EU stehen, dies aber durch den Umstieg auf neue Technologien und Prozesse erreichen können, sog. Übergangsaktivitäten (transitional activities). Dazu zählt beispielsweise die Herstellung von Zement oder Stahl, deren Grenzwerte für die CO2-Intensität schrittweise an die EU-Klimaziele angepasst werden sollen. Die Kriterien für Übergangsaktivitäten sollen nach der Taxonomieverordnung spätestens alle drei Jahre überprüft und bei Bedarf angepasst werden.
“Do No Significant Harm” und Einhaltung von Menschenrechten
Schon jetzt gilt aber, dass eine Aktivität nur dann als nachhaltig anzusehen ist ("aligned"), wenn sie einen substantiell positiven Beitrag zu mindestens einem Umweltziel leistet und keinem der anderen Umweltziele signifikant schadet (engl. „do no significant harm“ – DNSH). Ferner muss dafür Sorge getragen werden, dass die grundlegenden Sozial, Arbeits- und Menschenrechtsstandards eingehalten werden (minimum social safeguards).
Für die anderen vier Umweltziele erarbeitet die Platform on Sustainable Finance Empfehlungen. Nachdem im August 2021 ein erster Entwurf zur Konsultation vorgelegt wurde, veröffentlichte die Plattform im März 2022 einen Bericht mit finalen Empfehlungen zur Ausgestaltung der Kriterien, im Oktober 2022 folgt ein weiterer.
Daneben wurde im März 2021 ein Bericht zu Übergangaktivitäten und im März 2022 Empfehlungen zur Entwicklung einer erweiterten Taxonomie zu Übergangsaktivitäten, schädlichen Aktivitäten und Aktivitäten ohne signifikanten Einfluss auf die Umweltziele von der Plattform veröffentlicht.
Perspektivisch soll die Taxonomie über die sechs Umweltziele hinaus auch soziale Aspekte und Aspekte guter Unternehmensführung abdecken. Dafür ist im Februar 2022 ein Bericht mit Empfehlungen für eine soziale Taxonomie veröffentlicht worden, welcher die drei übergeordneten sozialen Ziele für Konsumenten, die Gesellschaft und Gemeinschaften sowie Arbeitnehmer berücksichtigt.
Taxonomie wird Gesetz
Die Taxonomie wird schrittweise in EU-Rechtsvorschriften überführt. Der erste Schritt war die Verabschiedung der EU Taxonomie-Verordnung im Juli 2020, in der der Rahmen für die Taxonomie definiert wird. Daran anschließend konkretisiert die Europäische Kommission mit delegierten Rechtsakten die Ausgestaltung der Taxonomie durch die technischen Bewertungskriterien für die verschiedenen Wirtschaftssektoren und Umweltziele.
Für die ersten zwei EU-Umweltziele Klimaschutz und Klimawandelanpassung sind diese – mit Abstufungen – seit dem 01.01.2022 anzuwenden.
Im Februar 2022 legte die Kommission außerdem einen ergänzenden delegierten Klima-Rechtsakt zur Aufnahme von Atomenergie und Erdgas vor, der nach Ablauf der Vetofrist im Juli 2022 in Kraft trat. Beide Energiequellen entsprechen unter den geltenden Kriterien aus Sicht des Umweltbundesamts nicht den Anforderungen der Taxonomie-Verordnung (siehe hierzu UBA-Beitrag vom Januar 2022). Für Atomenergie gewährleisten die Vorgaben zum Umgang mit Unfallrisiken und atomarem Abfall nicht die Einhaltung der No-significant-harm-Kriterien zur Vermeidung von Verschmutzung, während die Vorgaben für Erdgas Investitionen als nachhaltig deklarieren, die den EU-Klimazielen zuwiderlaufen.
Insgesamt konzentrierte sich die Taxonomie zunächst auf die Umweltziele Klimaschutz und Klimaanpassung und verschob die Entwicklung von Kriterien für die anderen Umweltziele. Dies wurde vielfach kritisiert, da die Verfolgung der ebenso dringenden anderen Umweltziele damit einmal mehr in den Hintergrund rückte. Dieses Vorgehen spiegelt die Schwerpunktsetzung im Finanzsektor wider, was sich in Initiativen wie der Taskforce on Climate Related Financial Disclosures, dem Network for Greening the Financial System oder der Glasgow Financial Alliance for Net Zero zeigt. Initiativen wie Finance for Biodiversity oder die Taskforce on Nature Related Financial Disclosures versuchen mittlerweile, dieser einseitigen Fokussierung entgegen zu wirken.
Im April 2023 legte die EU Kommission einen Entwurf des delegierten Rechtsakts zu den nicht klimabezogenen Umweltzielen vor („Environmental Delegated Act“), der auch einige Änderungen und Ergänzungen zum Climate Delegated Act von 2021 enthielt. Im zweiten Quartal 2023 fand dazu eine öffentliche Konsultation statt. U. a. veröffentlichte die Plaform for Sustainable Finance eine detaillierte Antwort auf den Entwurf. Am 13. Juni 2023 wurde im Rahmen des Sustainable Finance Package die finale Version des delegierten Rechtsaktes veröffentlicht. Laut gegenwärtigem Zeitplan soll der Delegierte Rechtsakt ab Januar 2024 Anwendung finden (s. auch Artikel zu regulatorischem und politischem Rahmen).
Zielgruppen der Taxonomie
Adressaten der Taxonomie sind neben den berichtenden Unternehmen alle Akteure des Finanzmarkts.
Unternehmen, die derzeit nach der Non-Financial Reporting Directive (NFRD) und künftig nach der Corporate Sustainability Reporting Directive (CSRD) berichten, müssen auch über den Anteil ihrer in der Taxonomie enthaltenen Wirtschaftsaktivitäten und deren Einhaltung der Nachhaltigkeitskriterien berichten – und zwar mit Blick auf ihre Umsätze, Investitionen und operative Ausgaben. Auch für Unternehmen, die nicht unter die NFRD bzw. CSRD Berichtspflicht fallen, kann es sinnvoll oder erforderlich sein, nach der Taxonomie zu berichten. Dies z.B. dann, wenn Investoren oder Abnehmer diese Informationen nachfragen bzw. ihre Investitionsentscheidung oder Zulieferbeziehung von der Einhaltung der Taxonomiekriterien abhängig machen.
Finanzinstitutionen, die unter die NFRD bzw. CSRD fallen, müssen den Anteil ihrer Investitionen (Anlageprodukte, Kredite etc.) berichten, der die Taxonomie-Kriterien erfüllt (sog. green asset ratio, GAR). Außerdem müssen Finanzmarktakteure die von ihnen angebotenen (nachhaltigen) Finanzmarktprodukte auf Taxonomiekompatibilität prüfen (Art. 5 und 6 Taxonomieverordnung).
Die Taxonomie enthält derzeit keine vollständige Liste aller Wirtschaftsaktivitäten, und ihre Berichtspflicht betrifft nicht alle Unternehmen. Daher können auch Aktivitäten, die derzeit nicht von der Taxonomie als nachhaltig definiert werden, nachhaltig sein. (Sie sind nicht "taxonomie-fähig" bzw. "eligible", da sie sich (noch) keinen Kriterien zuordnen lassen. Sie wurden schlicht noch nicht in die Taxonomie aufgenommen.)
Ebenso können Unternehmen, die vorläufig nicht unter die NFRD/CSRD fallen, wie kleine und mittelgroße Unternehmen, nachhaltige Wirtschaftsaktivitäten betreiben, ohne dies verpflichtend zu berichten. Eine Folge dieser fehlenden Verpflichtung ist, dass die entsprechenden Unternehmen ihre Taxonomie-konformen Aktivitäten nicht offiziell als solche ausweisen dürfen, sondern lediglich in der freiwilligen Berichterstattung. Letztere kann zwar eine wichtige Informationsquelle für Investoren und Kunden sein, darf aber bspw. in der green asset ratio von Finanzinstituten nicht berücksichtigt werden. Das kann zum Beispiel Windkraftunternehmen betreffen, wenn sie weniger als 250 Mitarbeitende haben und nicht kapitalmarktorientiert sind. Um Abhilfe für dieses Problem zu schaffen wurde die banking book taxonomy alignment ratio (BTAR) eingeführt, in der diese Finanzierungen eingerechnet werden können. Inwiefern der Markt diese Kennzahl akzeptieren wird, bleibt abzuwarten, nicht zuletzt da sie statt auf verpflichtender Berichterstattung auf Schätzungen der Banken beruht.
„Für Mensch und Umwelt“ ist der Leitspruch des UBA und bringt auf den Punkt, wofür wir da sind. In diesem Video geben wir Einblick in unsere Arbeit.
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