Eine nachhaltige Transformation ist längst überfällig
Bereits seit Langem warnen Expert*innen weltweit, dass unsere Wirtschaftsweise, mit ihrem Ressourcen-Verbrauch und ihren klimaschädlichen Emissionen, nicht zukunftsfähig ist. Dokumentiert ist dies in weit verbreiteten Berichten, wie dem des „Club of Rome“ (1972), des IPCC (seit 1990) und des UN Millennium Ecosystem Assessment (seit 2005) sowie dem „Stern-Report“ (2006) oder dem „Dasgupta-Report“ (2021). Mit jeweils unterschiedlichen Schwerpunkten machen sie alle deutlich, dass die Transformation unserer Produktions- und Konsummuster hin zu mehr Nachhaltigkeit mit Blick auf Umwelt-, Gesellschafts- und Unternehmens-bezogene Aspekte dringend geboten ist.
Den wissenschaftlichen Erkenntnissen folgten auf Seiten der Akteure aus Politik und Praxis aber lange Zeit nur Lippenbekenntnisse, hehre Zielsetzungen und unverbindliche Pläne auf internationalen Konferenzen. Eine echte Transformation, die erforderlich wäre, um uns auf einen wirklich nachhaltigen Entwicklungspfad zu führen, blieb bislang aus.
Entsprechend verschlechtert sich der globale ökologische Zustand konstant und immer schneller. So nehmen die Treibhausgas-Emissionen weiter zu, und mit ihnen die Erderwärmung; sie liegt heute bereits um 1,2 Grad Celsius höher als zu Beginn der Industrialisierung. Zugleich nehmen natürliche Lebensräume und Artenvielfalt rapide ab; allein die Wildtierbestände schrumpften seit 1970 um ca. 68 Prozent und ein Viertel der Arten ist schon in den nächsten Dekaden vom Aussterben bedroht. Der „Earth Overshoot Day“, also der Tag im Jahr, an dem wir die sich innerhalb eines Jahres regenerierenden Ressourcen aufgebraucht haben, fällt auf ein immer früheres Datum. Würde der deutsche Verbrauch zum globalen Durchschnitt, bräuchten wir drei Erden, um unsere Bedarfe zu decken. Das heißt, wir leben zunehmend von der endlichen Substanz unseres Planeten und die planetaren Belastungsgrenzen sind vielerorts erreicht, teilweise bereits überschritten, wie die Grafik „Planetare Belastungsgrenzen“ verdeutlicht.
Wir befinden uns heute an (und zum Teil schon jenseits von) kritischen „Kipp-Punkten“, nach deren Überschreitung der Kollaps überlebenswichtiger Systeme irreversibel wird.
Deshalb wird die Dekade bis 2030 von Expert*innen als der letzte Zeitabschnitt bewertet, in dem ein Umlenken noch möglich wäre, sofern die Weichen für die künftige Entwicklung jetzt richtiggestellt werden.
Der Finanzsektor wird politisch für die Transformation in die Pflicht genommen
Jedoch lassen zumindest zwei im Jahr 2015 von den Vereinten Nationen initiierte Übereinkommen hoffen, dass eine Trendwende in Richtung nachhaltiger Transformation noch möglich ist.
Dies sind zum einen die UN-Agenda 2030 und ihre 17 Ziele für eine Nachhaltige Entwicklung (engl. Sustainable Development Goals, SDGs) und zum anderen das UN Klimaabkommen von Paris.
Beide Rahmenwerke haben einen unterschiedlichen Nachhaltigkeitsfokus und sehen verschiedene Maßnahmen für die Realisierung der erforderlichen Transformation vor. Aber beide adressieren in diesem Zusammenhang auch die Rolle des privaten Finanzsektors.
So fordert beispielsweise das Abkommen von Paris, dass die „Finanzmittelflüsse in Einklang gebracht werden mit einem Weg hin zu einer hinsichtlich der Treibhausgase emissionsarmen und gegenüber Klimaänderungen widerstandsfähigen Entwicklung.“
Die (späte) Einsicht auf höchster Ebene, dass dem Finanzsektor eine wichtige Rolle bei der Transformation zukommt und er deshalb entsprechend in die Pflicht genommen werden muss, stellt eine bedeutende Entwicklung dar.
Denn bis dahin vermochte es der Finanzsektor, die Verantwortung für die von ihm finanzierten Aktivitäten weitestgehend auf seine Kunden in der Realwirtschaft abzuschieben.
Zwar haben einige wenige Finanzinstitute schon seit langer Zeit unter Beweis gestellt, dass es möglich ist, nachhaltige realwirtschaftliche Aktivitäten konsequent zu unterstützen. Aber insgesamt handelte es sich dabei nur um eine kleine Nische des Finanzmarktes, die Umwelt- und Ethik- und von religiösen Trägern gegründete Banken umfassten. In seiner Gesamtheit zeigte der Finanzsektor bis 2015 nur sehr eingeschränktes Engagement mit Blick auf eine dezidierte und umfassende Förderung nachhaltig orientierter Aktivitäten (s. auch Artikel zur historischen Entwicklung). Er war eher Teil des Nachhaltigkeitsproblems als seiner Lösung.
Dabei unterscheidet sich der Finanzsektor von anderen und vor allem von den produzierenden Sektoren dadurch, dass seine Nachhaltigkeitsauswirkungen aus dem eigenen Geschäftsbetrieb vergleichsweise gering sind (Scope-1- und 2-Emissionen). Demgegenüber sind aber seine indirekten Auswirkungen, die sich aus der Finanzierung von Kunden über Kredite und Investition sehr hoch (Scope-3-Emissionen). Insbesondere dann, wenn – wie bisher üblich - primär kurzfristige monetäre Ziele die Investitionsentscheidung bestimmen.
Scope-1-Emissionen stammen aus Emissionsquellen innerhalb der Organisation, etwa unternehmenseigenen Kraftwerken oder Fahrzeugflotten.
Scope-2-Emissionen berücksichtigen indirekte Emissionen, über die die Organisation eine gewisse Kontrolle hat. Hierzu zählen Emissionen aus der Erzeugung der bezogenen Energie.
Scope-3-Emissionen sind alle anderen indirekten Emissionen, die aus der Unternehmenstätigkeit resultieren, aber aus Quellen stammen, die nicht unter der Kontrolle des Unternehmens stehen.
Vor diesem Hintergrund, kann insbesondere das Abkommen von Paris auch als Startschuss für die Entwicklung einer nachhaltigeren Finanzwirtschaft verstanden werden.
Schnittstellen von Transformation und Finanzsektor
Das Potential des Finanzsektors für die Transformation liegt auf der Hand.
Als zentralem Intermediär zwischen Kapital-Anbietern und Kapital-Nachfragern kommt ihm eine sprichwörtlich zentrale Funktion für die wirtschaftliche Entwicklung und ihre Ausrichtung zu. In dieser Rolle bestimmt er ganz wesentlich, für welche wirtschaftliche Aktivitäten Kapital, in Form von Krediten oder Investitionen, zur Verfügung gestellt wird und für welche nicht. Dies gilt allgemein, aber speziell auch mit Blick auf die Transformation.
Um die potenzielle Rolle des Finanzsektors in diesem Kontext konkret zu würdigen, ergibt es Sinn, sich die mit der Transformation verbundenen Kosten und Risiken zu vergegenwärtigen.
Hohe Kosten der Transformation
Zur Realisierung der anvisierten Transformation sind gewaltige Summen an Kapital erforderlich. Insgesamt sind die genauen Investitionsbedarfe und Kapitalquellen für eine umfängliche Transformation hin zu einer nachhaltigen Wirtschaft schwer zu bestimmen. Um einen Überblick zu gewinnen lohnt es sich, unterschiedliche Quellen mit Angaben zur Gesamtheit der Wirtschaft, aber auch Quellen mit Blick auf bestimmte Wirtschaftszweige und Branchen einzubeziehen.
In ihrem Aktionsplan Finanzierung nachhaltigen Wachstums aus dem Jahr 2018 geht die EU, davon aus, dass zur Erreichung der Klima- und Energieziele bis 2030 ein jährlicher Investitionsrückstand von fast 180 Milliarden Euro aufgeholt werden muss.
Und mit Blick auf Deutschland, so die Studie der Kreditanstalt für Wiederaufbau (KfW) „Beitrag von Green Finance zum Erreichen von Klimaneutralität in Deutschland“, würden für eine Treibhausgasneutralität bis 2045 fünf Billionen Euro nötig. Diese hohen Zahlen relativieren sich aber, wenn lediglich die jährlichen Mehr- und Ersatzinvestitionen betrachtet werden. „Ersatzinvestitionen“, die für den turnusmäßigen Ersatz bzw. die Instandhaltung bereits bestehender Infrastruktur, Anlagen und Gebäude ohnehin aufgewendet werden müssten, nun aber gezielt unter Nachhaltigkeitskriterien getätigt werden sollten, machen den Großteil aus. Tatsächliche „Neuinvestitionen“ belaufen sich laut KfW auf „nur“ 72 Milliarden Euro pro Jahr.
Die Studie "Net-Zero Deutschland - Chancen und Herausforderungen auf dem Weg zur Klimaneutralität bis 2045" von McKinsey geht von einem Gesamt-Investitionsvolumen von sechs Billionen Euro bis 2045 aus. Das sind rund 240 Milliarden Euro jährlich (ca. sieben Prozent des deutschen Bruttoinlandproduktes, BIP). Davon sind fünf Billionen Euro „Ersatzinvestitionen“. Eine Billionen Euro bis 2045, oder 40 Milliarden Euro jährlich (ca. ein Prozent des deutschen BIP), sind aber auch echte Zusatzinvestitionen.
In eine ähnliche Richtung weist auch eine Studie der Boston Consulting Group (BCG), die mit zahlreichen Firmen rückgekoppelt wurde. Sie legt dar, dass für eine Klimaneutralität Deutschlands im Jahr 2045, bis 2030 zusätzlich 860 Milliarden Euro investiert werden müssten, also etwa 100 Milliarden jedes Jahr. Mehr als die Hälfte entfalle auf die Bereiche Industrie und Energie. Dort seien vor allem Unternehmen gefragt. In etwa die Hälfte der nötigen Investitionen seien schon angestoßen, für den Rest brauche es noch Anreize.
Die große Divergenz in den Zahlen dieser (und vieler weiterer) Studien verdeutlicht die große Unsicherheit, die den Schätzungen zugrunde liegt. Ohne die ermittelten Investitionsbedarfe im Einzelnen bewerten zu wollen, wird durch den Überblick eines ganz klar: Gegenüber dem Haushalt der Bundesregierung für 2022, der Gesamtausgaben von 458 Milliarden Euro vorsieht, sind die jährlich benötigten Investitionsausgaben gewaltig. Die öffentliche Hand kann die Transformation nicht alleine „stemmen“, sondern es wird privates Kapital benötigt. Dies wird umso deutlicher, da der Gesamthaushalt zum Beispiel auch wiederkehrende Ausgaben wie Gehälter und Sozialausgaben finanzieren muss und zum Beispiel auch der Abbau umweltschädlicher Subventionen wenig Fortschritte macht. Dies macht einen aktiveren Einbezug des privaten Finanzsektors zur Erreichung der Klimaziele notwendig.
Beispielsweise verwalten, alleine in Deutschland, Versicherungen und Banken zusammen über 4 Billionen Euro, die in (weniger oder mehr) transformative Aktivitäten investiert werden können. Aber, so zeigt der jährliche Marktbericht des Forums für nachhaltige Geldanlagen (FNG), es werden in Deutschland bislang nur 9,4 Prozent der privaten/institutionellen Anlagen in irgendeiner Form unter Nachhaltigkeitskriterien verwaltet.
Entsprechend könnte der Finanzsektor, als zentraler Intermediär zwischen Angebot von und Nachfrage nach Kapital, allein durch die Umlenkung von Kapitalströmen privater und institutioneller Investoren in nachhaltige Aktivitäten einen nennenswerten zusätzlichen Beitrag zur Transformation leisten. Dabei sollte es im eigenen Interesse der Finanzinstitute liegen, neue und zukunftsträchtige Entwicklungen frühzeitig zu erkennen und darauf mit innovativen Lösungen in Form von neuen Dienstleistungen und Produkten zu reagieren.
Riskante Wechselbeziehungen von Umwelt und Unternehmen
Mit Blick auf die erforderliche Transformation ist die Mobilisierung von privatem Kapital der offensichtlichste Anknüpfungspunkt für den Finanzsektor.
Allerdings muss dies unter adäquater Berücksichtigung der Risiken erfolgen, die nach heutigem Verständnis ihrer „doppelten Materialität“ in zweierlei Richtungen wirken können:
Einerseits können Nachhaltigkeits-Risiken aus der Umwelt auf Unternehmen (und damit indirekt auch auf ihre Finanzierer) wirken (outside-in Perspektive).
Dabei kann man weiter unterscheiden zwischen physischen und transitorischen Risiken. Physische Risiken können entweder akut sein (beispielsweise Extremwetter-Ereignisse, die Infrastruktur zerstören) oder latent auf Unternehmen wirken (zum Beispiel längerfristige Trockenheit, die die Verfügbarkeit von Kühlwasser für Kraftwerke beeinträchtigt). Sie sind in letzter Konsequenz eine Folge von fehlender oder zu langsamer Transformation.
Transitorische Risiken hingegen sind eher eine Folge „zu schneller“ Transformation, an die sich Unternehmen, zumindest in manchen Bereichen, nicht schnell genug anpassen können. Ursachen können zum Beispiel „plötzliche“ Gesetzesänderungen oder Anstiege im CO2-Preis sein, die dazu führen können, dass wirtschaftliche Vermögenswerte obsolet werden und an Wert verlieren.
Beide Kategorien von Risiken können sich zunächst direkt für die Unternehmen in der Realwirtschaft realisieren, dann aber indirekt auch für ihre Investoren, Kreditgeber und Versicherungen materiell wirksam werden und im schlimmsten Fall zu Komplett-Abschreibungen von so genannten „Stranded Assets“ führen. Je nach Umfang kann dies nicht nur die Existenz einzelner Finanzinstitute bedrohen, sondern die Stabilität des gesamten Finanzsystems.
Andererseits können sich (physische) Nachhaltigkeits-Risiken auch durch die Auswirkungen von Unternehmen (und ihren Finanzierern) auf die Umwelt ergeben (inside-out). Sie können dort ökologisch, sozial und/oder ökonomisch wirksam werden.
Naheliegende Beispiele hierfür sind Emissionen aus dem Geschäftsbetrieb, die zum Klimawandel beitragen bzw. die Umwelt in anderer Form beeinträchtigen. Hierdurch wachsen wiederum die Gefahren von outside-in Risiken (s.o.) für Unternehmen.
In diesem Zusammenhang sollte erwähnt werden, dass, auch wenn die oben genannten Kosten der Transformation hoch erscheinen, die Kosten, die sich aus den Risiken einer zu langsamen oder ganz ausbleibenden Transformation ergeben könnten, noch weitaus höher wären. Mit Fokus auf Deutschland zeigt eine Studie des Umweltbundesamtes, dass auch hier Umweltbelastungen hohe Kosten für die Gesellschaft verursachen, etwa in Form von umweltbedingten Gesundheits- und Materialschäden, Ernteausfällen oder Schäden an Ökosystemen. So haben, der Studie zufolge allein die deutschen Treibhausgas-Emissionen im Jahr 2019 Umweltkosten in Höhe von mindestens 156 Milliarden Euro verursacht.
Vor diesem Hintergrund erstaunt es nicht, dass mittlerweile nicht mehr nur Wissenschaftler*innen, sondern auch führende Vertreter*innen aus Wirtschaft und Politik die Gefahren erkennen, die sich aus den Nachhaltigkeitsrisiken ergeben können. So zeigt etwa der jährliche Global Risk Report 2022 des World Economic Forum, dass umweltbezogene Risiken sowohl mit Blick auf ihre Eintrittswahrscheinlichkeit als auch mit Blick auf ihre negativen Auswirkungen als signifikant eingestuft werden.
Herausforderung und Chancen vor dem Hintergrund der Transformation
Mit Blick auf den Finanzsektor bedeuten die beiden oben skizzierten Schnittstellen zum Thema Transformation, dass seine zentrale Aufgabe darin bestehen sollte, das notwendige Kapital für transformativ wirksame Aktivitäten seitens der Unternehmen in der Realwirtschaft zu mobilisieren, unter sorgfältiger Berücksichtigung sämtlicher relevanter (Nachhaltigkeits-) Risiken.
Das ist im Prinzip der klassische Kompetenz- und Tätigkeitsschwerpunkt von (privaten) Finanzinstituten. Sie ermöglichen dadurch die Finanzierung von Vorhaben, die anderenfalls – aufgrund der erforderlichen Volumina und der immer bestehenden Risiken – nur schwer umzusetzen wären. In diesem Zusammenhang sorgen sie, beispielsweise durch Verbriefung, für die Investitionsfähigkeit von Projekten, Unternehmen oder anderen Investitionsobjekten; und sie ermöglichen, als Verkäufer und Käufer von Investitionen deren Risiko-Transfer.
„Neu“ und herausfordernd für den Finanzsektor ist in diesem Zusammenhang aber das Wesen der nun zusätzlich zu berücksichtigenden (Nachhaltigkeits-) Kriterien, die zudem oftmals noch nicht quantifizierbar oder gar monetarisierbar sind. Insbesondere wenn neben den Kohlenstoffaspekten auch die Biodiversität, Wasser oder Verschmutzungsaspekte einbezogen werden. Eine weitere große Herausforderung stellt auch die Geschwindigkeit der Entwicklungen sowie das Ausmaß der Risiken dar.