In einem breiten Korridor kann sich die Wümme eigendynamisch entwickeln.
Quelle: Georg Lamberty / Planungsbüro Zumbroich
Die Fließgewässer in Deutschland nehmen nur noch etwa 1 Prozent der Landesfläche ein. Das ist nur ein Bruchteil ihrer ursprünglichen Ausdehnung. Sie sind touristisch kaum noch erlebbar und nur wenig resilient gegenüber den Folgen des Klimawandels. Diese Situation lässt sich erheblich verbessern, indem Bächen und Flüssen in unserer Kulturlandschaft wieder mehr Fläche zurückgegeben wird.
Ziele der Wasserrahmenrichtlinie erreichen – den Gewässern Naturfläche zurückgeben
Deutschland wird von einem dichten Netz von Bächen und Flüssen durchzogen. Die gesamte Länge aller Fließgewässer beträgt etwa 590.000 Kilometer. Dieses Gewässernetz wird intensiv genutzt und wurde zu Gunsten von Siedlungen, Landwirtschaft, Verkehr und Energiegewinnung weitreichend umgestaltet. Auf Grund der vielfältigen Eingriffe gilt nur noch 1 Prozent aller Fließgewässer als unbelastet. Die Ziele des Gewässerschutzes werden deutlich verfehlt. Die europäische Wasserrahmenrichtlinie fordert bis 2015 einen guten ökologischen Zustand der Fließgewässer herzustellen. Noch im Jahr 2022 wurde dieses Ziel in 90 Prozent der Bäche und Flüsse nicht erreicht (Wasserrahmenrichtlinie – Gewässer in Deutschland 2021. Fortschritte und Herausforderungen).
Ein guter ökologischer Zustand und vielfältige Lebensraumangebote für unterschiedlichste Organismen sind eng miteinander verknüpft. Bäche und Flüsse können diese typischen Lebensräume jedoch nur ausbilden, wenn ihnen dafür Fläche zur Verfügung steht. Mehr Fläche bedeutet mehr Lebensraum und mehr Biodiversität.
Wie wird die Gewässerentwicklungsfläche ermittelt?
Bei der Berechnung der nötigen Gewässerentwicklungsfläche macht man sich Gesetzmäßigkeiten der natürlichen Flussentwicklung zu nutze. Ein Gewässerbett wird beispielsweise umso breiter, je mehr Wasser ein Bach oder Fluss normalerweise mit sich führt, je geringer das Gefälle ist und je mehr Widerstand dem fließenden Wasser entgegengebracht wird. Für die Berechnung der Gewässerbettbreite werden daher Informationen zum Talgefälle, Windungsgrad, Böschungsneigung, Sohlrauheit und Breiten-Tiefen-Verhältnis sowie zum mittleren bordvollen Abfluss benötigt. Diese Informationen liegen z.B. in Form von typspezifischen Gewässersteckbriefen vor.
Wie viel Fläche benötigen unsere Flusslandschaften?
Aus den Berechnungen hat sich ein Flächenbedarf von insgesamt 11.400 Quadratkilometern für das gesamte Fließgewässernetz Deutschlands ergeben. Zwei Drittel dieser Fläche stehen heute nicht mehr zur Verfügung. Das bedeutet, dass den Flüssen und Bächen 7.000 Quadratkilometer an Entwicklungsfläche zurückgegeben werden muss, um die Ziele im Gewässerschutz erreichen zu können. Dies entspricht etwa 2 Prozent der Fläche Deutschlands.
Ursprünglich dürften den Bächen und Flüssen etwa 7 Prozent der Fläche Deutschlands zur Verfügung gestanden haben. Diese Fläche wurde durch den Gewässerausbau und Eingriffe in Auen- und Gewässerflächen auf ca. 1 – 1,4 Prozent reduziert. Mit der Realisierung eines Flächenziels von 2 Prozent, würde den Fließgewässern daher der Entwicklungsraum zurückgegeben werden, den das Fließgewässer- und Auensystem im Minimum benötigt.
Ein Flächenziel von 2 Prozent für die Gewässerentwicklung
Naturfern begradigtes Gewässer (links) im Vergleich zu einem renaturierten Fluss (rechts). 2 Prozent mehr Fläche für Gewässer sind in Deutschland nötig.
Stephan Naumann (links), Wolfgang Kundel (terra-air services / Landkreis Verden) (rechts)
Quelle: Wolfgang Kundel (terra-air services) / Landkreis Verden
Ursprüngliche, heutige und benötigte Gewässerentwicklungsflächen in Deutschland.
Diagramm, in dem auf der y-Achse die Fläche Deutschlands und auf der x-Achse die Zeit dargestellt. Es wird schematisch gezeigt, wie viel an Gewässerentwicklungsfläche durch den Gewässerausbau verloren wurde und wie viel Fläche für einen guten Ökologischen Zustand benötigt wird
Quelle: Stephan Naumann / UBA
Aufspaltung der Fulda bei Breitenbach (2018)
Große Steine und Baustämme sorgen als Strömungslenker für eine Verzweigung der Fulda.
Quelle: Marco Linke / Medieningenieurbüro Manntau
Renaturierte Wern bei Geldersheim im Bauabschnitt V (2014)
Gewundener Verlauf der neuen Wern mit deutlich erkennbarem Verlauf eines alten geradlinigen Grabens, der streckenweise in die Renaturierung integriert ist.
Wasserwirtschaftsamt Bad Kissingen
Quelle: Wasserwirtschaftsamt Bad Kissingen
Entwicklungskorridor der Wümme (2012)
An der Wümme und ihren Nebengewässern wurden Gewässerrandstreifen auf einer Gewässerlänge von insgesamt ca. 35 km geschaffen.
Quelle: Wolfgang Kundel (terra-air services) / Landkreis Verden
Zwei Jahre nach Fertigstellung hat sich eine naturnahe Vegetation entlang der Ufer entwickelt. Quelle: Ricarda Börner/ StALU-MM
Renaturierte Ruhr im Bereich der Jägerbrücke (2018)
An der renaturierten Ruhr hat sich schnell naturnaher Uferbewuchs eingestellt. Zudem verändert die Ruhr sich ständig. Laufverzweigungen und Inseln kommen und gehen.
Flüsse und Bäche beanspruchen je nach Typ unterschiedlich große Entwicklungsbreiten
Die berechneten Gewässerentwicklungsbreiten, die benötigt werden, um einen guten ökologischen Zustand erreichen zu können, weisen eine große Spannweite auf. In der Gewässerentwicklungsbreite ist sowohl die eigentliche Breite des Gewässers als auch die Breite enthalten, die ein Gewässer aktiv zum Beispiel bei Hochwasser umgestaltet. Wenn ein Fluss also eine Gewässerentwicklungsbreite von 50 m aufweist und das Gewässer selbst 10 Meter breit ist, werden links und rechts des Flusses also jeweils 20 Meter Fläche benötigt.
Bäche mit einem Einzugsgebiet größer als 10 Quadratkilometer benötigen, je nach Einzugsgebietsgröße und Gewässertyp, eine Entwicklungsbreite von 20 bis 40 Meter. Ihre Gewässerbreite beträgt natürlicherweise 4 bis 9 Meter. Noch kleinere Bäche mit einem Einzugsgebiet von weniger als 10 Quadratkilometer, sollten typischerweise Gewässerentwicklungsbreiten zwischen 7 und 14 Metern zur Verfügung gestellt bekommen.
Die Entwicklungsbreiten der kleinen Flüsse der Alpen und des Alpenvorlandes und die Mittelgebirgsflüsse betragen im Mittel 70 bis 110 Meter. Die potenziell natürliche Gewässerbreite dieser Gewässer liegt zwischen 15 und 22 Metern. Organisch geprägte Flüsse und Tieflandflüsse werden in der Regel bis 40 Meter breit. Das Ausmaß ihrer nötigen Gewässerentwicklungsbreite erreicht Werte von 150 bis über 200 Meter.
Werden die Einzugsgebiete der Flüsse noch größer und erreichen 1.000 bis 10.000 Quadratkilometer, nehmen auch ihr Abfluss und ihre Breite zu. Diese großen Flüsse können in Einzelfällen bis zu 130 Meter breit werden. Im Normalfall sind es 40 bis 100 Meter. Sie können bereits über 500 Meter Gewässerentwicklungsbreite beanspruchen, um ihr vollständiges Strukturinventar entwickeln zu können. Die mittleren Breiten der Gewässerentwicklungskorridore werden für 25 verschiedene Fließgewässertypen in den Hydromorphologischen Steckbriefen für verschiedene ökologische Gewässerzustände angegeben.
Methodische Schritte zur Bestimmung der Breite des Gewässerentwicklungskorridors
Darstellung der 3 methodischen Schritte und Anteile, welche die Breite des Gewässerentwicklungskorridors bestimmen.
Bundesregierung (2023a): Aktionsprogramm Natürlicher Klimaschutz. Kabinettsbeschluss vom 29. März 2023
Bundesregierung (2023b): Nationale Wasserstrategie. Kabinettsbeschluss vom 15. März 2023
Destatis (Statistisches Bundesamt 2024) (abgerufen am 18.10.2024)
Ehlert, T. & S. Natho (2017): Auenrenaturierung in Deutschland – Analyse zum Stand der Umsetzung anhand einer bundesweiten Datenbank. Auenmagazin 12/2017.
Janssen, G., Wittig, S., Garack, S., Koenzen, U., Reuvers, C., Wiese, T., Wetzel, N. (2022): Wissenschaftlich fachliche Unterstützung der Nationalen Wasserstrategie - Kohärenz der flächenbezogenen Gewässerentwicklungsplanung gemäß WRRL mit der Raumplanung. Umweltbundesamt [Hrsg.] UBA -Texte 71/2022. Dessau.
LAWA [Hrsg.] (2016): LAWA Verfahrensempfehlung „Typspezifischer Flächenbedarf für die Entwicklung von Fließgewässern“ LFP Projekt O 4.13. Hintergrunddokument.
LAWA [Hrsg.] (2019a): LAWA-Verfahrensempfehlung zur Gewässerstrukturkartierung - Verfahren für kleine bis mittelgroße Fließgewässer.
LAWA [Hrsg.] (2019b): LAWA-Verfahrensempfehlung zur Gewässerstrukturkartierung - Verfahren für mittelgroße bis große Fließgewässer.
LAWA [Hrsg.] (2019c): LAWA Verfahrensempfehlung „Typspezifischer Flächenbedarf für die Entwicklung von Fließgewässern“ – Anwenderhandbuch
Müller, A., Kranl J., Pottgiesser, T., Schmidt,S., Albert, C., Greassidis, S., Stolpe H., Jolk C. (2025): Den Gewässern Raum zurückgeben. Ein bundesweites Flächenziel für die Gewässerentwicklung. Umweltbundesamt [Hrsg.] UBA-Texte xx/2025: 92 Seiten, Dessau.
Pottgiesser, T., S. Naumann, A. Müller (2025): Hydromorphologische Steckbriefe der deutschen Fließgewässertypen. Erste Überarbeitung.- Umweltbundesamt Hrsg. - UBA-Texte 41/2025: 462 Seiten, Dessau.
Schmidt, S. & C. Albert (2025): Mit der Gewässerentwicklung verbundene Ökosystemleistungen. - Umweltbundesamt Hrsg. - UBA-Texte 42/2025: 58 Seiten, Dessau.
Statistisches Bundesamt (2023): Erläuterungen zum Indikator „Anstieg der Siedlungs- und Verkehrsfläche
Statistisches Bundesamt (o. J.): FS 3 Land- und Forstwirtschaft, Fischerei, R. 5.1 Bodenfläche nach Art der tatsächlichen Nutzung, verschiedene Jahrgänge.
UBA [Umweltbundesamt, Hrsg.] (2023a): Flächenverfügbarkeit und Flächenbedarfe für den Ausbau der Windenergie an Land. CLIMATE CHANGE 32/2023. Autoren: Marian Bons, Martin Jakob, Thobias Sach, Dr. Carsten Pape, Christoph Zink, David Geiger, Dr. Nils Wegner, Olivia Boinski, Steffen Benz, Dr. Markus Kahles. Dessau.
WHG (2009): Wasserhaushaltsgesetz vom 31. Juli 2009 (BGBl. I S. 2585), das zuletzt durch Artikel 7 des Gesetzes vom 22. Dezember 2023 (BGBl. 2023 I Nr. 409) geändert worden ist.
„Für Mensch und Umwelt“ ist der Leitspruch des UBA und bringt auf den Punkt, wofür wir da sind. In diesem Video geben wir Einblick in unsere Arbeit.
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