Biodiversität als Krisenvorsorge: Wiederaufbauprogramme an langfristigen Naturschutzzielen ausrichten
Blogartikel von Dr. Jasper Meya
Die Corona-Pandemie führt uns vor Augen, wie verwundbar moderne Gesellschaften durch ihren Umgang mit der Natur geworden sind. Gleichzeitig haben viele Menschen im Lockdown die Natur als Quelle der Erholung erlebt. Zum Internationalen Tag der biologischen Vielfalt am 22. Mai lohnt es sich daran zu erinnern, dass 2020 eine entscheidende Wegmarke für den globalen Biodiversitätsschutz ist. Um diese Gelegenheit zu ergreifen, sollten wirtschaftliche Wiederaufbauprogramme systematisch den Wert von Biodiversität berücksichtigen und einen naturverträglichen Entwicklungspfad einleiten.
Die menschgemachte Entleerung der Welt
Der Mensch entleert die Welt. 25% aller Tier- und Pflanzenarten sind vom Aussterben bedroht (IPBES 2019). 75% der globalen Feuchtgebiete sind bereits verloren gegangen (IPBES 2019). Global sind Insekten an Land um 24% in den letzten 30 Jahren zurückgegangen (van Klink 2020). In Deutschland haben einst weitverbreite Vogelarten der offenen Agrarlandschaft, wie der Kiebitz, um fast 90% in den letzten 24 Jahren abgenommen (Gerlach al. 2019). Der Erhaltungszustand von 63% der Arten und 69% der Lebensraumtypen, die in Deutschland von der europäischen Fauna-Flora-Habitat-Richtlinie erfasst werden, ist unzureichend bis schlecht (BMU 2020).
Das Superjahr der Biodiversität
Für die Frage, ob die Trendwende im Artensterben gelingt, ist 2020 ein wegweisendes politisches Jahr. Im Herbst wollten die Staats- und Regierungschefs im chinesischen Kunmings neue Ziele zum Schutz der globalen Biodiversität bis 2030 setzen, mit denen die Vision erreicht werden soll, 2050 im Einklang mit der Natur zu leben (CBD 2020). Bedingt durch die Pandemie wurde die Konferenz erst einmal auf unbestimmte Zeit vertagt. Auch die EU-Kommission hat eine EU-Biodiversitätsstrategie als Kernbestandteil des Green Deals angekündigt. Es ist die einmalige Gelegenheit, in den 2020er Jahren der galoppierenden Entleerung der Welt politisch etwas entgegen zu setzten.
Allerdings hat es in der Vergangenheit dem Naturschutz nicht an politischen Zielen, sondern an deren effektiver Umsetzung und insbesondere den nötigen finanziellen Ressourcen gemangelt. Trotz ambitionierter globaler Naturschutzziele für 2020 (s.g. Aichi-Ziele), hat sich der Zustand der globalen Biodiversität insgesamt weiter verschlechtert. In Deutschland und der EU ist der Naturschutz „eklatant unterfinanziert“ (SRU 2017, BMU 2020). Der tiefgreifende strukturelle, transformative Wandel, der notwendig ist, um die Trendwende im Artensterben zu schaffen (IPBES 2019), benötigt enorme öffentliche Ausgaben. Entsprechend erinnert auch der aktuelle Entwurf für die globalen Biodiversitätsziele nach 2020 die Staaten daran, adäquate finanzielle Mittel zur Implementierung bereitzustellen (CBD 2020).
Naturschutz als Versicherung
Der zunehmende Biodiversitätswandel ist ein ökonomisches Risiko. Mit der Degradierung der Ökosysteme nimmt die große Mehrzahl der Beiträge der Natur zum menschlichen Wohlergehen ab (IPBES 2019). Während einzelne Marktgüter, wie land- und forstwirtschaftlichen Produkte, seit 1970 zugenommen haben, haben Gemeingüter, wie Bodenqualität und Diversität von bestäubenden Insekten, abgenommen. Beim Weltwirtschaftsforum 2020 in Davos nannten die Teilnehmenden den Verlust von Biodiversität und die Degradierung von Ökosystemen als eines der fünf größten Risiken für die Weltwirtschaft in der kommenden Dekade (WEF 2020).
Die massive Ausbeutung der Natur ist weder nachhaltig noch volkwirtschaftlich effizient. Ökosysteme stellen ein gesellschaftliches Vermögen (‚Naturkapital‘) dar, das abhängig von dessen Zustand, zum menschlichen Wohlergehen beiträgt. Durch das globale Wirtschaftswachstum ist in den letzten Jahrzehnten Naturkapital relativ zu produziertem Kapital immer knapper geworden. Viele Leistungen der Natur werden schneller verbraucht, als sich die Ökosysteme regenerieren. Ein neuer Zwischenbericht zur Ökonomie von Biodiversität im Auftrag der britischen Regierung zeigt, dass die Regenerationsrate von Naturkapital höher ist, als die die Rendite von produziertem Kapital (Dasgupta Review 2020). Aus volkswirtschaftlicher Sicht ist damit die immer weitere Akkumulation von produziertem Kapital auf Kosten des Naturkapitals – getrieben durch unvollständige Märkte und private Gewinne – eine gesellschaftliche Fehlinvestition (Dasgupta Review 2020). Anders gesagt: Ausgaben für den Naturschutz sind momentan gut investiertes Geld.
Biodiversität erhöht die Stabilität der Ökosysteme und sichert damit die Leistungsfähigkeit der Naturkapitalbestände. Investitionen in den Naturschutz haben damit den Charakter von Beiträgen zu einer natürlichen Versicherung (vgl. Augeraud-Véron et al. 2019; Quaas et al. 2019). Wie sehr sich Naturschutz als Krisenvorbeugung auszahlen kann, deuten auch die wirtschaftlichen Folgen der Corona-Pandemie an. Das Risiko von Virusübertragungen von Wildtieren auf den Menschen nimmt tendenziell zu, je weiter der Mensch in die Natur vordringt, Ökosysteme aus dem Gleichgewicht bringt und umso mehr Lebewesen von einer Art auf engem Raum leben (BMU 2020, IPBES 2020). Vor dem Hintergrund des Klimawandels wird die Biodiversität von Ökosystemen für deren Stabilität und Leistungsfähigkeit zukünftig besonders bedeutsam.
Transformativer Wandel und Biodiversitätsfinanzreform
Die Konjunkturpakete, die nun diskutiert werden, können ein Sprungbrett bieten, um Ökosysteme zu restaurieren, die Artenvielfalt in unseren leergeräumten Kulturlandschaften wiederherzustellen, Kulturlandschaften an den Klimawandel anzupassen und geltendes Naturschutzrecht umzusetzen. Es ist ein Gebot volkswirtschaftlicher Effizienz, bei Investitionen in anderen Sektoren systematisch den Wert von Biodiversität für Wirtschaft und Gesellschaft zu berücksichtigen (so wie es schon die Aichi-Ziele vorschreiben). Für die Erreichung der Biodiversitätsziele 2030 wird es zentral sein, langfristige Investitionen an Naturschutzkriterien zu koppeln, wie einen geringen Flächenverbrauch.
Den hohen Kreditaufnahmen wird eine neue öffentliche Diskussion um die Einnahmen und Ausgaben der öffentlichen Hand folgen. Damit könnte sich ein Möglichkeitsfenster für fiskalische Reformen öffnen, um den Wert von Biodiversität systematisch in private Entscheidungen zu internalisieren, indem biodiversitätsschädigendes Verhalten bepreist und die Bereitstellung von natürlichen Gemeinschaftsgütern finanziell honoriert wird. Eckpunkte einer solchen Biodiversitätsfinanzreform können sein: (i) Die Bepreisung von Pestizideinsatz und Stickstoffeinträgen; (ii) Ein ökologischer Finanzausgleich zwischen Bundesländern und zwischen Kommunen. Auch um die Abhängigkeit der Kommunen von der Gewerbesteuer zu reduzieren, die zu erheblichen Flächenverbräuchen führt; und (iii) die Vergabe von öffentlichem Geld in naturschutzrelevanten Sektoren, wie der Agrar- und Forstwirtschaft, ausschließlich für öffentliche (Ökosystem-)Leistungen.
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Autor:
Dr. Jasper Meya ist Umweltökonom und arbeitet als wissenschaftlicher Mitarbeiter in der Arbeitsgruppe Biodiversitätsökonomik am Deutschen Zentrum für integrative Biodiversitätsforschung (iDiv) und der Wirtschaftswissenschaftlichen Fakultät der Universität Leipzig. In seiner Forschung untersucht er die Bedeutung von ökonomischer Ungleichheit für die Umweltpolitik und entwickelt Methoden zur Bestimmung des ökonomischen Wertes von Biodiversität und Naturkapital. Er engagiert sich als Gutachter und Autor im Weltbiodiversitätsrat (IPBES).