Teil 1: Ziele und Handlungsfelder einer dauerhaft umweltgerechten Stoffpolitik
Auf der UN-Konferenz für Umwelt und Entwicklung 1992 in Rio de Janeiro haben sich über 170 Staaten auf das umweltpolitische Leitbild der nachhaltigen, also dauerhaft umweltgerechten Entwicklung verständigt. Die Enquête-Kommission des 12. Deutschen Bundestages „Schutz des Menschen und der Umwelt" bezeichnete dieses Leitbild in Anlehnung an die Brundtland-Kommission (1987) als Anspruch auf eine Entwicklung, die den Bedürfnissen der heute lebenden Menschen entspricht, ohne die Möglichkeiten künftiger Generationen zu gefährden.
Nachhaltigkeit ist eng mit dem Vorsorgeprinzip verknüpft. Schon 1986, sechs Jahre vor der Rio-Konferenz, hat die Bundesregierung in ihren „Leitlinien Umweltvorsorge" den Zusammenhang zwischen Vorsorgeprinzip und Zukunftssicherung verdeutlicht.
Aus umweltpolitischer Sicht besteht die Herausforderung darin, mit einem auch langfristig tolerierbaren Umweltverbrauch ein Höchstmaß an Nutzen zu erzielen. Das ist in erster Linie eine Herausforderung für die Wirtschaft. Unternehmen müssen ihre Eigenverantwortung wahrnehmen und dauerhaft umweltverträgliche Konzepte erarbeiten sowie umsetzen. Dabei spielt das Denken in Stoffströmen eine wesentliche Rolle.
Knappe Umweltgüter werden auf jeder Stufe der Wertschöpfungskette in Anspruch genommen, von der Rohstoffgewinnung über die Herstellung und den Gebrauch von Produkten bis zur Verwertung und Beseitigung. Um den Umweltverbrauch in einer Produktlinie so gering wie möglich zu halten, bedarf es der Kommunikation und Kooperation der über die Stufen des Produktlebensweges verbundenen Akteure. Für solche auch als Stoffstrommanagement bezeichneten kooperativen Anstrengungen sind Umwelthandlungsziele, Handlungsfelder und Kriterien zu bestimmen, die den Akteuren als Orientierungshilfe zur „ökologischen Richtungssicherheit" dienen.
Defizite in der Stoffpolitik
Der beim derzeitigen gesetzlichen Vollzug in der Chemikalienpolitik übliche Vergleich zwischen Wirkung und Exposition beschränkt sich auf Einzelstoffe und wird in mehrerlei Hinsicht den Anforderungen der Vorsorge nicht gerecht. Dieses Defizit wird besonders offensichtlich bei Altstoffen: Seit 1994 sind im Rahmen des europäischen Altstoffprogramms lediglich 20 von 3.000 Chemikalien mit großem Produktionsvolumen bewertet worden. Derzeit wird deshalb auf europäischer Ebene eine Neuorientierung der Chemikalienpolitik diskutiert, wobei ein höherer Stellenwert des Vorsorgeprinzips gefordert wird.
Auf einzelne Umweltmedien bezogene Regelungen wie das Wasserhaushaltsgesetz bieten einen überwiegend emissionsbezogenen Handlungsrahmen, der sich weitgehend auf das Kompartiment beschränkt. Die stoffbezogenen Regelungen beschränken sich auf wenige, für das Medium besonders gefährliche Stoffe wie zum Beispiel Schwermetalle, PCB und PAK im Entwurf der Bundes-Bodenschutzverordnung.
Ziele für eine zukünftige Stoffpolitik
In der Studie „Handlungsfelder und Kriterien für eine vorsorgende nachhaltige Stoffpolitik am Beispiel PVC" wird deshalb auf der Basis der Managementregeln der Enquête-Kommission des Deutschen Bundestages „Schutz des Menschen und der Umwelt" ein Bewertungsrahmen für eine zukünftige Stoffpolitik entwickelt, der auf den folgenden fünf langfristigen Umwelthandlungszielen beruht.
Der irreversible Eintrag von langlebigen (persistenten) und sich in Lebewesen anreichernden (bioakkumulierenden) Fremdstoffen in die Umwelt ist unabhängig von ihrer Giftigkeit (Toxizität) vollständig zu vermeiden. Bei einem langfristigen Verbleib von Fremdstoffen in der Umwelt, die sich in Organismen anreichern können, sind nachteilige Wirkungen, die unter Umständen noch nicht bekannt oder untersucht sind, nie völlig auszuschließen.
Der Eintrag von Fremdstoffen mit krebserzeugenden (kanzerogenen), erbgutverändernden (mutagenen) oder reproduktionstoxischen Wirkungen in die Umwelt ist vollständig zu vermeiden. Diese Eigenschaften betreffen zentrale Funktionen von Organismen und Ökosystemen, die dadurch irreversibel beeinflusst werden können.
Die vom Menschen verursachte (anthropogene) Freisetzung von Naturstoffen mit den oben genannten Eigenschaften darf nicht zu einer Erhöhung der Hintergrundbelastung führen. Diese Forderung korrespondiert mit den genannten Handlungszielen. Eine Nullbelastung ist für Naturstoffe grundsätzlich nicht erreichbar.
Der anthropogene Eintrag von anderen toxischen oder ökotoxischen Stoffen, die nicht die oben genannten Eigenschaften aufweisen, ist auf das technisch unvermeidbare Maß zu reduzieren. Diese Forderung ergibt sich aus dem Prinzip der vorsorglichen Vermeidung der Belastung der Umwelt mit giftigen Stoffen.
Eine Erhöhung stofflicher Einträge in die Umweltmedien ist unabhängig von bisher erkannten Wirkungen zu vermeiden, falls eine Rückholbarkeit praktisch nicht möglich ist. Diese Forderung bezieht sich auf Stoffe, die nicht unter die oben genannten Kategorien fallen und entspricht dem Minimierungsgebot auf der Basis des Vorsorgeprinzips. Das Minimierungsgebot besagt, dass Belastungen der Gesundheit und des Ökosystems, obwohl keine schädlichen Eigenschaften bekannt sind, möglichst gering zu halten sind.
Handlungsfelder einer vorsorgenden nachhaltigen Stoffpolitik
Aus diesen Zielen ergeben sich für eine am Leitbild der Nachhaltigkeit und Vorsorge orientierte Stoffpolitik folgende Handlungsfelder.
Der Materialaufwand für Produkte und Dienstleistungen muss verringert werden. Nachgefragte Funktionen sind mit möglichst geringer Materialintensität zu erfüllen.
Der Verbrauch an natürlichen stofflichen Ressourcen muss verringert werden. Dieses Handlungsfeld ist als Impuls zur Verwirklichung eines ressourcensparenden technischen Fortschritts zu verstehen.
Der Energieeinsatz im Lebenszyklus von Produkten muss verringert werden, insbesondere damit der Ausstoß von Massenschadstoffen, wie dem klimaschädlichen Kohlendioxid und Säurebildnern, vermindert wird.
Die langfristige Gebrauchstauglichkeit von Produkten muss verlängert werden. Auch dies ist eine Maßnahme zur Verminderung der Mengenströme und bezieht sich auf Haltbarkeit und Reparaturfreundlichkeit von Produkten.
Die umweltverträgliche Verwertung muss verbessert werden. Dieses Handlungsfeld zielt sowohl auf die Verwertbarkeit von Produkten als auch auf die Umweltverträglichkeit der Verwertungsverfahren.
Der Ausstoß von Schadstoffen muss auf das technisch unvermeidbare Maß vermindert werden. Menge und Schädlichkeit von Emissionen sind so gering wie möglich zu halten. Technische Stoffströme sind von natürlichen Stoffkreisläufen möglichst getrennt zu halten.
Stoffströme müssen weniger komplex werden. Dieses Handlungsfeld betrifft sowohl die Vielstufigkeit und Vernetzung technischer Prozesse als auch Unfallrisiken, zum Beispiel aufgrund des Gefährdungspotentials von Zwischenprodukten.
Das Risiko einer Überlastung der Umwelt durch toxische und ökotoxische Stoffe muß verringert werden. Das Risiko ergibt sich aus einem Vergleich von Exposition und Wirkung unter Berücksichtigung von Kombinationswirkungen.
Es müssen verstärkt Stoffe mit umwelt- und gesundheitsverträglichen Eigenschaften entwickelt werden. Unter dem Leitbild der Nachhaltigkeit ist besonders der Eintrag von persistenten und bioakkumulierenden Stoffen zu verhindern. Durch die Entwicklung von Stoffen mit „ökologischem Design" sollen derzeit noch notwendige Stoffe mit gefährlichem Eigenschaftsprofil ersetzt werden. Dieses Handlungsfeld ist Gegenstand aktueller Diskussionen um eine „grüne, nachhaltige Chemie".
Die Gewichtung der vorgenannten Handlungsfelder ist für verschiedene Stoffe und Stoffströme unterschiedlich. Konkurrenzbeziehungen sind nicht auszuschließen. So stehen bei umweltoffen verwendeten Stoffen, wie Pflanzenschutzmitteln, die stofflichen Eigenschaften und Fragen der Anwendungstechnologie zur Verminderung von Aufwandmengen im Vordergrund. Demgegenüber erhält bei Stoffen, die in geschlossenen Systemen gehandhabt werden, wie zum Beispiel Phosgen, die Kontrollierbarkeit des Stoffstroms besonderes Gewicht.
Grundsätzlich ist eine vertikale, nur auf einen Stoffstrom bezogene Betrachtung nicht ausreichend. Ein horizontaler Vergleich von (auch nichtstofflichen) Alternativen ist erforderlich. Zum Beispiel kann man nach technischen Lösungsansätzen im Rahmen von Produktionsprozessen suchen. So hat der Einsatz biotechnologischer Verfahren in der industriellen Produktion in einigen Bereichen gegenüber herkömmlichen Produktionsverfahren Vorteile, weil umweltbelastende Stoffe ersetzt werden können.
Die Suche nach alternativen Stoffen und Chemikalien birgt ein Problem in sich: Wir wissen viel zuwenig über die umwelt- und gesundheitsbelastenden Eigenschaften der meisten im Handel befindlichen Chemikalien. Stoffliche Alternativen müssen vor ihrer Einführung ausreichend geprüft sein. Darüber hinaus fehlt es für eine vergleichende Produktbewertung an der nötigen Transparenz. Die stoffliche Zusammensetzung von Produkten ist meist nur unzureichend bekannt, und ebenso dürftig sind oft die Kenntnisse über den Verwendungsbereich von Stoffen. Deshalb werden im Umweltbundesamt derzeit die Möglichkeiten und Rahmenbedingungen für ein Produktregister geprüft, das hilft, verlässliche Daten zur Abschätzung der Exposition von Mensch und Umwelt bei Verwendern von Chemikalien zu liefern und darüber hinaus eine Grundlage für die Beurteilung sozialökonomischer Folgen von Risikominderungsmaßnahmen darstellen könnte.
Instrumente zur Umsetzung einer vorsorgenden nachhaltigen Stoffpolitik
Um die Ziele einer nachhaltigen Stoffpolitik zu verwirklichen, reichen ordnungsrechtliche Maßnahmen - also Gesetze und Verordnungen - nicht aus. Vielmehr sind die Ziele einer solchen Politik in einem breiten gesellschaftlichen Diskurs mit allen betroffenen Akteuren weiterzuentwickeln und zu konkretisieren. Zur Umsetzung sind auch ökonomische Anreizinstrumente, wie finanzielle Förderungen für besonders umweltschonende Verfahren, Produkte oder Technologien im Einzelfall, verbindliche Selbstverpflichtungen der Wirtschaft sowie eine bessere Information der Verbraucher notwendig.
Teil 2: Beispiel - Bewertung von PVC in einer stoffstromorientierten Betrachtung
Im zweiten Teil der Studie wird der entwickelte Bewertungsrahmen auf den Stoffstrom des Massenkunststoffs PVC angewandt. PVC ist Gegenstand zahlreicher kontroverser umweltpolitischer Diskussionen. Die Studie des Umweltbundesamtes ist keine Ökobilanz für bestimmte Produkte. Vielmehr wird der Werkstoff PVC einer stoffstromorientierten Betrachtung anhand der vorgenannten Handlungsfelder und Kriterien einer Bewertung unterzogen, um die Anwendung der Methode an einem Beispiel zu illustrieren.
An dieser Stelle ist anzumerken, dass sich folgende Analyse auf den Stand der PVC-Herstellung Ende neunziger Jahre bezieht. Bei einigen der unten genannten Umweltprobleme ist inzwischen eine deutliche Verbesserung eingetreten, beispielsweise ist der Einsatz cadmiumhaltiger Stabilisatoren inzwischen ebenso wie der Einsatz von kurzkettigen Chlorparaffinen inzwischen verboten.
Handlungsfeld 1: Verringerung des Materialaufwandes
Da mehr als 70 Prozent der PVC-Produkte eine Nutzungsdauer von mehr als zehn Jahren haben, nimmt angesichts steigender Produktion der Anteil von PVC im technischen Gebrauch ebenso zu wie die Abfallmengen. Unter der Annahme einer steigenden Produktion bis zu einer Sättigungsgrenze von zwei Millionen Tonnen pro Jahr, wäre im Jahr 2050 in der technischen Anwendung eine PVC-Menge von circa 60 Millionen Tonnen zu erwarten. Angesichts dieser Zahlen sind Überlegungen notwendig, wie man den Mengenstrom verringern will. PVC durch andere Werkstoffe zu ersetzen, brächte allerdings nur dann Vorteile, wenn sich dadurch die entsprechenden Funktionen oder Dienstleistungen mit geringerem Materialaufwand erreichen ließen.
Handlungsfeld 2: Verringerung des stofflichen Ressourcenverbrauchs
Erdöl und Erdgas sind die Kohlenstoffquellen für PVC. Die Unterschiede zwischen PVC und anderen Kunststoffen sind in dieser Hinsicht nicht wesentlich. Eine Verminderung der energetischen Nutzung von Erdöl/Erdgas ist für die Schonung der Ressource weitaus vordringlicher.
Handlungsfeld 3: Verringerung des Energieeinsatzes
PVC weist bei einem Vergleich mit anderen Kunststoffen in der Energiebilanz Vorteile auf, wenn man nur die Produktion betrachtet. Dies wird bei einer energetischen Verwertung des PVC nach dem Gebrauch allerdings kompensiert. Die günstigste Verwertung von Altkunststoffen ist das werkstoffliche Recycling. Eine Verbesserung der PVC-Energiebilanz bei der Produktion lässt sich durch rasche Umstellung des Amalgamverfahrens auf das energetisch günstige Membranverfahren bei der Chlor-Alkali-Elektrolyse erzielen.
Handlungsfeld 4: Höhere Gebrauchstauglichkeit von Produkten
Durch den Zusatz von Stabilisatoren ist PVC für Produkte mit langfristiger Nutzungsdauer geeignet. Weich-PVC kann durch Ausgasen der Weichmacher im Laufe der Zeit allerdings seine Flexibilität – und damit seine guten Gebrauchseigenschaften – verlieren.
Handlungsfeld 5: Verbesserung der umweltverträglichen Verwertung
In den vergangenen Jahren wurden wesentliche Fortschritte für ein werkstoffliches Recycling von PVC-Produkten erzielt. Allerdings werden zur Zeit nur weniger als zehn Prozent Alt-PVC auf diese Weise verwertet. Prinzipiell besteht die Möglichkeit der Wiederverwertung von PVC ähnlich wie bei anderen Massenkunststoffen. Weich-PVC und Verbundwerkstoffe sind nur eingeschränkt oder gar nicht verwertbar. Erhebliche Anstrengungen zur Verbesserung der Sammel- und Verwertungslogistik sind erforderlich. Dafür ist eine Kennzeichnung von Kunststoffprodukten anzustreben. Sicherzustellen ist, dass keine Schadstoffverschleppung, zum Beispiel von Cadmium und polychlorierten Biphenylen (PCB), stattfindet. Ist der energetische Aufwand für das Sammeln und Sortieren zu hoch, kann die Monoverbrennung von PVC in besonderen Anlagen mit direkter HCl (Salzsäure)-Rückführung eine geeignete Alternative sein. PVC-Mischabfälle können in Abfallverbrennungsanlagen verbrannt werden, beeinflussen aufgrund ihres hohen Chloranteils allerdings die Menge des notwendigen Neutralisationsmittels und der entstehenden, untertage zu deponierenden Verbrennungsabfälle. PVC eignet sich aufgrund seines Chloranteils nur bedingt für eine energetische Verwertung zum Beispiel in der Zementindustrie oder in Hochöfen. Bei diesen Anlagen lässt der Vollzug bei der Umsetzung der Anforderungen der 17. Bundes-Immissionsschutzverordnung (BImSchV) Spielräume zu. Deshalb sind solche Verwendungen häufig kritisch zu beurteilen. Die Deponierung von PVC ist gemäß der Technischen Anleitung (TA) Siedlungsabfall ab 2005 nicht mehr möglich und aufgrund von Langzeitrisiken auch abzulehnen.
Handlungsfeld 6: Minimierung der Emissionen
In Deutschland und Europa sind Maßnahmen zur Minderung des Schadstoffausstoßes bei Herstellung und Verarbeitung von PVC nach dem Stand der Technik weitgehend realisiert. Allerdings sollte der Zeitplan der Nordseeschutzkonferenz zur Abkehr vom Amalgamverfahren bis 2010 eingehalten werden, um den Ausstoß von Quecksilber zu verringern. Die Alternative, das Membranverfahren, vermeidet kritische Emissionen und ist dabei energieeffizienter.
Handlungsfeld 7: Verringerung der Komplexität von Stoffströmen
Wegen der großen Zahl der verarbeiteten kritischen Stoffe weist der PVC-Stoffstrom einen erhöhten Kontrollbedarf auf. In Industrieländern werden diese Risiken in der Regel gut beherrscht. Dies gilt jedoch nicht in Ländern mit niedrigeren Sicherheitsstandards, in denen die PVC-Produktion zunehmend angesiedelt wird.
Differenziert ist das kontrovers diskutierte Brandverhalten von PVC zu bewerten: PVC ist zwar selbst schwerer entflammbar als andere Polymere; dieser Vorteil wird bei Weich-PVC aufgrund der Weichmacher großenteils wieder aufgehoben. Im Brandfall beeinflusst PVC die Rauchgasdichte ungünstig. Dadurch entstehen mehr toxische Brandruße, die auch (abhängig von den Brandbedingungen), erhöhte Mengen an polychlorierten Dioxinen und Furanen enthalten können. Allerdings überwiegt bei der toxikologischen Beurteilung von Brandrückständen in den meisten Fällen das Risiko durch polycyclische aromatische Kohlenwasserstoffe (PAK), die nicht PVC-spezifisch sind. Ferner entsteht bei Bränden von PVC-Produkten Chlorwasserstoff in den Brandgasen, der die Atemwege reizt und durch Korrosion zu zusätzlichen Materialschäden führen kann. Das Umweltbundesamt empfiehlt die Verwendung chlorfreier Materialien in brandgefährdeten Bereichen mit hoher Personendichte und hohen Sachwerten.
Handlungsfelder 8 und 9: Risikoreduktion bei ökotoxischen und toxischen Stoffen und Entwicklung von Stoffen mit umwelt- und gesundheitsverträglichem Eigenschaftsprofil
PVC selbst ist inert (nicht reaktiv, nicht wirksam) und untoxisch. Es ist zwar persistent, verteilt sich jedoch nicht irreversibel in der Umwelt. Stoffliche Risiken sind daher nicht mit dem Polymer selbst, sondern mit den Zusatzstoffen verbunden, die in PVC in höherem Ausmaß enthalten sind als in anderen Massenkunststoffen.
Als Stabilisatoren werden immer noch mit circa 40 Tonnen pro Jahr Cadmiumverbindungen eingesetzt. Die seit langem angekündigte vollständige Substitution des Cadmiums ist bisher nicht erfolgt. Bleistabilisatoren werden sogar in wachsendem Ausmaß verwendet (1995: circa 15.400 t/a). Auch kritisch zu beurteilende Organozinnverbindungen spielen eine erhebliche Rolle (circa 5.000 t/a). Die kurzfristige vollständige Substitution des Cadmiums, eine mittelfristige Substitution des Bleis und eine Nichtausweitung des Organozinnverbrauchs bis zur Klärung der noch offenen Fragen zur Wirkung und zur Exposition sind notwendig. Als Alternative stehen für viele Bereiche Systeme auf Calcium-/Zinkbasis zur Verfügung.
Im Gegensatz zu Stabilisatoren sind Weichmacher nur locker an die PVC-Matrix gebunden. Es dominieren die Phthalsäureester, darunter das Di-2-ethylhexylphthalat DEHP. Es gelangt überwiegend in der Nutzungsphase durch Ausgasung oder Auswaschung aus WeichPVCProdukten in die Umwelt. Auch das derzeit im Rahmen des europäischen Altstoffprogramms diskutierte "Risk assessment" zeigt, dass damit Umweltrisiken verbunden sind. DEHP ist unter Umweltbedingungen langlebig und reichert sich in Organismen an. Phthalate sind auch gesundheitlich bedenklich, was in den aktuellen Diskussionen zu den potentiellen gesundheitlichen Wirkungen von Kinderspielzeug aus Weich-PVC hervorgehoben wird. Da sich Phthalate wohl nur sehr eingeschränkt durch weniger kritische Weichmacher ersetzen lassen und sich die Emission in der Nutzungsphase technisch nicht reduzieren läßt, ist eine schrittweise Substitution der Weich-PVC-Anwendungen durch weniger bedenkliche Stoffe erforderlich.
Kurzfristiger ist ein Ersatz von Chlorparaffinen notwendig, die zur Flammhemmung und ebenfalls Weichmachung in manchen PVC-Produkten enthalten sind. Meist sind es mittelkettige Chlorparaffine, die in PVC zugesetzt werden, jedoch stellen diese sowohl aufgrund ihres ökologischen als auch gesundheitlichen Eigenschaftsprofils ein nur wenig geringeres Risiko dar als die kurzkettigen Vertreter dieser Stoffgruppe. Aufgrund der Entscheidung 95/1 des internationalen Meeresschutzabkommens PARCOM soll auf die Verwendung von kurzkettigen Chlorparaffinen verzichtet werden. Auch die Risikobewertung im Rahmen des europäischen Altstoffprogramms sieht für die kurzkettigen Chlorparaffine Handlungsbedarf.