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Disclaimer: Dieser Artikel ist ein Beitrag im Rahmen der Konferenz "Innenraumluft 2024" und spiegelt nicht die Meinung des Umweltbundesamtes wider. Für die Inhalte sind die genannten Autoren und Autorinnen verantwortlich.
Autor*innen
Johannes Amann1, Dennis Arendes1, Caroline Schultealbert2, Christian Bur1, Andreas Schütze11Universität des Saarlandes, Lehrstuhl für Messtechnik, Campus, 66123 Saarbrücken
23S GmbH - Sensors, Signal Processing, Systems, Saar-Lor-Lux-Straße 11, 66115 Saarbrücken
Empfohlene Zitierweise: Amann, J., Arendes, D., Schultealbert, C., Bur, C., Schütze, A. (2024). Kombination von Sensorik und Analytik für Innenraumluftuntersuchungen. Beitrag A36 zur Fachtagung „Innenraumluft 2024 - Messen, Bewerten und Gesundes Wohnen“, 6.-8. Mai 2024, Dessau-Roßlau. https://www.umweltbundesamt.de/irl2024-a36
Kombination von Sensorik und Analytik für Innenraumluftuntersuchungen
Innenraumluftqualität kann mit verschiedenen Methoden gemessen werden, wobei der folgende Artikel das Potential der Kombination von Sensorik (Echtzeit Vor-Ort-Messungen) und Analytik (hohe Selektivität und Sensitivität) in der Untersuchung flüchtiger organischer Verbindungen in der Innenraumluft am Beispiel eines Kochevents zeigt.
Einleitung
Heutzutage wird immer noch Kohlendioxid (CO2) als wichtigster Parameter für die Luftqualität in Innenräumen gemessen, obwohl Pettenkofer bereits 1858 feststellte, dass CO2 nur ein Indikator für die durch den menschlichen Stoffwechsel verursachte Luftqualität in Innenräumen ist. Wie aber damals schon bekannt war, wird die Luftqualität hauptsächlich durch flüchtige organische Verbindungen (kurz: OV) beeinträchtigt, die unter anderem zu Müdigkeit und Kopfschmerzen führen [1]. Aus Mangel an technischen Möglichkeiten zur Messung von OV hat sich CO2 als Messgröße für die Bewertung der Innenraumluftqualität durchgesetzt.
Seitdem hat sich die Technologie weiterentwickelt und den Gold-Standard in der OV-Messtechnik stellen analytische Messsysteme – vor allem Thermodesorptions-Gaschromatographie-Massenspektrometer (TD-GC-MS) mit Probennahme auf unterschiedlichen Adsorptionsmedien, s.u. – dar, welche für organische Verbindungen eine Identifizierung und Quantifizierung mit hoher Qualität ermöglichen. Diese Messsysteme werden für die Bestimmung von Hintergrundbelastungen oder anlassbezogene Messungen genutzt, da sie auf den Betrieb im Labor angewiesen sind und die Luftprobe vom Messort zuerst ins Labor transportiert werden muss. Eine kontinuierliche Messung zur Aufnahme der dynamischen Entwicklung oder gar für eine kontinuierliche Regelung der Lüftung ist damit praktisch nicht möglich.
Dafür gibt es eine immer größere Anzahl kostengünstiger Sensoren zur Messung von OV, deren Potenzial in der Vor-Ort-Messung in Echtzeit liegt. Im Gegensatz zur Analytik erfassen diese Sensoren organische Verbindungen aller Siedebereiche gemäß WHO-Einteilung, d.h. VVOC (engl. very volatile organic compounds), VOC (engl. volatile organic compounds) und SVOC (engl. semi volatile organic compounds) [2] allerdings mit stark beschränkter Selektivität und geringerer Absolutgenauigkeit. In der Sensorik wird angelehnt an die Analytik gerne der Begriff „total volatile organic compounds“ (TVOC) verwendet, gemeint sind hierbei OV aller drei Siedebereiche, wobei je nach Hersteller verschiedene Kalibrierungen zugrunde liegen.
Oft werden Analytik und Sensorik in Konkurrenz gestellt, obwohl gerade die Kombination beider großes Potenzial für die Lösung praktischer Problemstellungen besitzt. Im Rahmen des Forschungsprojektes VOC4IAQ [3] wurden Feldtests in Wohn und Büroräumen mit parallelen Analytik- und Sensorik-Messungen durchgeführt, um die OV-Dynamik in belebten Innenräumen zu untersuchen. Dabei konnten auch die Möglichkeiten aus der Kombination von Analytik und Sensorik beispielhaft aufgezeigt werden, welche darin besteht, dass die Sensorik direkt vor Ort zeitlich hochaufgelöst dynamische Verläufe aufnehmen und sinnvolle Zeitpunkte für analytische Referenzmessungen mit hoher Selektivität und Absolutgenauigkeit aufzeigen kann.
Methoden
Am Markt sind verschiedene Halbleitergassensoren (engl. metal oxide semiconductor gas sensors, kurz: MOS-oder MOx-Sensoren) für Innenraumluftqualität verfügbar, denen es aber oft an geeigneter Kalibrierung und damit geeigneten Ausgabewerten mangelt. Daher wurde im Projekt VOC4IAQ eine auf das Anwendungsgebiet Innenraumluft angepasste Kalibrierung durchgeführt, wobei die OV in Stoffgruppen eingeteilt wurden und pro Stoffgruppe ein bis zwei dominierende Vertreter in typischen Innenräumen nach Studien [4, 5] ausgewählt wurden. Mit den in der Kalibrierung verwendeten OV und Konzentrationsbereichen (siehe Tabelle 1) wurden den Sensoren in einer Gasmischanlage (GMA) 930 randomisierte Gasgemische mit einer Dauer von je 25 Minuten angeboten [6, 7, 8].
Die MOS-Sensoren wurden zur Steigerung der Selektivität und Sensitivität temperaturzyklisch betrieben (engl. temperature cycled operation, kurz: TCO) [9]. Mittels maschinellen Lernverfahren (engl. Feature Extraction, Selection and Regression, kurz FESR) können statistische Modelle für verschiedene Zielgrößen (OV-Stoffgruppen-Vertreter aus Kalibrierung, wie beispielsweise Ethanol oder auch TVOCSens als Summe der in der Kalibrierung verwendeten OV, einmal in ppb, einmal in µg/m³) gebildet werden, welche beim Betrieb der Sensoren in Innenräumen Konzentrationswerte ausgeben [8]. Durch den verwendeten Temperaturzyklus ergibt sich eine zeitliche Auflösung von knapp 2,5 Minuten.
Parallel zu den Messungen mit MOS-Sensoren wurden analytische Messungen durchgeführt. Über drei Sorptionsmedien (Tenax (Poly (2,6-diphenyl-p-phenylenoxid) [11]) für VOC, Carboxen für ausgewählte VVOC und DNPH (2,4-Dinitrophenylhydrazin) für Aldehyde und Ketone) wurden Luftproben gesammelt und durch ein zertifiziertes Labor analysiert. Probenahmevolumen und dauer wurden so gewählt, dass ein Messwert einen Mittelwert über 30 Minuten darstellt. Zusätzlich wurden mit einem mobilen Messgerät mit Gaschromatographie-Photoionisationsdetektor (GC-PID, X-pid 9500, Dräger Safety AG & Co KGaA) stichprobenartig hohe Belastungen (> 1 ppm Einzel-OV-Konzentration) untersucht. Ein GC-RCP (engl. gas chromatograph - reducing compound photometer, Peak Performer 1, Peak Laboratories LLC, Mountain View, CA, USA) wurde zur Messung von Wasserstoff und Kohlenmonoxid genutzt, da diese für MOS-Sensoren typische Störgrößen darstellen.
Voruntersuchungen hatten gezeigt, dass in belebten Wohnräumen Koch-, Hygiene- und Reinigungsevents zu erhöhten OV-Belastungen führen. Daher wird im Folgenden ein Kochevent detaillierter dargestellt, bei dem drei Gerichte zubereitet und verzehrt wurden: Zwiebelsuppe, Schupfnudeln mit Sauerkraut und Feuerzangenbowle (FZB).
Ergebnisse
Die MOS-Sensorausgaben zeigen, dass während dem Kochen und Essen im Wohnraum die OV-Konzentration auf bis zu 5 ppm stark ansteigt. Sie geben außerdem den Hinweis, dass eine hohe Alkohol-Konzentration (wahrscheinlich Ethanol) der dominierende Beitrag zur OV-Belastung während des Kochens ist. Dies ist dargestellt durch das Ethanol-Modell welches stark mit der TVOCSens-Ausgabe korreliert, während beispielsweise das Isopropanol-Modell konstant bleibt und nur auf die Lüftungsphasen zwischen den Kochvorgängen reagiert. Weiterhin wurde mit den MOS-Sensorausgaben festgestellt, dass die höchste OV-Belastung während dem Kochen der Zwiebelsuppe erreicht wurde, gefolgt von der Feuerzangenbowle. Eine Ethanol-Quelle für die Zwiebelsuppe ist der verwendete Weißwein. Die Zubereitung der Schupfnudeln resultiert in der niedrigsten OV-Belastung aller drei Gerichte (siehe Abbildung 1). Während Lüftungsphasen vor dem Kochen sinken die Modellausgaben teilweise unter 0 ppb, da hier beispielsweise auch oxidierende Gase vorhanden sein können, welche nicht Teil der Kalibrierung sind und somit zu unrealistischen Ausgaben führen.
Mithilfe einer Carboxen-Probenahme wurde Ethanol als dominierende OV bestätigt, wobei eine maximale Konzentration von knapp 4 ppm detektiert wurde im Gegensatz zu 2 ppm, wie von der Sensorik angezeigt.
Die Analytik bestätigt für die Zwiebelsuppe die höchste OV-Belastung, wohingegen im Vergleich zur Sensorik die Reihenfolge bei Feuerzangenbowle und Schupfnudeln vertauscht ist. Die Absolutwerte der Analytik sind hierbei mit Vorsicht zu bewerten, da im Falle von Ethanol die Detektorsättigung des MS erreicht wurde und die tatsächliche Ethanol-Konzentration (bzw. auch Gesamt-OV-Konzentration) von der Analytik somit unterschätzt wurde (siehe Tabelle 2).
Zusammenfassung
Im Rahmen des durchgeführten Kochevents wurde mit der Sensorik die hohe Dynamik der OV-Belastung im Innenraum gezeigt. Die Vorteile der Sensorik liegen in der hohen zeitlichen Auflösung und in der Vor-Ort-Messung. In diesem Falle konnte zusätzlich Ethanol als dominierender Einflussfaktor identifiziert werden. Allgemein hängt die Identifikation von der Kalibrierung und konkret von der Wahl der verwendeten OV-Vertreter und deren Konzentrationsbereichen ab. Umso besser die Kalibrierung die vorherrschenden Bedingungen in der Anwendung abdeckt, umso valider und aussagekräftiger sind die Sensor-Modellausgaben. Nichtsdestotrotz ist die Analytik für eine sichere Identifikation und für hohe Absolutgenauigkeit nicht zu ersetzen, wobei damit Echtzeit Vor-Ort-Messungen nur mit starken Einschränkungen möglich sind.
Zusammengefasst zeigt diese Untersuchung das Potenzial der Kombination aus Analytik und Sensorik für Innenraumluftuntersuchungen. Mit der Sensorik können sehr gut zeitlich hochaufgelöste Verläufe in Echtzeit vor Ort aufgenommen werden, welche im Falle von hohen Belastungen als Trigger die anlassbezogene Durchführung von punktuellen Analytik-Messungen für die Identifizierung und Quantifizierung mit hoher Absolutgenauigkeit begründen.
Literatur
- [1] Von Pettenkofer, M., (1858). Über den Luftwechsel in Wohngebäuden. Cotta.
- [2] WHO Regional Office for Europe (1989). Indoor air quality: Organic pollutants, Report on a WHO meeting, Copenhagen.
- [3] VOC4IAQ (2021). Wissenschaftliche Absicherung einer Richtlinie zur Prüfung von Sensorsystemen für die Erfassung der Innenraumluftqualität auf Basis von VOC als Vorstufe für internationale Normen – VOC4IAQ. Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz der Bundesrepublik Deutschland (BMWK). Industrielle Gemeinschaftsforschung (AiF-iGF). Förderkennzeichen 22084N/1 Schlussbericht: https://doi.org/10.5281/zenodo.8237902
- [4] AGÖF (2008) H. Hofmann, G. Erdmann und A. Müller. Bereitstellung einer Datenbank zum Vorkommen von flüchtigen organischen Verbindungen in der Raumluft. WaBoLu-Hefte 05/2008.
- [5] AGÖF (2014) H. Hofmann und P. Plieninger. Zielkonflikt energieeffiziente Bauweise und gute Raumluftqualität – Datenerhebung für flüchtige organische Verbindungen in der Innenraumluft von Wohn- und Bürogebäuden (Lösungswege). Hrsg.: Arbeitsgemeinschaft ökologischer Forschungsinstitute (AGÖF) e.V., Juni 2014.
- [6] Arendes, D., Amann, J., Tessier, C., Brieger, O., Schütze, A., & Bur, C. (2023). Qualification and optimisation of a gas mixing apparatus for complex trace gas mixtures. tm - Technisches Messen, 90(12), 822-834. https://doi.org/10.1515/teme-2023-0075
- [7] Baur, T., Bastuck, M., Schultealbert, C., Sauerwald, T., & Schütze, A. (2020). Random gas mixtures for efficient gas sensor calibration. Journal of Sensors and Sensor Systems, 9(2), 411-424. https://doi.org/10.5194/jsss-9-411-2020
- [8] Baur, T., Amann, J., Schultealbert, C., & Schütze, A. (2021). Field study of metal oxide semiconductor gas sensors in temperature cycled operation for selective VOC monitoring in indoor air. Atmosphere, 12(5), 647. https://doi.org/10.3390/atmos12050647
- [9] Schütze, A., & Sauerwald, T. (2020). Dynamic operation of semiconductor sensors. In: Jaaniso, R. & Tan, O.K. (eds.) Semiconductor Gas Sensors (pp. 385-412). Woodhead Publishing. https://doi.org/10.1016/B978-0-08-102559-8.00012-4
- [10] Rothweiler, H., Wäger, P. A., Schlatter, C. (1991). Comparison of Tenax TA and Carbotrap for sampling and analysis of volatile organic compounds in air. Atmospheric Environment. Part B. Urban Atmosphere, 25(2), 231-235. https://doi.org/10.1016/0957-1272(91)90058-M