IRL2024 - A04

Inhaltsverzeichnis

Disclaimer: Dieser Artikel ist ein Beitrag im Rahmen der Konferenz "Innenraumluft 2024" und spiegelt nicht die Meinung des Umweltbundesamtes wider. Für die Inhalte sind die genannten Autoren und Autorinnen verantwortlich.

Autor
Hermann Fromme
Institut und Poliklinik für Arbeits-, Sozial- und Umweltmedizin, Klinikum der Ludwigs-Maximilians-Universität München
Pettenkoferstraße 8a
80336 München

Empfohlene Zitierweise: Fromme, H. (2024). Kanzerogene in der Innenraumluft und ihre Bewertung durch den AIR. Beitrag A04 zur Fachtagung „Innenraumluft 2024 - Messen, Bewerten und Gesundes Wohnen“, 6.-8. Mai 2024, Dessau-Roßlau. https://www.umweltbundesamt.de/irl2024-a04

 

Kanzerogene in der Innenraumluft und ihre Bewertung durch den AIR

 

Hintergrund

Der Mensch ist in seiner Umwelt und auch in Innenräumen einer Vielzahl an Substanzen, unter anderem solchen mit krebserzeugender Wirkung ausgesetzt. Der AIR hat vor diesem Hintergrund im Jahr 2015 einen Bewertungsmaßstab in Ergänzung zum Basisschema veröffentlicht [1]. Die Grundlagen und der Ablauf der Bewertung wird im Folgenden zusammenfassend dargestellt.

 

Grundlage einer Bewertung

Folgende Eckpunkte lassen sich im Rahmen des Bewertungsprozesses darstellen:

  • Der krebserzeugende Effekt muss die empfindlichste Wirkung der Substanz sein oder zumindest ist die kanzerogene / gentoxische Wirkung am empfindlichsten Endpunkt beteiligt.
  • Die Auswahl der Stoffe erfolgt auf der Basis der Liste der krebserzeugenden, keimzellmutagenen und reproduktionstoxischen Stoffe (KMR-Stoffe) der Deutschen Gesetzlichen Unfallversicherung und anderer wissenschaftlicher Institutionen.
  • Als Datengrundlage zur Abschätzung des gesundheitlichen Risikos werden insbesondere bevölkerungsbezogene Studien in dem interessierenden Konzentrationsbereich herangezogen oder, wenn nicht verfügbar, Arbeitsplatzstudien oder tierexperimentelle Untersuchungen, bei denen dann von hohen Expositionskonzentrationen auf die in Innenräumen vorkommenden Konzentrationen extrapoliert werden muss.
  • Die Studien müssen systematisch geprüft und ihre Modellannahmen sowie die Ergebnisse insgesamt belastbar und nachvollziehbar begründet sein.
  • Daten zum Vorkommen der kanzerogenen Substanz im Innenraum sollten auf umfangreichen, möglichst für die allgemeine Bevölkerung in Deutschland repräsentativen Ergebnissen beruhen. Hierbei wird insbesondere das 95. ⁠Perzentil⁠ der Verteilung, der sogenannte Referenzwert im Weiteren berücksichtigt.
  • Bisher liegen keine rechtlichen Regelungen oder gesellschaftlich akzeptierte Normen vor, welches kanzerogenere Risiko für die allgemeine Bevölkerung als „tolerabel“ oder „akzeptabel“ und damit als allgemeines Lebensrisiko hinnehmbar wäre.
  • Verschiedene Organisationen wie zum Beispiel die Weltgesundheitsorganisation, die US-Environmental Protection Agency und die US Agency for Toxic Substances and Disease Registry schlagen Risikobereiche zwischen 10-4 und 10-6 für behördliches Handeln vor. Ein Risiko von 10-6 bedeutet zum Beispiel ein theoretisches Krebsrisiko von einer zusätzlichen Krebserkrankung pro 1.000.000 lebenslang gegenüber dieser Substanz exponierter Personen.
  • Beim Fehlen einer gesetzlichen Regelung empfiehlt die Europäische Chemikalienagentur (ECHA) in ihrem Leitfaden zur Risikoabschätzung der ⁠Exposition⁠ der Allgemeinbevölkerung ein sogenanntes indikatives Risiko von 10−6 anzusetzen [2].
 

Ablauf einer Bewertung

Der AIR leitet, wenn belastbare Daten zum gesundheitlichen Risiko und zum Vorkommen einer kanzerogenen Substanz im Innenraum vorliegen, in Bezug zum vorgenannten indikativen Risiko der ECHA entweder einen „risikobezogenen Leitwert“ oder einen „vorläufigen Leitwert“ ab.

  • Ein risikobezogener Leitwert wird immer dann abgeschätzt, wenn der Referenzwert (95. ⁠Perzentil⁠) der Substanz in der Innenraumluft ein theoretisches Risiko von 10-6 unterschreitet. In diesem Fall wird die Konzentration, die einem Risiko von 10-6 entspricht, als risikobezogener Leitwert festgelegt. Unterhalb dieses Leitwertes erscheint dem AIR beim derzeitigen Kenntnisstand das Ergreifen expositionsmindernder Maßnahmen als unverhältnismäßig.
  • Ein vorläufiger Leitwert wird immer dann abgeschätzt, wenn der Referenzwert (95. Perzentil) der Substanz in der Innenraumluft ein theoretisches Risiko von 10-6 überschreitet. In diesem Fall wird der Referenzwert selbst als vorläufiger Leitwert festgelegt. Bei Konzentrationen oberhalb dieses vorläufigen Leitwertes einer krebserzeugenden Substanz in der Innenraumluft sollten grundsätzlich expositionsmindernde Maßnahmen ergriffen werden. Diese sollten verhältnismäßig am Einzelfall ausgerichtet sein und sich an der Höhe der Belastungen bzw. des Umfangs der Risikoüberschreitung orientieren. Hierbei ist zu berücksichtigen, dass sich für manche kanzerogenen Substanzen die Quelle in der Außenluft befindet und daher andere Maßnahmen zu diskutieren wären.
 

Vorliegende Leitwerte

Auf der Basis des vorgenannten Bewertungsschemas hat der AIR für die in Tabelle 1 genannten krebserzeugenden Substanzen bisher folgende Leitwerte abgeleitet.

Tabelle 1: Leitwerte des AIR für kanzerogene Substanzen in µg/m³
Tabelle 1: Leitwerte des AIR für kanzerogene Substanzen in µg/m³
Quelle: Ausschuss für Innenraumrichtwerte Tabelle 1: Leitwerte des AIR für kanzerogene Substanzen in µg/m³ in Excel
 

Literatur

  • [1] AIR (2015) Gesundheitliche Bewertung krebserzeugender Verunreinigungen der Innenraumluft – erste Ergänzung zum Basisschema. Mitteilung des Ausschusses für Innenraumrichtwerte. Bundesgesundheitsbl., 58, 769–773
  • [2] ECHA (2012) Guidance on information requirements and chemical safety assessment. Chapter R.8: Characterisation of dose [concentration]-response for human health. Version: 2.1, November 2012. Online: https://www.echa.europa.eu/documents/10162/13632/information_requirement...
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Schlagworte:
 Ausschuss für Innenraumrichtwerte