COVID-19:Sicherstellen, dass wir nicht die falschen Lehren ziehen

Wir befinden uns inmitten eines der größten globalen Weckrufe der Geschichte, der sowohl das Leben des Einzelnen als auch ganze Wirtschafts- und Sozialsysteme bedroht. Wir müssen sicherstellen, dass wir nicht die falschen Lehren daraus ziehen. Dies ist nicht nur ein Ausnahmezustand für das öffentliche Gesundheitswesen. Dies ist größer.

COVID-19: Wir müssen sicherstellen, dass wir nicht die falschen Lehren ziehen

Blogartikel von Geoffrey Boulton und Dr. Heide Hackmann

Wir befinden uns inmitten eines der größten globalen Weckrufe der Geschichte, der sowohl das Leben des Einzelnen als auch ganze Wirtschafts- und Sozialsysteme bedroht. Wir müssen sicherstellen, dass wir nicht die falschen Lehren daraus ziehen. Dies ist nicht nur ein Ausnahmezustand für das öffentliche Gesundheitswesen. Dies ist größer. Die Natur zeigt uns, dass die neue globale Ökologie, die wir durch die Ausbeutung der Ressourcen der Erde geschaffen haben, große Risiken für die Menschheit birgt. Sie zeigt uns, dass lokale Auswirkungen unseres Handelns durch die Weltmeere, die Erdatmosphäre und durch weltweite Kultur-, Wirtschafts-, Handels- und Reisenetzwerke übertragen werden und so zu weltweiten Auswirkungen werden. Sie zeigt uns, dass nationale Lösungen alleine völlig unzulänglich sind, dass Viren und das ⁠Klima⁠ keinen Pass haben, dass wir die zugrunde liegenden Ursachen unserer ⁠Verwundbarkeit⁠ durch weltweite Zusammenarbeit, eine Stärkung der internationalen Organisationen und durch Investitionen in globale öffentliche Güter beheben müssen. Und sie zeigt uns, wie groß die externen Effekte sind, die von den Märkten nicht beseitigt werden können.

Gesundheit und Umwelt sind eng miteinander verknüpft, sie können auch in der Politik nicht gesondert betrachtet werden

Die Gesundheit der Spezies Mensch und aller anderen Spezies auf der Erde ist von der Umwelt abhängig, in der wir alle gemeinsam leben. Das Virus, das in Wuhan auf den Mensch übergegangen ist und nun die ganze Welt im Lockdown hält, ist eine Antwort auf den Angriff der Menschheit auf den Planeten. Dieser Angriff ist vorübergehend gestoppt, solange der weltweite Lockdown anhält, aber er hat immer noch das Potential, sich weiter mit gewaltiger Geschwindigkeit zu intensivieren. Wir dürfen das nicht geschehen lassen. Uns nicht um die Erde zu kümmern, bedeutet, uns nicht um uns selbst zu kümmern. Unser anhaltendes Eindringen in unberührte Natur konfrontiert uns mit Krankheiten, die nur darauf warten, von anderen Wirten aus die Artengrenze zu überschreiten. Unsere Nahrung, unser Klima, unsere Ressourcen, unsere Gesundheit, unsere Wirtschaft - all dies ist Teil des komplexen globalen Systems, in dem jeder Teil alle anderen beeinflusst. Es wäre zum Beispiel verhängnisvoll, unsere Bemühungen, den globalen ⁠Klimawandel⁠ zu stoppen, auf Eis zu legen, während wir gegen COVID-19 kämpfen.

Aber sie zeigt uns auch unsere Reaktionsfähigkeit auf

Selten, falls überhaupt, hat ein großer Schrecken so viele Menschen so schnell wachgerüttelt. Die Menschen fühlen sich ängstlich und unbehaglich und reagieren, indem sie nie da gewesene Maßnahmen akzeptieren und so große persönliche Opfer bringen, da sie eine existentielle Bedrohung für das kollektive Überleben ihrer Gemeinschaft erkennen. Heilsame Lehren für menschliche Gesellschaften führen häufig sozio-ökonomische und politische Änderungen schneller und weitreichender herbei, als es durch normale Vorgänge erreicht werden könnte. Wir müssen diese Lehren und die aufgeflammte öffentliche Reaktion nutzen, um die Art und Weise, wie wir auf unserem Planeten leben, neu zu gestalten. Ein stärkeres öffentliches Bewusstsein kann ein kräftiger Hebel sein, um Änderungen in Gang zu setzen. Es ist absolut erforderlich, die ökologischen Dimensionen von COVID-19 stärker ins Bewusstsein der Menschen zu bringen. Wir müssen sicherstellen, dass sich unsere Aufmerksamkeit nicht vom Klima, von der Schädigung der Biosphäre und den Zielen für eine nachhaltige Entwicklung abwendet. Wir dürfen nicht einfach wieder zur Tagesordnung übergehen. Es muss gut überlegt werden, bevor wir die auf fossilen Energien basierende Wirtschaft wieder hochfahren, und stattdessen die Chance ergreifen, ökologischer zu denken. Und wir müssen feststellen, dass viele der Länder, die am stärksten betroffen sind, diejenigen sind, in denen eine Politik des freien Marktes die staatlichen Kapazitäten ausgehöhlt und zu einer Gewohnheit der staatlichen Untätigkeit zugunsten des Marktfundamentalismus geführt hat.

Und wie lautet die Reaktion der Wissenschaft?

Die sofortige wissenschaftliche Reaktion auf die Pandemie ist hauptsächlich biomedizinischer Natur. Wenn wir die akute Phase hinter uns lassen, muss dieses biomedizinische Verständnis in weiter reichende Fragen zur globalen Ökologie eingebettet werden, einschließlich ihrer sozio-politischen und kulturellen Dimensionen. Das Wissen über globale Systeme ist entscheidend und das Fördern des Systemdenkens unter den Entscheidungsträgern und Politikern ist ein wesentlicher Aspekt. So effektiv, wie die Instrumente der digitalen Revolution bei der Überwachung und Bewältigung der Pandemie sind, müssen sie auch im größeren ökologischen Kontext sein, aber mit einem wachsamen Auge auf ihre Konsequenzen für die Freiheiten der Bürger. Dies muss auch der Moment sein, in dem die Open-Science-Bewegung erstarkt. Offene Daten, offener Zugang zu wissenschaftlichen Ergebnissen und neue und nachdrückliche Offenheit gegenüber der Gesellschaft könnten stark dazu beitragen, tief greifende Veränderungen zu ermöglichen. Dies sind die Prioritäten, die eine neue Normalität für die internationale Wissenschaft prägen werden und die Arbeit des Internationalen Wissenschaftsrats bei der Förderung der Wissenschaft als ein globales öffentliches Gut definieren werden. Wenn wir es weiterhin schaffen, durch diese Pandemie auf der Welle des öffentlichen Vertrauens in die Wissenschaft zu schwimmen, können wir dann darauf aufbauen, um eine noch größere Unterstützung für den ⁠Klimaschutz⁠ zu mobilisieren?
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Autor*in:

  • Regius Professor of Geology Emeritus, Universität Edinburgh; Forschung in Geologie/Glaziologie von Umweltveränderungen; Mitglied des Governing Board des Internationalen Wissenschaftsrats; ehemals Mitglied des Rates für Wissenschaft und Technologie des britischen Premierministers; ehemals Vorsitzender des Science Policy Centre der Royal Society; ehemals Präsident der Kommission für Daten für Wissenschaft und Technologie (CODATA)
  • Dr. Heide Hackmann ist Hauptgeschäftsführerin des Internationalen Wissenschaftsrats, nachdem sie zuvor seit März 2015 Geschäftsführerin des Internationalen Wissenschaftsrats (ICSU) war.  Bevor Heide Hackmann zur ICSU kam, war sie acht Jahre lang Geschäftsführerin des International Social Science Council (ISSC).

    Heide hat einen M.Phil in zeitgenössischer Sozialtheorie der Universität Cambridge, Großbritannien, und einen Doktortitel in Wissenschafts- und Technologiestudien von der Universität Twente in den Niederlanden. Sie hat als wissenschaftspolitische Entscheidungsträgerin, Forscherin und Beraterin in den Niederlanden, Deutschland, Großbritannien und Südafrika gearbeitet.

    Bevor Heide in die Welt der internationalen Räte wechselte, arbeitete sie als Leiterin der Abteilung für internationale Beziehungen und Qualitätsbewertung der Royal Netherlands Academy of Arts and Sciences. Ihre Karriere in der Wissenschaftspolitik reicht bis in die frühen 1990er Jahre zurück, als sie beim Human Sciences Research Council in Südafrika arbeitete.

    Heide ist Mitglied mehrerer internationaler Ausschüsse und Gremien:

    • Distinguished Visiting Fellow am Internationalen Institut für angewandte Systemanalyse (IIASA), Österreich (seit 2019)
    • Mitglied des Expertenbeirats des Mercator Forschungsinstituts für Globale Gemeinschaftsgüter und Klimawandel, Deutschland (seit 2017)
    • Mitglied des Beirats der African Open Science Platform, die von der südafrikanischen Abteilung für Wissenschaft und Technologie, der Nationalen Forschungsstiftung und der Südafrikanischen Akademie der Wissenschaften unterstützt wird (seit 2017)
    • Mitglied des Ausschusses für Exzellenz, Wirkung und Engagement des Ocean Frontier Institute, Kanada (seit 2017)
    • Mitglied des Wissenschaftlichen Beirats des Potsdam-Instituts für Klimafolgenforschung, Deutschland (seit 2013)
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