Obwohl nach heutigem Kenntnisstand Auswirkungen auf die menschliche Gesundheit nicht bekannt sind, sollte im Sinne des Vorsorgeprinzips gehandelt und der Eintrag von Arzneimittelrückständen in die Umwelt reduziert werden, zumal es bis heute keine Erkenntnisse darüber gibt, welche Effekte eine chronische Aufnahme auch von niedrigen Konzentrationen auf Mensch und Umwelt haben.
Die gute Versorgung mit Arzneimitteln ist für die menschliche und tierische Gesundheit unverzichtbar. Allerdings führt diese und der teilweise unkritische Umgang mit Arzneimitteln zu einer zunehmenden Belastung der Umwelt mit Rückständen von pharmazeutischen Wirkstoffen, die dort oft langlebig sind und unerwünschte Auswirkungen auf Tiere und Pflanzen haben können. Daher sollte der Umwelteintrag von Arzneistoffen so weit wie möglich verhindert oder reduziert werden, um Ökosysteme und Trinkwasserressourcen langfristig zu schützen.
Wirkungen von Arzneistoffen in der Umwelt
Um das Umweltrisiko von Arzneimittelwirkstoffen beurteilen zu können, müssen nicht nur ihre Verbrauchsmengen und Eintragswege betrachtet werden. Auch die spezifischen physikalisch-chemischen Eigenschaften der Wirkstoffe wie Wasser- und Fettlöslichkeit, Metabolisierung (Verstoffwechslung) im Körper, Verhalten in der Umwelt (Abbau, Verlagerung) sowie die Ökotoxizität der Stoffe sind zu berücksichtigen. Viele der Eigenschaften, die für den Gebrauch/Nutzen der Arzneimittel wichtig sind, können aus Umweltsicht problematisch sein, wie zum Beispiel eine hohe Stabilität oder eine gute Wasserlöslichkeit.
Als sehr umweltkritisch werden Stoffe mit sogenannten PBT-Eigenschaften eingestuft. Solche Stoffe
sind schwer abbaubar und somit langlebig in der Umwelt (persistent),
reichern sich in Organismen an (bioakkumulierend) und
sind giftig für Menschen und/oder Umweltorganismen, krebserregend oder in das Hormonsystem eingreifend (toxisch).
PBT-Stoffe sollten aufgrund dieser Eigenschaften nicht in die Umwelt gelangen. Sie stellen unabhängig von ihrer Konzentration immer eine Gefahr dar und langfristige Auswirkungen auf Mensch und Umwelt sind schwer vorhersagbar. Das trifft generell auch für Arzneistoffe mit PBT-Eigenschaften zu. Bisher sind nur sehr wenige Wirkstoffe bekannt, die hierunter fallen.
Die gemessenen Konzentrationen der Arzneimittelwirkstoffe in der Umwelt liegen in der Regel unterhalb der therapeutischen Dosen der Arzneimittelprodukte. Damit ist jedoch für die Umwelt keine Entwarnung gegeben. Denn obwohl Arzneimittel zu den humantoxikologisch am besten untersuchten Stoffen zählen, sind die ökotoxikologischen Folgen der vergleichsweise geringen, dafür jedoch permanenten, Belastung der Gewässer und des Bodens mit Arzneistoffen vielfach unbekannt.
Kontrazeptiva verursachen Reproduktionsstörungen bei Wasserlebewesen
Ebenfalls problematisch für die Umwelt sind Arzneistoffe, die Hormone oder hormonähnliche Stoffe enthalten, die im Rahmen der Therapie gewollt in die Funktion des Hormonsystems eingreifen. Dies sind beispielsweise Präparate zur Empfängnisverhütung, zur Behandlung von Wechseljahresbeschwerden und hormonabhängigem Krebs, aber auch Medikamente zur Behandlung von Krankheiten der Schilddrüse und des Nervensystems. In der industriellen Tierhaltung werden Hormonpräparate zum Beispiel als Mittel zur Synchronisation des Eisprunges bei der künstlichen Besamung eingesetzt.
Auch diese hormonell (endokrin) wirksamen Stoffe gelangen über das Abwasser in die Umwelt. Ein gutes Beispiel hierfür ist das synthetische Hormon Ethinylestradiol (EE2), enthalten in der Pille zur hormonellen Verhütung. Im Gegensatz zum natürlichen Hormon Estradiol weist Ethinylestradiol eine viel höhere Stabilität auf, wird daher in den Kläranlagen schlecht entfernt und gelangt so in die Oberflächengewässer, wo es in sehr geringen Konzentrationen nachgewiesen wird (1). Forschungsergebnisse aus Labor- und Freilanduntersuchungen zeigen, dass endokrin wirksame Stoffe in der Umwelt bereits im Nanogramm pro Liter-Bereich die Vermehrungsfähigkeit von Tieren beeinflussen, insbesondere bei Fischen und Amphibien. Die Störung des Hormonsystems von Tieren kann sich z. B. in der Ausbildung verkleinerter Hoden, einer geringeren Spermienmobilität oder Zwitterbildung äußern. Diese Effekte führen zu einer Beeinträchtigung der Vermehrungsfähigkeit der Tiere. Wie eine kanadische Studie zeigte, kann es dadurch bei Fischen, die Ethinylestradiol längerfristig ausgesetzt sind, sogar zu einem Zusammenbruch der Population kommen. Die Forschenden beobachteten dies in einer mehrjährigen Freilandstudie bei Amerikanischen Dickkopfelritzen (Pimephales promelas), welche durch die starke Verweiblichung der männlichen Fische nicht mehr fähig waren, sich ausreichend fortzupflanzen, um die Population aufrecht zu erhalten (2). Die getesteten Konzentrationen lagen dabei im Bereich von 5 – 6 ng/L EE2, dies sind sehr geringe Mengen, welche an Kläranlagenabflüssen durchaus erreicht werden können. Auch bei Amphibien und Reptilien wurde das Phänomen der Verweiblichung bereits beschrieben.
Darüber hinaus gibt es Chemikalien und Arzneistoffe, die nicht als Hormone konzipiert wurden, aber eine ungewollte Wirkung auf den Hormonhaushalt haben können. Diese werden als endokrine Disruptoren bezeichnet (3).
Bei der Umweltbewertung von Hormonpräparaten und anderen endokrin wirksamen Stoffen stellen die Komplexität der Effekte und die geringen Umweltkonzentrationen eine besondere Herausforderung dar. Bei vielen hormonell wirksamen Stoffen können Effekte nicht unmittelbar festgestellt werden. Auswirkungen auf die Vermehrungsfähigkeit (reproduktionstoxische Wirkung) zeigen sich häufig erst nach einem größeren Zeitraum und müssen daher gegebenenfalls über mehrere Generationen hinweg beobachtet werden. Zusätzlich ist der analytische Nachweis dieser Stoffe in Umweltproben aufgrund der geringen Konzentrationen problematisch.
Geier sterben an Nierenversagen durch Diclofenac
Ein Beispiel für Auswirkungen von Arzneistoffen in der Umwelt ist das Massensterben mehrerer Geierarten in den 1990er Jahren in Pakistan, Indien und Bangladesch. Innerhalb von 10 Jahren waren die einst sehr großen Geierpopulationen derart reduziert, dass diese Vögel nun vom Aussterben bedroht sind. Nach jahrelanger Suche wurde der entzündungshemmende Arzneistoff Diclofenac als Verursacher identifiziert, welcher seit den 1990er Jahren in Indien und Pakistan in der Tiermedizin, insbesondere bei Rindern, eingesetzt wurde. Die Aufnahme von Diclofenac über den Fraß von Rinderkadavern führte bei den Geiern zum tödlichen Nierenversagen.
Neben anderen Wirkstoffklassen können auch Antibiotikarückstände negative Effekte in der Umwelt hervorrufen und damit Auswirkungen auf ganze Ökosysteme haben. Es ist bekannt, dass einige Antibiotika der Wirkstoffklasse der Makrolide bei sehr niedrigen Konzentrationen im Mikrogramm pro Liter Bereich Cyanobakterien und Algen schädigen (4) und dadurch ganze Nahrungsnetze in Gefahr geraten. Andere Antibiotikawirkstoffe wie z. B. Sulfonamide und Tetracycline bilden Rückstände im Boden (5; 6), wo sie toxisch auf Bodenorganismen wirken und damit die Fruchtbarkeit der Böden herabsetzen können (7). Darüber hinaus werden Antibiotikarückstände von einigen Pflanzen, darunter auch Nutzpflanzen, aufgenommen und angereichert (8). Neben einer wachstumshemmenden Wirkung auf die Pflanzen selbst, können die Antibiotikarückstände so auch in die Nahrungskette gelangen.
Zusätzlich zu den direkten negativen Umwelteffekten, stellen Antibiotikarückstände aber auch eine Gefahr für Mensch, Tier und Umwelt durch die Förderung der Entstehung und Verbreitung von antibiotikaresistenten Bakterien dar. Solche resistenten humanpathogenen Keime sind laut Weltgesundheitsorganisation (WHO) eine der weltweit größten Bedrohungen für die Gesundheit und Lebensmittelsicherheit, denn resistent Keime können nicht mehr mit Antibiotika bekämpft werden. Selbst einfache Infektionen werden nicht mehr behandelbar, wenn Antibiotika als Therapieoption wegfallen. Die Verbreitung resistenter Keime ist insbesondere auf die vielfache Anwendung von Antibiotika in der Intensivtierhaltung und Humanmedizin zurückzuführen. Um die Entwicklung neuer Resistenzen zu verlangsamen und Antibiotika als nachhaltige Therapieoption für die Behandlung von Infektionskrankheiten zu erhalten, wurden verschiedene internationale und nationale Initiativen ins Leben gerufen. Hierzu zählen beispielsweise der "EU One Health Action Plan against AMR" oder die "Deutsche Antibiotika-Resistenzstrategie" (DART 2030) (9; 10), die neben der Resistenzstrategie auch ein Maßnahmenpapier für verschiedene Handlungsfelder enthält.
Im Trinkwasser wurden beispielsweise die Schmerzmittel Diclofenac, Ibuprofen und Phenazon sowie das Antibiotikum Sulfamethoxazol, aber auch 17α-Ethinylestradiol gefunden. Pro Liter Wasser handelt es sich dabei um Bruchteile eines Mikrogramms. Dies sind Konzentrationen, die Größenordnungen unterhalb der therapeutisch wirksamen Konzentrationen für den Menschen liegen. Die im Liter Trinkwasser nachgewiesenen Mengen sind einhundert bis eine Million Mal niedriger als die verschriebenen Tagesdosen. Dennoch sind aus Sicht der Trinkwasserhygiene und aus Verbrauchersicht selbst niedrige Konzentrationen im Trinkwasser unerwünscht (11; 12). Wirkstoffspuren – selbst, wenn diese nachweislich nicht schädlich sind – widersprechen sowohl dem Leitbild eines reinen Trinkwassers, welches besagt, dass Trinkwasser frei von Fremdstoffen sein soll, wie auch dem Minimierungsgebot, d. h. dem Anspruch, Verunreinigungen so gering zu halten, wie dies mit vertretbarem Aufwand möglich ist. Auch wenn sich Langzeitrisiken zurzeit wissenschaftlich nicht ableiten lassen, sind vorsorgliche Maßnahmen und weitere Beobachtungen angesichts des prognostizierten steigenden Arzneimittelbedarfs notwendig.
Literaturangaben
SCHEER (Scientific Committee on Health, Environmental and Emerging Risks), Preliminary Opinion on "Draft Environmental Quality Standards for Priority Substances under the Water Framework Directive", 17-alpha-ethinylestradiol (EE2), Beta-Estradiol (E2) and Estrone (E1), 1st March 2022
EC - European Commission. A European One Health Action Plan against Antimicrobial Resistance (AMR). Luxemburg: Publications Office of the EU; 2017. p. 24.
„Für Mensch und Umwelt“ ist der Leitspruch des UBA und bringt auf den Punkt, wofür wir da sind. In diesem Video geben wir Einblick in unsere Arbeit.
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