Konjunkturprogramm zum Aufbau resilienter klimaverträglicher Wirtschaftsstrukturen nutzen
Blogartikel von Prof. Dr. Manfred Fischedick
Mit Hochdruck wird derzeit weltweit daran gearbeitet die COVID-19-Ausbreitung zu stoppen und einen geeigneten Impfstoff zu entwickeln. Dies ist absolut richtig und wichtig und hat ebenso absolute Priorität wie die Aufrechterhaltung der Funktionsfähigkeit des Gesundheitswesens und die Versorgung der an dem Virus erkrankten Menschen.
Parallel gilt es die massiven kurzfristigen ökonomischen Folgen der Corona-Krise mit geeigneten Instrumenten aufzufangen, so dass die Unternehmen im Land handlungsfähig bleiben und nach der Krise zur wirtschaftlichen Gesundung des Landes beitragen können. Hierfür bedarf es unkomplizierter, pragmatischer und unbürokratischer Formate, um die hinreichende Reaktionsgeschwindigkeit und Wirkungsbreite erreichen zu können.
Hinzu kommen müssen Mechanismen für die langfristige Krisenbewältigung. Typischerweise legen Länder zur Wiederbelebung der Wirtschaft umfangreiche Konjunkturprogramme auf. Dabei zeigen die mit der Wirtschaftskrise 2008/2009 gemachten Erfahrungen, dass es sich auszahlt, sich sehr frühzeitig Gedanken darüber zu machen, wie die zur Verfügung gestellten Mittel verwendet werden sollen und wie eine möglichst hohe Lenkungswirkung erzielt werden kann. Blickt man auf die gewaltigen Transformationsherausforderungen, die vor uns stehen, heißt dies insbesondere Investitionen für die Gestaltung einer nachhaltigen, klimaverträglichen, ressourceneffizienten und nicht zuletzt resilienten Wirtschaft zu mobilisieren.
Hierzu bedarf es eines „green recovery“ Programms, das sich an den Grundzügen und Zielen des European Green Deal orientiert wie insbesondere die Treibhausgasneutralität bis spätestens zum Jahr 2050. Jetzt nachzulassen und Stimmen zu folgen, die in der jetzigen Krisensituation eher einem Lockern der Klimaschutzvorgaben das Wort reden, wäre genau die falsche Strategie, denn eine ungebremste Fortsetzung des Klimawandels hat das Potenzial, zu einer noch viel weitgehenderen und dauerhaften Krise verheerenden globalen Ausmaßes führen zu können.
Was aber sind wesentliche Bausteine für resiliente Wirtschaftsstrukturen, die es bei der Ausgestaltung der Konjunkturprogramme zu berücksichtigen gilt, nämlich Investitionen
in den verstärkten Aufbau regionaler Produktionsstrukturen, vor allem für Produkte und Dienstleistungen der Daseinsvorsorge und der Grundversorgung (beispielsweise Güter für das Gesundheitssystem)
- in strukturelle Veränderungen für das sukzessive aber konsequente Schließen von Stoffkreisläufen (Circular Economy)
- in den beschleunigten Aufbau grüner Produktionsprozesse (z.B. wasserstoffbasierte Verfahren der Stahlerzeugung)
- in den Aufbau bzw. die Erweiterung adäquater Versorgungsinfrastrukturen (z.B. Einstieg in eine Wasserstoffwirtschaft mit Verankerung von sicheren Be-zugsquellen in Kooperation mit den Nachbarländern)
- in die Entwicklung „grüner Produktmärkte“ z.B. durch gezielte staatliche Anreize über public procurement oder die (freiwillige) Festlegung von Produktstandards (z.B. klimaverträglicher Stahl und Kunststoffe für die Herstellung von Autos)
- für den Aufbau von Entwicklungsinfrastrukturen (z.B. Living Laboratories) für Start Ups und KMU für Konzeption, Entwicklung und Testen klimaverträglicher Produkte und Dienstleistungen und Impulsgeberprogramme für das Zusammenbringen von robuster Nachfrage und Kompetenzen der Akteure
Die beispielhaft genannten Maßnahmen tragen einerseits zum Klimaschutz und zur Ressourceneffizienzsteigerung bei, andererseits aber auch zu einer, nach den Krisenerfahrungen notwendig erscheinenden Verringerung der zum Teil einseitigen Abhängigkeit von Importen und damit globalen Wertschöpfungsketten. Die hiermit verbundene erhöhte Resilienz dürfte zukünftig ökonomisch ganz anders bewertet werden als bisher, auch wenn klare Messgrößen dazu noch fehlen. Aber klar ist auch, dass mit den genannten Maßnahmen nicht nur massive Investitionen, sondern auch strukturelle Veränderungen unserer Wirtschaftskreisläufe verbunden sind und die Abkehr von über zum Teil über Jahrzehnte gewachsenen Strukturen. Aber wann, wenn nicht jetzt – in ohnehin für Wirtschaft und Politik besonderen Zeiten – ist eine gute Gelegenheit, Pfadabhängigkeiten zu überwinden und konjunkturbelebende Investitionen dafür zu nutzen, die ohnehin notwendigen Transformationsprozesse zu beschleunigen und Investitionen vorzuziehen.
Für weitergehende Überlegungen zum Thema siehe das unter https://wupperinst.org/a/wi/a/s/ad/5020/ verfügbare Diskussionspapier.
_____
Autor:
Prof. Dr.-Ing. Manfred Fischedick ist wissenschaftlicher Geschäftsführer des Wuppertal Instituts und Professor an der Schumpeter School of Business and Economics (Fachbereich Wirtschaftswissenschaften) an der Bergischen Universität Wuppertal. Er berät sowohl die Europäische Union, die Bundesregierung und verschiedene Bundesländer sowie Unternehmen unterschiedlicher Branchen in energie- und klimapolitischen Fragen.
Manfred Fischedick ist Autor zahlreicher Bücher und Fachbeiträge sowie Mitglied vieler internationaler Gremien (u.a. Leitautor des Weltklimarates). Manfred Fischedick und das Wuppertal Institut verfolgen einen transformativen wissenschaftlichen Ansatz und tragen mit ihrer Forschung zur Umsetzung von Veränderungsprozessen bei.